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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

rollte fort. Aber in zehn Minuten stand einer jener hochräderigen holsteinischen Wagen mit zwei vortrefflichen Pferden vor der Thüre.

In gestrecktem Trabe fuhr ich hinterher und kam eine halbe Stunde früher auf der nächsten Poststation an. Ich bestellte mir einen Platz und nahm nun im Postwagen den Platz des jungen Mädchens ein, welches auf der Station blieb, aus Schleswig kam und Verwandte besuchte.

Der Wagen fuhr weiter. Die mir gegenüber sitzenden Landleute sahen mich mit mißtrauischen Blicken an. Ich konnte an ihrer Gesinnung gegen mich gar nicht zweifeln. Vergebens versuche ich, sie zu einem Gespräche über die Zustände im Lande zu veranlassen. Sie brachen den Faden der Unterhaltung immer kurz ab. Endlich fragte mich der Eine: „Sagen Sie mal, wen wollen Sie denn in Angeln besuchen?“ [1] Ich nannte die Namen von zwei der achtungswerthesten Hofbesitzer und nahm zwei Empfehlungsbriefe aus meiner Brieftasche. Sie lasen auf den Couverts die Jedermann bekannten Namen.

Plötzlich veränderte sich der Ausdruck auf den Gesichtern. Die Blicke wurden zutraulich und wohlwollend. Nur der Eine, der neben mir saß, sah mich pfiffig an und sagte: „Also den Herrn Hagemann wollen Sie nicht besuchen?“

Glücklicherweise wußte ich, wer Hagemann war.

„Hagemann auf Ohrfeld?“ fragte ich entrüstet, „Hagemann ist ja Euer heimlicher Oberpolizeiminister in Angeln! Er hat ja noch im vorigen Mai Euren braven Pastor in Gelting, Valentiner, der jetzt Pastor in Leipzig ist, als er den Pachter Geiger in Gelting zu seiner silbernen Hochzeit besuchen wollte, durch die Polizei aus dem Lande bringen lassen wollen!“

Jetzt sah auch der Dritte mich mit Blicken des vollsten Vertrauens an.

„Ja,“ sagte er, „der Pastor in Gelting war ein braver, würdiger Mann. Aber sie trieben ihn aus dem Lande, die Dänen, weil er nicht dänisch predigen wollte. Dem Baron haben sie wider alles Recht das Patronat genommen und haben einen Dänen, den Hansen, an seine Stelle gebracht. Dreimal hat der Hansen neulich die Kirche Sonntags zuschließen müssen, weil Niemand in der Kirche war. Wir haben den Hagemann gefragt, ob er uns den Pastor Valentiner, wenn er aus Leipzig auf Besuch zu uns käme, durch Gensd’armen aus dem Lande bringen lassen wolle. Er hat’s aber abgeleugnet.“

Ich nahm ein Papier aus der Brieftasche und hielt es ihnen hin. „Leset das da vor!“

Er las: „Wenn es der unterzeichneten Behörde gerüchtsweise zur Kunde gekommen ist, daß der Dr. phil. F. W. Valentiner, Prediger in Leipzig, vormals Prediger in Gelting, in Veranlassung einer am 27. Mai 1861 stattfindenden Feier der silbernen Hochzeit des Pachters Geiger auf Gelting als Gast erwartet werde, so veranlassen obwaltende Umstände mich, die Obrigkeit des adeligen Gutes Gelting davon in Kenntniß zu setzen, daß zufolge mir ertheilter Instruction von Seiten des königlichen Ministeriums, insofern gedachter Valentiner den geschlossenen Theil des ersten Angler adeligen Güterdistricts betreten sollte, Schritte von mir wider denselben einzuleiten sind, welche unzweifelhaft seine augenblickliche Entfernung zur Folge haben werden.

Königl. Oberpolizeiverwaltung Ohrfeld, den 25. Mai 1861.
M. Hagemann.“

Nun ergingen sie sich in Verwünschungen und erbitterten Ausbrüchen gegen ihren „geheimen Oberpolizisten“, wie sie ihn nannten, und in wirklich rührenden Bemerkungen über den Pastor Valentiner und den Baron Hobe von Gelting, „diese braven, herrlichen Männer,“ wie sie sie nannten.

„Im Kirchspiel Gelting wird doch auch dänisch gepredigt und dänisch in den Schulen unterrichtet,“ sagte ich; „kann denn Jemand von Euch mir angeben, wie viel Menschen im Distrikt Gelting dänisch sprechen oder dänisch verstehen?“

„Ich kenne jedes Haus im Kirchspiel,“ erwiderte der mir gegenübersitzende Landmann, ein großer, kräftiger Mann mit melancholischem Gesichtsausdruck, „im Kirchspiel Gelting versteht und spricht Niemand dänisch. Die ganze Bevölkerung ist deutsch. Es ist nur ein alter Mann da, welcher in jungen Jahren Matrose auf der dänischen Flotte war. Der versteht das Plattdänische wohl noch etwas, er kann es aber nicht mehr sprechen. Das Schriftdänische, in dem der Hansen predigt, versteht er gar nicht.“

„Aber Rundhof ist doch auch gemischter Distrikt! Kennt Einer von Euch Rundhof?“

„Rundhof,“ erwiderte mein Nachbar, der mich mit so pfiffigem Blick nach dem Oberpolizeiverwalter gefragt hatte, „ist halb deutsch, halb gemischter District. In dem gemischten District wird in keinem Hause dänisch gesprochen. Es sollen dort einige alte Männer noch dänisch verstehen, welche auf der dänischen Flotte dienten.“

„Und dort wird dänisch unterrichtet und dänisch gepredigt?’ rief ich entrüstet.

„Ja,“ sagte mein Nachbar und Thränen traten ihm in die ehrlichen, blauen Augen, „das ist recht traurig! Denken Sie, die armen Kinder! Außer vier Stunden die Woche ist der ganze Unterricht dänisch. Die Kinder lernen nichts. Alle Bildung im Lande geht dabei zu Grunde. Und was das für Schullehrer und Pfarrer sind, die sie uns nun seit zehn Jahren in’s Land geschickt haben! Der Hansen, den sie uns an die Stelle des braven Valentinen geschickt haben, entließ neulich die Knaben etwas früher aus dem Confirmationsunterricht und behielt die Mädchen zurück. Ein Bauer fragte seine Tochter, warum der Pastor sie soviel länger bei sich behalten hätte. Sie wurde roth und sagte, das könne sie doch nur der Mutter sagen. So kam es denn heraus, daß der Pastor ihnen gesagt habe, um sie vor dem Laster zu warnen, sie sollten sich vor den Mannsleuten in Acht nehmen, denn wenn diese ihnen zu nahe kämen, würden sie leicht schwanger, es entstände dann ein Kind in ihrem Leibe, und um dieses zu entfernen, müsse man ihnen ein großes Loch in die Seite schneiden. Sie können hieraus sehen, was das für ein Mensch ist, dieser Pastor. Nein, es sind gar keine Menschen, viel weniger Pastoren!“

G. Rasch. 




Das Schwimmende Land in Wakhusen.

Von J. G. Kohl.

Der Römer Plinius erzählt von neuen Wundern aus den Wäldern Germaniens[2], indem er beschreibt, wie kleine mit Bäumen bewachsene Inseln der römischen Flotte, als sie an den Küsten Nordwestdeutschlands segelte, aus den Mündungen der Elbe und Weser mehrfach entgegen geschwommen seien. Wahrscheinlich sind dies solche Moorlandstücke gewesen, wie sie noch heutzutage zuweilen von den Wasserfluthen an den Nebenflüssen der Weser und Elbe losgerissen und zum Schwimmen und Forttreiben gebracht werden.

Im kleinen kommt dieses Phänomen überall in unseren torfreichen und morastigen Gegenden vor. Nirgends aber erscheint es großartiger, complicirter und mehr mit dem Ackerbau und der ganzen Existenz der Bewohner verwachsen, als in der Feldmark des hannoverschen Dorfes Wakhusen im sogenannten „St. Jürgener Lande“ an den Ufern des Flusses Hamme, der aus den Mooren des Herzogthums Bremen herab der untern Weser zufließt. Ich hatte schon Manches über das schwimmende Wunder von Wakhusen gehört und gelesen, ohne daß ich mir über die Ursache, den Umfang und die näheren Umstände desselben ganz klar werden konnte. Ich beschloß daher, an Ort und Stelle selber nachzusehen, und so zog ich denn eines schönen Tages mit Hülfe eines Landeskindes mein kleines, roh gestaltetes „Schedel-Schip“, eine Art von Canoe – es ist das einzige Vehikel, dessen man sich zur Bereisung dieser wässrigen Landschaften bedienen kann – über eine Stelle des Dammes oder Deiches hinüber, der das ganze besagte „St. Jürgener Land“ umzingelt.

Als wir diese nicht sehr mühsame Operation bewerkstelligt und unser Schiffchen im jenseitigen Wasser wieder flott gemacht

  1. Ich werde alle folgenden Unterhaltungen immer, des besseren Verständnisses wegen, in hochdeutscher Sprache wiedergeben, obschon sie meistens immer in plattdeutscher Sprache geführt wurden. G. R.
  2. Aliud e silvis miraculum.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_666.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2022)