Seite:Die Gartenlaube (1861) 753.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 48.   1861.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Das Bombardement von Schärding.

Von Herm. Schmid.
(Schluß.)


„Die bei uns eingedrungenen Soldaten zeigten aber für Alles, was wir an uns trugen, eine so außerordentliche Aufmerksamkeit, daß sie sich nicht mit dem Sehen begnügten, sondern wie Kinder Alles anrühren und behalten wollten. Obwohl es mir schwer fiel, mich von meiner Uhr zu trennen, fand ich mich doch in dem Gedanken darein, daß ich auch ohne sie recht gut wußte, welche Stunde für mich geschlagen hatte. Auch der Abschied von meinem Siegelring fiel mir nicht gar zu schwer; auch ohne ihn besaß ich den wohl ausgefertigten und besiegelten Urkundsbrief, daß ich ein Bettler geworden war. Schwerer ward es mir, meinen Ueberrock verschwinden zu sehen, denn wir waren sehr befreundet mit einander, und noch jetzt muß ich ihm nachsagen, daß er mich immer sehr warm gehalten hat, viel wärmer als Uhr und Siegelring. Mein einziger Trost war, daß mir der zweite Rock blieb, den ich der Kälte wegen darunter gezogen hatte, allein die Freude war von sehr kurzer Dauer. Ein Zweiter, ein baumlanger Chasseur, sah gar keinen Grund, weshalb er sich nicht mit dem zweiten Rock begnügen sollte, nachdem der erste nicht mehr zu haben war. Ein Dritter fand meine Weste allen billigen Anforderungen entsprechend, ein Vierter mochte glauben, daß ich viel freier athmen würde, wenn er mich von meiner Halsbinde befreite, und war aufopfernd genug, sich statt meiner dieser Beklemmung zu unterziehen. Der Fünfte endlich fand zu guter Letzt an meinen Stiefeln Geschmack und lud mich mit einer höflichen, aber zweifellosen Handbewegung ein, auf die Bank niederzusitzen und die Stiefel auszuziehen. Als das nicht ging, weil von meiner Seite die nöthige Bereitwilligkeit fehlen mochte, verschmähte er nicht einmal, meinen Kammerdiener zu machen. Er nahm eins meiner Beine nach dem andern, setzte sich rittlings darauf und ritt mir so die Stiefel recht angenehm von den Füßen herab. Ich habe auch nicht verfehlt, hiervon Nutzen zu ziehen, und habe diese Methode später im Falle Bedürfens mit entschiedenem Erfolge angewendet.

Inzwischen war es meinen Leuten nicht besser gegangen; Schuhe, Strümpfe, Röcke, Hauben – Alles fand Liebhaber. Ich wunderte mich dabei nur über die Vorsicht, mit welcher diese Krieger auf ihre Angehörigen dachten, denn da sie die meisten Sachen für sich unmöglich gebrauchen konnten, mußte ich annehmen, daß sie dieselben ihren Frauen und Kindern zum Angedenken bestimmt hatten. Constanzen, die ein schwarzseidenes Kleid trug, rissen sie den Rock eben so schnell als kunstfertig ab, daß sie nur das Leibchen behielt. Den Rock schlitzten sie im Nu mit den Säbeln in lange schmale Streifen, und banden sie sich mit sichtbarem Seelenvergnügen als Cravatten um den Hals. Nachdem sie so ihre Arbeit ebenso rasch als gründlich beendet hatten, griffen sie artig salutirend an ihre Mützen und Helme und entfernten sich. Der letzte in der Thüre war ein blutjunger Mensch, ein Voltigeur, und trug den Shawl meiner Katharina über’m Arm. Ich bemerkte es, sprang hinzu und faßte ihn am Arm, indem ich auf Katharinen hinwies, die in gesteigertem Fieber auf dem Stroh lag und das Kleidungsstück hart vermißte. Ich bat ihn, der Kranken das einzige letzte Schutzmittel nicht zu nehmen – aber er machte sich lachend von mir los und eilte den Uebrigen nach.

Wir blieben wortlos zurück und machten unsern Gefühlen in verschiedenartigen Ausrufungen Luft. Da ging die Thüre wieder auf, und der Voltigeur kam zurück. Ohne ein Wort zu sagen, trat er zu Katharinen hin, breitete den Shawl über sie aus und legte eine Bouteille Wein neben sie hin. Dann trat er zu mir, faßte meine Hand und rief: „Ik ’aben gedacht an meine Mutter daheim dans la France – ik wollen faire du chagrin für eine Mutter en Allemagne.“

Der brave Junge verschwand, aber mit seinem Geschenk war das Glück. So oft wir auch im Laufe des Tages neuen Horden in die Hände fielen, die unser Besitzthum musterten, so legte doch Keiner Hand an den Shawl. Er blieb uns, und Katharina trug ihn noch nach Jahren – nie ohne den warmen Wunsch, daß der gutherzige Voltigeur zurückgekehrt sein möge zur Freude der Mutter, an die er so redlich gedacht.

Als wir nun allein waren und ich mein Häuflein übersah und seine Toiletten musterte, kam es mir gar zu drollig vor, wie wir Alle aussahen, und ich konnte mich nicht enthalten, darüber laut aufzulachen. Katharina hob sich halb verwundert, halb unwillig empor und rief mir zu: „Regler! Mann! Ferdinand! Bist Du denn wirklich von Sinnen gekommen, daß Du bei all dem Herzleid noch lachen kannst?“ Ich aber trat zu ihr hin und rief: „Sei getrost, mein liebes Weib! Ich habe meine fünf Sinne wirklich noch beisammen! Aber so, wie es nun mit uns steht, was kann ich da Klügeres thun, als lachen? – Habe ich nicht Recht gehabt, als ich sagte, es sei ein Trost, daß uns doch etwas übrig geblieben war? Und habe ich nun nicht wieder Recht, wenn ich sage, es ist ein Trost, zu wissen, daß wir nun gar nichts mehr haben? Was macht dem Menschen mehr Sorge, als zu erhalten, was er hat? Siehst Du, davon sind wir gründlich geheilt. Das Glück kann nun jeden Augenblick kommen und uns zu sich in sein Schiff nehmen, das Gepäck wird uns wenig Kummer machen!“

Das Glück kam aber nicht, sondern ein Trupp Franzosen um den andern, und keiner unterließ, uns seinen Besuch zu machen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_753.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2019)