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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Gegenwart vereint. Er hörte meine Worte mit weit mehr Geduld an, als ich von ihm erwartete, sie schienen einen günstigen Eindruck auf ihn zu machen, denn am Schlusse ergriff er meine Hand und drückte sie. Dennoch möchte ich diese günstige Wirkung weniger meiner Beredsamkeit, als der Veränderung zuschreiben, welche die vor Kurzem erst überstandene Krankheit in ihm zurückgelassen hatte. Auch kam noch ein anderer Umstand hinzu, nämlich die politische Umwälzung des Jahres 1848, deren gewaltige Erschütterungen bis zu diesem fernen Winkel der Monarchie gedrungen waren. Es lag eine revolutionäre Strömung in der Luft, deren Einfluß sich Niemand und selbst Herr von Prodschintzky nicht zu entziehen vermochte. Sein aristokratischer Stolz hatte einen empfindlichen Stoß erhalten, und wenigstens für den Augenblick war er zu einer Nachgiebigkeit gestimmt, die er unter anderen Verhältnissen wohl kaum gezeigt hätte. Vierzehn Tage später zeigte mir mein College seine Verlobung mit der Geliebten seines Herzens an. Ich beeilte mich, ihm persönlich meinen Glückwunsch abzustatten und zugleich ihn seines Amtes als Arzt der Typhuskranken von Seiten der Regierung zu entbinden. Zum letzten Male wanderten wir mitsammen durch das heimgesuchte Dorf.

Es war an einem herrlichen Maimorgen, der mit seinem sonnigen Lichte selbst diese elenden Hütten vergoldete. Ein neues Leben schien nicht nur in der Natur, sondern auch unter den armen, schwer geprüften Bewohnern erwacht zu sein. Jener Bauer, dessen Wohnung, damals eine Höhle des Jammers, wir zuerst betreten hatten, begegnete uns vor seiner Thür. Er war eben im Begriff, auf das Feld hinaus zu fahren, um die ihm von der Regierung geschenkten Saatkartoffeln zu stecken. Mit freudestrahlendem Gesichte eilte er auf uns zu, um uns nochmals für unsere Bemühungen zu danken.

„O! jetzt ist Alles wieder gut,“ sagte er auf unser Befragen. „Die Noth hat ein Ende, und die Krankheit ist geschwunden. Meine älteste Tochter hat einen Dienst auf dem Schlosse gefunden, und das gnädige Fräulein hat ihr versprochen, wenn sie sich gut aufführt, sie mit in die Stadt zu nehmen. Es fehlt uns nichts, wir haben Getreide und Kartoffeln. Die Saaten stehen schön, und wenn Gott will, so wird es eine gute Ernte geben. Wir sind viel besser als vor der Krankheit daran, denn der Herr Landrath sieht jetzt darauf, daß wir nicht verhungern oder sonst Noth leiden.“

Es fehlte nicht viel, so hätte der arme Bauer fast dem Typhus ein begeistertes Loblied gesungen, weil die erwachte Aufmerksamkeit der Regierung und die Wohlthätigkeit der veerschiedenen Vereine seinen Zustand wesentlich verbessert hatten. Als er endlich mit tausend Segenswünschen sich entfernte, konnte ich meine Gedanken nicht länger unterdrücken.

„An dieser Stelle,“ sagte ich zu meinem Freunde, „haben Sie an der Güte der Vorsehung gezweifelt und gegen ihre Weisheit gemurrt. Müssen Sie nicht jetzt eingestehen, daß Sie geirrt und daß ich Recht behalten habe? Sehen Sie den armen Bauer, der uns soeben verlassen hat, denken Sie an Ihr eigenes Glück, und Sie werden mir gewiß beistimmen, daß selbst in den schwersten Leiden sich die göttliche Weisheit und Güte offenbart. Die schreckliche Krankheit, welche das arme Land heimgesucht, hat für das Ganze, wie für den Einzelnen, neben vieler Trauer auch Heil und Segen gebracht. Wie in der Natur folgt auch im Leben auf den harten Winter der schöne Frühling, dem wir jetzt in jeder Beziehung entgegen gehen.“

Während ich so sprach, stieg eine Lerche aus der dunkeln Furche, vor der wir standen, jubelnd zum Himmel empor. Die dürren Aeste der Bäume hatten sich mit frischen Blättern und weißen Blüthen bekleidet, und das junge Grün der Saaten lachte im goldenen Sonnenschein. In der Ferne erblickten wir ein liebliches Mädchen, das uns entgegenkam. Es war die holde Anna am Arme ihres Vaters, die mit bräutlicher Ungeduld uns aufsuchte. Bei meinem unerwarteten Anblick erröthete sie vor süßer Scham. Mein Freund nahm ihre Hand, die er zärtlich an seine Lippen drückte, wobei sein Auge von Glück und Freude leuchtete; ich aber dachte im Stillen an das alte Sprüchwort: auf Regen folgt Sonnenschein.

Max Ring.



Meißen

(Mit Abbildung.)

Ehe die Elbe in das weite norddeutsche Flachland hinaustritt, durcheilt sie, die Tochter des Riesengebirgs, noch einmal eine mit vielen landschaftlichen Reizen geschmückte Gegend. In einer nicht fernen Zeit, die dem Lieblichen vor dem Pittoresken den Vorzug gab, nannte man dieses Gebiet das sächsische Paradies. An der Elbe hin erstreckt es sich von Dresden bis zum Schloß Hirschstein nahe bei Riesa, und Meißen ist etwa sein Mittelpunkt. In großen Zügen angelegt ist diese Gegend nicht, wohl aber bietet sie den anmuthigsten Wechsel von Rebhügeln, deren jeder sein weißes Winzerhäuschen oder sein anspruchsvolleres Lusthaus trägt, sonnigen Felsenhöhen, frisch belaubten Bergen, reichen Fluren und schluchtähnlich eingeschnittenen Thälern. Mit einem Wort, sie ist heiter, und es ist wohl glaublich, daß Karl V., als er sie nach der Mühlberger Schlacht vom Erkerfenster des Meißener Bischofsthurmes überblickte, den Ausspruch gethan habe, er werde lebhaft an Italien erinnert.

Schöne Ruinen erheben sich hier über den Elbufern nicht. In den langen Kämpfen, die vom zehnten Jahrhundert an zwischen den Sorben und den deutschen Rittern stattfanden, waren halbe Maßregeln nicht in Gebrauch. Eroberte man eine Burg, so zerstörte man sie bis auf den Grund. Die Sorben bewohnten das rechte Ufer, die Deutschen das linke. Die Goldkuppe ist die letzte Erinnerung an die slavische Zeit. Wenige von denen, welche sie besteigen, um unter dem Schatten ihrer ehrwürdigen Linde der weiten Aussicht zu genießen, werden sich bewußt sein, in welch’ naher Verwandtschaft dieser künstliche runde Berg, einst ein Heiligthum der Slaven, mit jenen merkwürdigen Mohillen oder Kurganen steht, die von den ukrainischen bis zu den innerasiatischen Steppen verfolgt werden können. In den Ortsnamen hat sich das Slavische besser erhalten, Okrilla, Zscheila, Korbitz, Jesseritz, Pröda, Jahna, lauter Dörfer der Meißener Umgegend, verrathen am Klange, wer sie getauft hat. Auch ein Gewerbe nennt sich noch mit slavischem Namen: die Schiffszieher heißen Bomätschen. Sie sind eine Staffage der Elbufer, die am besten aus einer gewissen Entfernung betrachtet wird. Zu zwanzig und dreißig an ein langes Seil gespannt, um Takt schreitend und alle zugleich den Stock aufsetzend, der sie bei ihrer schweren, von einem nicht unmelodischen Gesange begleiteten Arbeit unterstützt, werden sie Jedem gefallen, der ihnen auf dem Leinpfade nicht in den Wurf kommt. Sie hassen jeden Spaziergänger, und vor Crinolinen hat Niemand weniger Respect, als sie.

Auf dem linken Elbufer haben fünf deutsche Burgen, Hirschstein, das Meißener Schloß, Siebeneichen, Scharfenberg und Gauernitz den Angriffen der Feinde und den langsameren Einwirkungen der Zeit Trotz geboten. Alle gewähren malerische Ansichten, das Innere ist bloß beim Meißener Schloß bedeutend. Meister Arnold von Westphalen, der auch das Torgauer Schloß errichtete, hat es in den Jahren 1471–1483 erbaut. Die Zeit der ausgehenden Gothik, in welche der Bau dieser Albrechtsburg fällt, verräth sich darin, daß die sternförmigen Bogen der Fenster nach unten gesenkt sind. In allen übrigen Formen zeigt sich der reinste gothische Styl in seiner ganzen Pracht und Mannigfaltigkeit. Fünf der sechs hohen Stockwerke steigen in Wölbungen übereinander auf und setzen der äußern Luft keine eigentlichen Wände entgegen, sondern massige Pfeiler, zwischen denen Fenster von ungewöhnlicher Breite eingeschlossen sind. Von diesen Außenpfeilern und von den Mittelpfeilern der Zimmer gehen Bogenspannungen aus, durch deren geistreiche Combinirung die verschiedensten Sterne, Kreuze, Netze und Fächer entstehen. In allen Theilen des großartigen Baues sind die prächtigsten Beispiele von Steinornamentik wie spielend ausgestreut. Alle Deckenwölbungen, die der schmalsten Gänge und der kleinsten Cabinete nicht ausgeschlossen, alle inneren Gliederungen der Thür - und Fenstergewände sind von unvergleichlicher Schönheit. Ein Meisterwerk ist der Haupttreppenthurm mit seiner


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_822.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)