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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 2.   1862.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Letzte seines Stammes.

Novelle von Fanny Lewald.
(Fortsetzung)

Es war im Sommer des Jahres 1787 und die Sonne hatte sich noch nicht aus dem Frühnebel eines heißen Julitages emporgerungen, als zwei Reiter in einem der entlegensten Theile des Bois de Boulogne Halt machten.

„Es ist noch Niemand hier!“ sagte Deutsch sprechend der Jüngere von ihnen, indem er vom Pferde stieg und dieses dem Reitknecht übergab, welcher ihnen auf dem Fuße gefolgt war.

„Um so besser,“ entgegnete der andere Herr, „so hat man Zeit sich abzukühlen, und die Hand wird ruhig.“ Er knöpfte dabei den Reitrock von dunkelm Tuche auf, den er über der rothen Uniform der königlichen Schweizergarden trug, nahm den kleinen dreieckigen Hut vom Kopfe und trocknete sich mit dem seinen, von Spitzen geränderten Taschentuche leicht die Stirne. Dann legte er die Hände auf dem Rücken zusammen und fing an, langsam einen kleinen Raum in regelmäßigen Wendungen auf und nieder zu schreiten, als wenn ihn keine Sorge drückte und keine Gefahr ihm drohte.

Er war ein großer, breitbrustiger und auffallend schöner Mann von gerade dreißig Jahren; weil er aber schlank war und leichte Bewegungen hatte, sah er noch jünger aus. Sein schwarzes Haar, welches in natürlichen Locken seine Schläfen umgab, und die großen, dunkelblauen Augen machten ihn sehr anziehend. Seine äußerst sorgfältige Kleidung verrieth, daß er sich seiner Vorzüge wohl bewußt war und ihnen durch keine Vernachlässigung Abbruch thun mochte. Seine Uniform zeigte, wie gut er gewachsen sei, und sein Jabot und seine Manschetten machten durch die Sorgfalt, welche offenbar auf dieselben verwendet worden war, seinem Geschmacke Ehre.

„Ich habe Noth gehabt, gestern in den wenigen Stunden noch meinen Urlaub zu erhalten!“ sagte er nach einer Weile. „Man schien Etwas zu vermuthen, man meinte, es wären eben jetzt schon so Viele beurlaubt, ich solle warten.“

„Und wie erlangten Sie ihn endlich?“ fragte der Jüngere.

„Ich sagte die einfache Wahrheit, die aber für mich freilich keine Wahrheit in sich schloß. Ich gab Familienangelegenheiten vor und sprach von der Heirath, zu welcher Deine Mutter mich zu überreden wünscht. Das zerstreute die Muthmaßungen und Zweifel in doppeltem Betrachte, und der Urlaub ward mir dann sogar, wie ich es wünschte, auf unbestimmte Zeit bewilligt.“

Inzwischen hatte er seinen Degen losgemacht und ihn seinem Gefährten übergeben. Dieser zog ihn aus der Scheide, prüfte seine Schärfe, stemmte die Spitze gegen den Boden und freute sich der Biegsamkeit der feinen, unterhalb des Griffes reich mit Gold ausgelegten Klinge.

Trotzdem war eine gewisse Unruhe an ihm zu erkennen. Er sah öfters auf den Weg zurück, von welchem sie gekommen waren, blickte darauf in das stolze Antlitz seines Gefährten und die Allee hinabschauend, an deren Ende ein Wagen sichtbar wurde, sagte er: „Ich wollte, Onkel, Sie hätten auch für einen Wagen und für einen Arzt gesorgt!“

Der Angeredete lächelte, und seinem jungen Gefährten auf die Schulter klopfend, entgegnete er: „Sei unbesorgt, Ulrich! wenn ich des Wagens oder des Doctors bedürfen sollte, wird der Chevalier sich ohne Frage ein besonderes Vergnügen daraus machen, mir den seinigen zu überlassen.“ Er zog dabei die Uhr heraus und bemerkte mit einem Anfluge von Spott: „Er hat’s nicht eilig, wie Du siehst!“

Während dessen war der Wagen aber näher gekommen, und man konnte dem jüngern der beiden Männer ansehen, daß er mit sich kämpfte, daß er eine Frage thun wollte und sie unterdrückte. Endlich sagte er: „Haben Sie mir Etwas aufzutragen? Habe ich Etwas zu besorgen, Onkel?“

Der Andere lächelte. „Man ruft dem Jäger, wenn er auf die Jagd geht, dem Bergmann, wenn er in den Schacht fährt, ein Glück auf! zu, und Du krächzest Unglücksahnungen, wie ein Rabe! Das ist nicht Manier, mein Junge!“ Und mit einem Ausdruck von selbstgefälligem Stolze, der ihm aber ganz vortrefflich anstand, sagte er: „Als ich Dir die Ehre anthat, Dich in dem Duell zwischen mir, dem Grafen Joseph von Rottenbuel, und dem Chevalier von Lagnac zu meinem Secundanten zu machen, dachte ich, daß es an der Zeit sei, Dir durch diese meine Wahl einen bemerkenswerthen Eintritt in die große Welt zu sichern. Auf Deine Rührung war es dabei nicht abgesehen, mein lieber Freund!“

Der junge Mann wurde roth, seine hellen Augen glänzten, man hätte nicht sagen können, ob vor Wehmuth oder vor Zorn. „Sie wissen es, mein Onkel,“ sprach er im Tone der Erklärung, „wie sehr meine Mutter Sie liebt! wie sehr –“

„Ich weiß,“ fiel Graf Joseph ihm in die Rede, „ich weiß! Und ich denke sie ja auch wieder zu sehen, vielleicht in wenigen Tagen sie wieder zu sehen!“ fügte er begütigend hinzu. „Im Uebrigen sei ohne Sorge! Das Fleuret eines Chevalier von Lagnac tödtet keinen Mann wie mich! Er hatte eine Lection nöthig, die soll er bekommen und damit basta!“

Der Graf hatte diese letzten Worte noch nicht vollendet, als der Wagen des Chevalier auf dem Platze hielt. Der Diener öffnete den Schlag, und dem aussteigenden Arzt und Secundanten folgte der Chevalier. Er konnte etwa zweiundzwanzig Jahre zählen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_017.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2020)