Seite:Die Gartenlaube (1862) 018.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und auch er sah auf den ersten Blick noch jünger aus, denn er war klein, von feinem Gliederbau, und die kecken, schwarzen Augen und das kleine Schnurrbärtchen auf der Oberlippe ließen seine helle und frische Gesichtsfarbe fast weiblich erscheinen. Trotz des warmen Wetters hatte er einen weiten weißen Tuchmantel übergeworfen, und die weißen Casimirbeinkleider, die weißseidenen Strümpfe und der braunrothe, mit Schnurenwerk reich besetzte Rock, den er über der weißen Weste trug, stachen in ihrer Hellfarbigkeit und Leichtigkeit gegen den dunkeln Reitrock des Grafen ebenso wie das Aeußere der beiden Gegner von einander ab.

Man begrüßte sich in aller Form, die männliche Haltung des Grafen, die leichte Grazie des Chevaliers verleugneten sich dabei nicht, und nachdem die üblichen Verständigungsversuche von den beiden Secundanten gemacht, von den beiden Kämpfern zurückgewiesen, das Terrain gewählt, die Waffen ausgeglichen, Licht und Sonne Beiden gleich zugemessen worden waren, legten der Graf und der Chevalier die Röcke ab, und das Duell begann.

Es war ein Vergnügen, diese Männer einander gegenüber zu sehen, zu sehen, mit welch ruhigem Lächeln der Graf sich auslegte, mit welch strahlender Heiterkeit der Chevalier ihm entgegentrat. Wie spielend that der Graf die ersten Stöße, aber die sichere Gewandtheit, mit welcher der Chevalier sie parirte und erwiderte, belehrte den Grafen bald, daß er keinen ihm unangemessenen Gegner vor sich habe, und daß die kleine zarte Hand des jungen Mannes eben so sicher die Klinge zu führen wußte, als sie geschickt eine Schleife zu entwenden, einer Dame ein Billet zuzustecken und eine Rose zu überreichen verstand.

Schon nach wenig Augenblicken hatte der Kampf eine andere Gestalt gewonnen. Graf Joseph warf sich fester in seine Stellung zurück, sein Gesicht war ernsthafter geworden, und je unverkennbarer die helle Zuversicht in dem schönen Antlitz seines Gegners hervortrat, je schneller Stoß auf Stoß einander folgten, je mehr verdüsterten sich des Grafen Züge. Die Lection, auf die er es für den Chevalier abgesehen hatte, war nicht so leicht zu geben, als Jener erwartet. Aus der Rolle eines spielenden Angreifers sah er sich, da er anfangs offenbar seinen jugendlichen Gegner zu schonen gedacht, in die Lage eines Angegriffenen versetzt, und plötzlich von seiner Lebhaftigkeit übermannt, that er einen Stoß, der bestimmt war, den Arm des Chevalier zu treffen und ihn kampfunfähig zu machen; indeß eine zu heftige Wendung desselben machte es seinem Secundanten unmöglich, ihn in der rechten Weise zu decken, der Degen entfiel der Hand des Fechtenden, und krampfhaft nach der Brust greifend, sank der junge Mann lautlos zu Boden.

Eine halbe Stunde später fuhr der Wagen des Chevalier langsamen Schrittes über die weichen Sandwege des Boulogner Gehölzes dem Faubourg Saint-Germain zu, während die beiden Schweizer auf raschen Pferden die entgegengesetzte Straße einschlugen, um ihre Garnison in Versailles zu erreichen, wo der Hof sich aufhielt.




In dem Boudoir der Königin waren die Portièren herabgelassen, welche es von dem Nebenzimmer trennten. Zwei Hofdamen saßen in dem letzteren. Die Eine derselben hatte ein Billet in den Händen, das sie eben gelesen und dessen Inhalt auf beide Damen eine erschreckende Wirkung ausgeübt hatte. Sie sprachen leise mit einander, und ihre Unterhaltung mußte irgend einen Bezug auf ihre Herrin haben, denn sie blickten während derselben bisweilen unwillkürlich nach dem Cabinete, als ob von dorther irgend ein Aufschluß oder eine Entscheidung zu erwarten stände.

Es verging aber eine geraume Zeit, ohne daß ein Laut sich aus dem Cabinete hören ließ. Draußen in den langen Taxushecken, zwischen den geschorenen Bosquets von Buchsbaum und Erlen sangen die Vögel. Die Wasser rauschten an allen Ecken und Enden aus den Fontainen hernieder, die Sonne schien hell und warm durch die bis zum Boden herabgehenden Fenster herein und leuchtete bis auf die violetten Vorhänge des Boudoirs, deren goldene Quasten sich in ihrem Lichte prächtig von dem dunkeln Hintergrunde abhoben.

Die Stille fing offenbar an, auf die diensthabenden Damen ihren Einfluß auszuüben, denn sie verstummten allmählich, und die Eine und die Andere hatten sich müde in die hohen Lehnen der niedrigen Sessel zurückgelegt, als die Portière des Boudoirs plötzlich zurückgeschlagen wurde und die damals zweiunddreißigjährige Königin Marie Antoinette in der Thüre sichtbar wurde. Sie war noch im Morgenkleide, aber ihrer zugleich frischen und gebietenden Schönheit stand eine leichtere und zwanglose Kleidung so wohl an, daß die Königin sie vorzugsweise liebte. Ihr Gewand von weißem Mousselin war mit rosa Bändern à la Watteau aufgeschürzt, so daß man ihr Unterkleid von weißem Gros de Tours, die mit rosa Pompons aufgenommenen Falbalas desselben und die weißseidenen Absatzschuhe mit den großen blaßrothen Schleifen sehen konnte. Ein Kantentuch à la paysanne mit rosa Bändern durchzogen umgab ihren Nacken und ihren Busen, und ein ähnliches Spitzentuch mit rothen Rosen verziert, wie die Königin es auch in einem der letzten Schäferspiele in Trianon getragen, war über ihrer hohen, aber bereits durch die Mode gelockerten Frisur befestigt, so daß die Rosen gerade über ihrer Stirne zu liegen kamen und die langen, durchsichtig gepuderten Locken hinter den Ohren der Königin bis tief auf ihre Schulter hernieder fielen.

Die Damen erhoben sich bei ihrem Anblick, und im Zimmer umherschauend fragte die Königin: „Ist die Herzogin noch nicht hier? Ein Uhr ist vorüber.“

Da trat eine der Damen an einen Seitentisch heran, auf welchem sich auf silbernem Teller ein versiegeltes Billet befand, und indem sie es der Königin überreichte, berichtete sie, daß der Läufer der Herzogin vor einer halben Stunde dieses Schreiben überbracht habe.

„Und weshalb erhielt ich es nicht gleich?“ rief die Königin, indem sie das Billet in Empfang nahm.

„Majestät hatten den Befehl gegeben, Sie unter keiner Bedingung zu unterbrechen!“ entschuldigte die Hofdame.

Die Königin hatte währenddem das Blatt eröffnet. Es enthielt nur die wenigen Worte: „Von der Gnade Ihrer Königlichen Majestät, auf die zu bauen Ihre huldvolle Güte mich bereits gewöhnt hat, erbitte ich mir die Erlaubniß, mich eine halbe Stunde später bei Ihrer Majestät einfinden zu dürfen, da ein Unglücksfall in meiner Familie mich schwer getroffen hat und ich, nicht fassungslos vor den Augen meiner allergnädigsten Königin zu erscheinen wage.“

Die Königin war betroffen, sie liebte die Herzogin, und obschon Königin, war sie eine Frau und der Neugier nicht unzugänglich. Sie wendete sich daher an die ältere ihrer Damen und sagte: „Die Herzogin schreibt mir von einem Unglücksfall, welcher sich in ihrer Familie zugetragen und sie schwer getroffen habe. Wissen Sie, Marquise, was Ihrer Cousine begegnet ist?“

Die Hofdame verneinte es, indessen ein flüchtiger Wechsel ihrer Farbe strafte ihre Worte Lüge, und der Königin, früh gewöhnt, die Menschen zu beobachten, und scharfsinnig, wenn sie sich nicht absichtlich verblenden wollte, entging die Bewegung der stolzen Schönheit nicht. Ihr großes, hellblaues Auge fest auf sie heftend, wollte sie daher eben eine zweite Frage an Frau von Vieillemarin richten, als zu deren Glücke die Ankunft der Herzogin von Polignac gemeldet wurde und diese, nach erhaltener Erlaubniß, vor der Königin erschien.

Mit jener persönlichen Ungezwungenheit, welche auch bei Hochgeborenen das sicherste Zeichen ihres Selbstgefühls und ihrer Selbstherrlichkeit ist, ging Marie Antoinette der Herzogin entgegen, und ohne ihr Zeit zu dem ceremoniellen, vorschriftsmäßigen Eintritt zu lassen, sagte sie mit gütiger Lebhaftigkeit: „Sie haben mich mit Ihrem Brief erschreckt! was hat sich in Ihrem Hause Unglückliches ereignet, meine theuere Herzogin?“

Die Königin reichte dabei derselben ihre Hand, welche die Herzogin sich tief niederbeugend küßte, dann richtete diese sich auf, und weil sie wohl wußte, daß fürstliche Herrschaften selbst von liebsten Freunden Auseinandersetzungen ihrer Leiden nicht zu hören lieben, antwortete sie: „Mein Neffe, der Chevalier von Lagnac, ist diesen Morgen tödtlich im Duell verwundet.“

„O, hoffen Sie, er wird genesen!“ rief die Königin, welcher schon die traurige Miene ihrer Freundin peinlich und beschwerlich war.

„Der Ausspruch der Aerzte giebt dieser Hoffnung wenig Raum,“ wendete die Herzogin ein, welche Gründe hatte, die Unterhaltung nicht so kurz abbrechen zu lassen.

„Und wer war sein Gegner?“ forschte die Königin weiter, um nur zunächst von dem Verwundeten nicht mehr zu hören und des Beklagens ledig zu werden.

„Graf Joseph von Rottenbuel, Ew. Majestät!“

„Graf Rottenbuel?“ wiederholte die Königin, „der Major

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_018.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)