Seite:Die Gartenlaube (1862) 114.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Worte und an der Treue ihres Gatten, oder gar an seiner Liebe für sie zu zweifeln.

Die Gräfin hatte eine innere Wahrhaftigkeit, welche es ihr fast unmöglich machte, an den Selbstbetrug in dem Herzen eines Anderen zu glauben. Solche Naturen sind edel, aber meist auch einseitig und streng, und ihre ernste Pflichterfüllung erschreckt und drückt denjenigen, welcher sich derselben nicht in gleichem Grade fähig fühlt.

Veronika war in dem festen Glauben an die Liebe ihres Gemahls, an eine unauflösliche Zusammengehörigkeit mit ihr nach Frankreich gekommen, aber es fiel ihr gleich Anfangs auf, wie sehr der bloße Eintritt in die alten Lebenskreise den Grafen veränderte, und wie das Leben in einem andern Lande und unter einem andern, ihr fremden Volke sich unmerklich und doch störend zwischen sie und ihren Gatten stellte. Veronika war des Französischen, wie damals jeder Wohlerzogene, völlig mächtig, indeß man hatte in ihrem Vaterhause nur deutsch gesprochen, sie hatte diese Gewohnheit auch in ihr eigenes Haus übertragen, und sie liebte ihre Muttersprache. Daß sie in der Gesellschaft französisch reden müsse, verstand sich von selbst; aber es that ihr leid, daß Graf Joseph sich des Deutschen völlig entäußerte, sobald sie den Boden Frankreichs betreten hatten, ja daß er ihr eingestand, er fühle sich mehr er selbst, er fühle sich freier und belebter, wenn er französisch reden könne. Daß dies der Fall sei, konnte sie gewahren, aber wer verzichtet gern auf den Klang der Sprache, in welcher er von geliebtem Munde die ersten Liebesworte sprechen hörte, und wer giebt es gern auf, sein volles Herz in die ihm angeborene Muttersprache zu ergießen?

Es war der Gräfin, als habe sich plötzlich eine unsichtbare Schranke zwischen ihr und ihrem Gatten aufgebaut, und selbst das Wohlgefallen, das Graf Joseph an den Huldigungen zu haben schien, mit denen man seine junge Frau empfing, vermochten ihr jene peinliche Empfindung nicht zu nehmen. Dazu hatte gleich das erste Zusammentreffen mit der Marquise die Gräfin erschreckt, denn dem aufmerksamen Auge Veronika’s war der böse und spöttische Blick nicht entgangen, mit welchem die Marquise sie betrachtete, und die Zuvorkommenheit derselben hatte das Gepräge einer so stolzen und sichern Zuversicht in sich getragen, daß Veronika erkannte, welche Macht Franziska in der freien Sicherheit der Weltgewandtheit vor ihr voraus hatte.

Veronika’s ruhige Seelenfreiheit hatte in des Grafen Augen stets ihren größten Reiz gebildet, und diese Freiheit ging ihr bald verloren. Sie war nicht eitel, sondern sehr bescheiden, und aufzufallen war ihr kein Genuß. Die gute Laune, mit welcher sie sich vor der Freifrau von Thuns ihrer Erfolge am Hofe gerühmt, war daher nur wie das laute Singen gewesen, mit welchem ein furchtsames Kind sich auf unbekanntem und einsamem Wege Muth zu machen sucht. Sie hielt sich selbst geflissentlich die Mittel vor, welche ihr zu Gebote standen, aber damit sie sich dazu entschloß, mußte ihr schon die Befürchtung gekommen sein, daß sie in die Lage gerathen könne, diese Mittel zu ihrer Vertheidigung zu gebrauchen.

Leider betrog diese Ahnung ihres Herzens sie nicht. Die Marquise hatte die eitle Unersättlichkeit der Herrschsucht. Je mehr sie erlangt hatte, um so mehr wollte sie erlangen, und die Umstände waren ihrem Ehrgeiz auf das Unerwartetste entgegengekommen.

Trotz aller Bitten der Königin hatte die Herzogin sich bei dem Beginne der Adelsauswanderung derselben angeschlossen und gleichzeitig mit dem Grafen von Artois Frankreich verlassen. Die Königin, welche sich auf diese Weise ihres nächsten Umgangskreises und ihrer eigentlichen Vertrauten und Rathgeber beraubt gefunden, hatte sich eine neue Umgebung bilden müssen, und die Marquise, welche weniger zu verlieren und mehr zu gewinnen hatte, als ihr Verehrer, der Graf von Artois, und ihre Cousine, die Herzogin, hatte es mit kluger Berechnung vorgezogen, auf einem Posten zu bleiben, der ihr, wie immer die Verhältnisse sich auch gestalten mochten, nur Vortheile zu versprechen schien. Triumphire das Königthum, so mußte das treue Ausharren der Marquise in den Augen der Königin den Sieg über die Herzogin davontragen, und sollte, was man damals in der Nähe der Königin noch für unmöglich hielt, die Macht des Volkes das Uebergewicht erlangen und das Königspaar selbst zu einer zeitweiligen Entfernung aus seinem Reiche genöthigt werden, das mit Hülfe der befreundeten Mächte wieder erobern zu können, man sich gewiß glaubte, so konnte die Marquise selbst gegen den Grafen von Artois, dem zu folgen sie sich geweigert hatte, ihre Treue an das Herrscherhaus als ein Zeichen ihrer allgemeinen Herzenstreue geltend machen.

Marie Antoinette hatte, so lange die Herzogin in ihrer Nähe gewesen war, wenig Neigung für die Marquise gehabt und sie richtig und streng beurtheilt. Jetzt glaubte sie ein Unrecht vergüten, eine verkannte Treue belohnen zu müssen, und die demüthige Bescheidenheit, mit welcher die Marquise die ersten Zeichen der königlichen Gunst und Zuneigung empfing, nahmen die Königin, welche Anhänglichkeit und Ergebenheit in diesen Zeiten höher noch als früher schätzen gelernt hatte, zu Gunsten der Marquise ein. Ja selbst jene Eigenschaften, welche ihr an Franziska bis dahin mißfällig gewesen waren, ließen sich jetzt mit anscheinendem Vortheil verwerthen. Die allgemeine Gefallsucht der Marquise, ihr Hang zu Intriguen brauchten nur in der zweckmäßigen Richtung geleitet zu werden, um hie und da Nutzen bringen und der Partei, welcher sie durch ihre Geburt und Stellung angehörte, vielleicht Anhänger aus den Reihen der Opposition oder doch mindestens Nachricht von den Absichten und Plänen derselben zuführen zu können. Und wann waren absolute Herrscher und deren Anhänger jemals schwierig in der Wahl der Mittel, wo es die Erreichung ihrer Zwecke galt?

Mitten in dem drohenden Umsturz, nahe vor dem Abgrunde, welcher die Monarchie zu verschlingen drohte, genoß die Marquise Selbstbefriedigungen, wie sie solcher nie zuvor theilhaftig geworden war, und da ihre Schönheit eine herausfordernde war, so machte jeder neue Erfolg sie glänzender und kühner. Mit einer Freiheit, welche sich zuzuerkennen die Herzogin zu stolz und zu sehr in ihren Vorurtheilen befangen gewesen war, bewegte die Marquise sich aus einem Gesellschaftskreise in den andern. Ueberall hatte sie Verbindungen, suchte sie sich geltend zu machen. Sie hatte es dem Hofe als ein Zeichen ihrer Treue auszulegen gewußt, daß sie sich der Auswanderung nicht angeschlossen, sie verstand es in der Gesellschaft der oppositionellen Kreise, ihr Verweilen in Frankreich als einen Beweis ihrer Zuversicht in die Möglichkeit einer friedlichen Ausgleichung der Parteien und als Zeichen der Hoffnung auf eine beruhigte Zukunft darzustellen, welche der energische Edelsinn des dritten Standes und seiner Führer über das Vaterland herauszuführen nicht ermangeln könne.

Ihr Selbstgefühl war zu der Zeit, in welcher Graf Joseph seine Gemahlin zum ersten Male bei Hofe vorstellte, auf das Höchste gestiegen. Trunken von befriedigter Eitelkeit, wie die Marquise es war, hatten die Schönheit der Gräfin und die sichtliche Genugthuung, welche die Anerkennung derselben dem Grafen bereitete, dazu hingereicht, Franziska’s Abneigung gegen die Gräfin in eine entschiedene Feindschaft zu verwandeln und ihr die Wiedereroberung des Grafen als eine Ehrensache erscheinen zu lassen. Die Gelegenheit, sich beiden Gatten zu nähern, war eine der günstigsten. Veronika war fremd in Paris, fremd in den Sitten und in der Etiquette des Hofes. Eine Frau, welche sich, wie Franziska, schon lange auf dem glatten und gefährlichen Boden desselben bewegt, konnte der Gräfin leicht nützlich werden, ihr manche Dienste leisten, manche Unbequemlichkeiten ersparen; auch Graf Joseph hatte durch seine längere Entfernung von dem Hofe und mehr noch durch die gewaltsamen Umwandlungen, welche sich in seiner Abwesenheit vollzogen, nicht mehr die alte Kenntniß der Zustände und der Personen, die ihm sonst ein sicheres Bewegen möglich gemacht, und es war mit dem Anschein offensten Freimuths, daß Franziska sich den Ankömmlingen näherte, ihnen ihre Dienste anzubieten.

Nur wenige Tage nach ihrer Vorstellung bei der Königin saß die Gräfin eines Mittags in ihrem Boudoir, als man ihr die Marquise meldete, und noch ehe sie Zeit gehabt hatte, dem Diener eine Antwort zu ertheilen, trat dieselbe bei der Gräfin ein.

„Verzeihen Sie mir, meine theuere Gräfin!“ sagte sie, „daß ich so ohne Umstände bei Ihnen erscheine. Wir, die wir unsern Gebietern treu geblieben sind, haben uns eben hier, sehr wider unsern Willen, wie ich Sie versichern kann, von denjenigen unserer Sitten lossagen müssen, welche das sogenannte Volk in seiner sogenannten Gesellschaft nicht anzuerkennen für gut befindet.“ – Sie lachte und fügte mit erkünsteltem Uebermuthe hinzu: „Kommt und geht man doch jetzt auch in den Zimmern der Majestäten mit liebenswürdiger, bürgerlicher Freiheit und Ungezwungenheit. Also Vergebung, liebe Gräfin, und sehen Sie einen Beweis der Freundschaft

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_114.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)