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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

als möglich ausgeräumt, und von dem Pianino ertönten verlockende Klänge für die Herzen und Füße der Jugend. Germania bat Ruge, den Ball mit ihr zu eröffnen. Er zögerte nur einen Augenblick, dann ging er lustig auf den Scherz ein und bat um einen langsamen, deutschen Walzer, und diesen tanzte er so zierlich und gewandt, als sei er immer in der Uebung gewesen. Nun wollten auch andere Damen mit ihm tanzen. Mit vielem Vergnügen willfahrte er Allen und erfreute die ganze Gesellschaft durch seine jugendliche Frische. Er gefällt den Engländern außerordentlich, und nach Allem, was ich sah, muß seine und seiner Familie Stellung in Brighton eine sehr gehobene sein.

Es war spät, als die Gesellschaft sich auflöste und wir das freundliche Schlafzimmer benutzten, das mir und Henz eingeräumt worden war. – Am andern Morgen sahen wir den Hausherrn nur flüchtig beim Theetrinken, da sein Tagewerk schon früh beginnt. Seine Damen leisteten uns noch bis ein Uhr Gesellschaft, und nach einem freundlichen Abschied führte uns der Dampfwagen wieder nach London. Den folgenden Tag verließ ich England und kehrte um eine liebe Erinnerung reicher in das Vaterland zurück.

Ich konnte nicht widerstehen, Ruge’s Freunden in Deutschland den bei ihm verlebten Tag zu schildern, und wenn ihm die Zeitung zu Gesicht kommen sollte, was nicht unmöglich, da die „Gartenlaube“ auch in Brighton gern gelesen wird, so bitte ich ihn, mir die kleine Indiskretion zu verzeihen. Eine Aeußerung von ihm berechtigte mich dazu, da er sagte: Alles, was von Andern aus seinem öffentlichen oder Privatleben gedruckt worden sei, habe ihn nicht erzürnt, sobald es nur Wahrheit gewesen. Dann wollte ich, zur Beruhigung für die Deutschen daheim und zugleich zur Erklärung meiner, anscheinlich einen bitteren Widerspruch in sich schließenden Überschrift, den alten Verehrern Ruge’s einen Einblick in dessen Verhältnisse eröffnen; sie finden darin im Allgemeinen das zufriedenstellende Bild der Verhältnisse unserer namhaften verbannten Landsleute und namentlich der Schriftsteller. Wissen, Kraft und Fleiß hält sie auch in der Fremde oben. Trotz alledem behält aber das Wort „im Elend“ für sie seine volle schwere Bedeutung in gar vielen Stunden, wo das Heimweh mit seinem unbeschreiblichen Schmerz in den treuen deutschen Herzen aufgeweckt wird und vergeblich auf Heilung aus Deutschland hofft.





Großfürst Constantin und sein Einzug in Jerusalem

Von Constantin Tischendorf.[1]


Bald nach der Mittagsstunde des 10. Mai erspähten wir am Horizonte die Masten zweier Fregatten, die allem Anscheine nach aus Griechenland kamen. Da ihr Erscheinen sogleich von allen Consulatsflaggen zu Jaffa begrüßt wurde, so blieb kein Zweifel darüber, daß sie den lange erwarteten hohen Gast, den Großfürsten Constantin, ans Gestade des heiligen Landes führten. Die beiden Fregatten, zu denen später ein Linienschiff kam, hatten noch nicht lange Anker geworfen, als sich die aufgeregten Wogen hindurch eine Consularbarke an Bord derjenigen mit der Admiralsflagge wagte. Es waren die Consuln von Jerusalem und von Jaffa und der Generalconsul von Syrien, welche sich beeilten, den hohen Ankömmlingen das erste Willkommen entgegen zu bringen. Trotz der unruhigen See fuhren nur eine Stunde später der Großfürst und die Großfürstin mit ihrem ältesten Sohne Nikolaus an’s Land. Als sie den Kai betraten, wohin die Bevölkerung massenhaft zusammengeströmt war, wurden sie durch den Erzbischof von Petra, durch den Kaimakam von Jaffa und den Commandanten der dortigen Besatzung empfangen. Sie begaben sich in die griechische Kathedrale zu einem Te deum und betraten darauf die für sie bereit gehaltenen Gemächer im griechischen Kloster. Dort wurden des Abends sämmtliche Consuln und Notabeln von Jaffa empfangen.

Aus der Quarantaine erlöst, ritten wir andern Morgens um 9 Uhr hinaus auf die Fluren von Jaffa. Zwischen endlosen, zu lebendigen Mauern gewordenen Hecken von Cactusfeigen, hinter denen in feurigem Roth blühende Granaten und von goldenen Früchten strotzende Orangen- und Citronenbäume überall hervorsahen, gelangten wir in die berühmte Ebene Saron. Ihre Rosen und auch ihre Lilien hatten freilich schon abgeblüht; aber das Auge weidete sich ringsum am frischen blumigen Grün und an üppigen Getreidefeldern; bei den Dörfern am Wege und in der Ferne fehlte es auch nicht an Oliven- und Feigenbäumen.

Um die Mittagsstunde erspähen wir vor uns die Spitze des berühmten alten Thurmes bei Ramleh. Bald winkten uns auch inmitten dunkelgrüner Haine die schimmernden Minarets der Stadt entgegen, in der fromme Augen das biblische Arimathia, die Heimath dessen, der in seinem Felsengrabe den Herrn bestattet, wiedererkennen wollen. Gegen 1 Uhr hielten wir am Portale des lateinischen nach Nikodemus benannten Klosters.

Nachdem wir in den stillen freundlichen Räumen desselben einige Stunden gastliche Aufnahme genossen, zogen wir weiter. Kaum hatten wir das freie Feld erreicht, so sahen wir in geringer Entfernung vor uns die großfürstliche Karawane ziehen. Sie war früh um 7 Uhr von Jaffa aufgebrochen, hatte die Mittagsstunden im griechischen Kloster zu Ramleh gerastet und hatte nun kurz vor uns die Stadt verlassen. Den Anfang der Karawane bildete ein sehr stattlicher Reiterzug. Voraus ritten der Erzbischof von Petra in geistlicher Tracht, der Kaimakam von Jaffa und der Commandant der dortigen Garnison, gefolgt von einer in ihren Waffen und bunten Uniformen glänzenden Truppe regulärer Soldaten und Baschi-Bozuks. Der Großfürst ritt einen Schimmel von edler arabischer Race, den der Pascha-Gouverneur von Jerusalem entgegen geschickt hatte. Die Großfürstin bediente sich eines gleichfalls vom Pascha geschickten türkischen Tragsessels, kutschenartig gebaut und getragen von Maulthieren, während 14 Mann von der Garde-Equipage des Großadmirals die Leib-Escorte der hohen Frau bildeten. Die Damen in ihrer Begleitung bedienten sich größtenteils gewöhnlicher Sänften. Der zehnjährige Prinz ritt ein Pferd, dessen Sattel nach Art eines Armstuhls eingerichtet war. Das großfürstliche Gefolge mochte gegen hundert Reiter zählen. Ein großer Theil derselben trug leichte weiße Sommerkleidung, auch weiße, Seemanns-Mützen, gleich dem Großfürsten, dem ein weißer Burnus um die Schultern flatterte. Den Schluß der Karawane bildete ein Trupp Fußvolk; es waren 300 Mann von der Escadre, von Kopf bis zu Fuß in weißer Seemannstracht, mit den Miniébüchsen über der Schulter, einen Tambour in ihrer Mitte.

Wie nun diese Karawane vor unseren Augen in langer Linie, durch die Felder den Weg entlang zog, gewährte sie einen reizenden Anblick. Ihresgleichen mag die große Pilgerstraße schwerlich seit den Kreuzzügen gesehen haben. Die Erinnerung an jene wunderbaren Regungen eines großartigen christlichen Patriotismus stieg unwillkürlich in meiner Seele auf.

Wir hatten gegen 3 Stunden Ramleh verlassen, als wir an zwei sehr merkwürdigen Oertlichkeiten vorbeikamen, deren eine dicht an unserem Wege, die andere 20 Minuten davon enfernt lag. Die auf imposanter Höhe gelegenen Ruinen tragen seit Jahrhunderten den Namen Latrun, da hier die Mönche des Mittelalters die Heimath des am Kreuze begnadigten Schächers wiedererkennen wollten. Mit mehr Grund machen sie auf die Ehre glorreicher makkabäischer Erinnerungen Anspruch, vermehrt durch die Kreuzfahrer unter Gottfried. Nicht Geringeres knüpft sich an die anderen Ruinen. Da sie auf die gleichfalls durch die Makkabäer bekannte Stadt Emmaus zurückgeführt werden, so fällt ihnen auch nach der ältesten Tradition die Erinnerung an jene wunderbare Begegnung des Auferstandenen mit den beiden wandernden Jüngern zu.

Daß wir nunmehr das Gebirg Juda erreicht hatten, bewies unser eigener Weg, der immer unebener und rauher wurde. Bei hereinbrechendem Dunkel hatten wir ein so beschwerliches lang ausgedehntes Steinicht bergauf und bergab zu durchreiten, daß man hätte glauben mögen, dies sei unmöglich der rechte, alljährlich von so viel Tausenden von Pilgern betretene Weg. Bald brachte wildes über den Weg laufendes Strauch- und Wurzelwerk ein Hinderniß, bald kreuz und quer liegende Felsblöcke und Steingeröll;

bald war der Boden von den Gebirgswassern zerrissen und verlangte

  1. Auszugsweise aus des Verfassers demnächst bei F. A. Brockhaus erscheinenden „Erinnerungen aus dem heiligen Lande“.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_251.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)