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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 20.   1862.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Zweimal gelebt.

Einer wahren Begebenheit nacherzählt
von Günther von Freiberg.
(Fortsetzung.)



Plötzlich schien eine gewaltige Erregung die junge Dame der Apathie zu entreißen; hastig ergriff sie eine spanische Mandoline, und ihre schmalen Finger irrten auf den Saiten des Instrumentes umher, als suchten sie nach einer Melodie, ohne sie finden zu können. Bald verklärten sich die Augen der Musicirenden zu einer wunderbaren, ekstatischen Begeisterung, bald zogen sich ihre Augenbrauen krampfhaft zusammen, der Ausdruck tiefsten Seelenleidens malte sich wieder auf ihrem Gesicht. Die Accorde, die sie der Laute entlockte, rannen in eine Disharmonie zusammen. Weinend vor Ungeduld schleuderte sie die Mandoline von sich, – der Papagei flog kreischend in die Höhe, setzte sich auf einen Ahorn und schaukelte sich in den grünen Ringen des Riesenepheus, der den Baum umklammert hielt.

„Ich kann die Weise nicht wiederfinden,“ sprach das schöne Weib unter hervorquellenden Thränen vor sich hin, „nie und nimmermehr - - und fänd’ ich sie, so wär’ ich gerettet!“ –

Zusammenbrechend sank sie auf das Lager, unter Palmenschatten und Blätterrauschen den Schmerz auszuweinen.

„Herrin,“ sprach eine Stimme dicht hinter ihr, und gleich darauf schob ein glänzend schwarzer, voller Arm die Vorhänge der Balconthür auseinander und diesem Arm folgte bald das dunkle Gesicht der Negerin Messaouda, die sich mit gekreuzten Armen vor der Gebieterin neigte.

Die Angeredete schrak zusammen, fuhr schnell mit einem Taschentuch über die Augen und versuchte eiligst die Spur ihrer Thränen zu verwischen. „Kommt er, Messaouda?“ fragte sie auf Französisch die Dienerin, sich in den Kissen aufrichtend.

„Nein, Herrin, noch nicht,“ entgegnete die Schwarze in derselben Sprache mit sehr fremdem Accent, „aber statt Deines Herrn,“ setzte sie geheimnißvoll lächelnd hinzu, „statt seiner – –“

„Was giebt es?“ fragte die Dame theilnahmlos.

„Prachtvolle neue Kleider sind angekommen,“ jubelte die Negerin, „buntgestreifte, silberdurchwirkte aus Maskara und Smyrna, und luftige indische Stoffe! Da ist ein Gewand, so spinnwebzart, als hätten es Geister am Kaschmirsee nächtlich gewoben! Du wirst darin strahlen, o Herrin, wie die Lilie des weisen Salomo!“

Die Herrin seufzte, ohne zu antworten, und zupfte gedankenlos Blätter und Blüthen aus den Vasen.

„Willst Du die Kleider betrachten? Im Spiegelgemach hab’ ich sie ausgebreitet.“

Die Gebieterin schüttelte den Kopf. Die Zofe zuckte die Achsel und schwieg einige Augenblicke. Bald jedoch fuhr sie gewichtig fort: „Allah Kerim! was vergaß ich? Ein Kästchen ist dabei, eine Perlenschnur enthaltend: fünf Reihen Perlen aus Persiens Meerfluth gefischt! Kostbarer besaß die Königin Zenobia kein Halsgeschmeide; – darf ich es holen?“

„Später,“ antwortete die Schöne nachlässig, und flocht mechanisch die Blumen und Blätter zu einem Kranz.

„O Herrin, binde die Perlen um zur Zier Deines Halses! Ihm zu Liebe, Deinem Gebieter zu Ehren, der Dich verschwenderisch mit Kostbarkeiten überhäuft.“

Ein leichtes Roth belebte die blassen Wangen der Angeredeten; sie ließ das Kranzgewinde zu Boden gleiten und lächelte wehmüthig. „Ja, Messaouda, Du hast Recht, – ich bin eine Undankbare! Geh, hole mir das Geschmeide, ich werde ihm damit geschmückt entgegen gehen. O käme er nur!“

Und wieder zitterten Thränen an ihren Wimpern.

„Beste Herrin, weinend?“ Die gutherzige Negerin knieete neben dem Divan nieder.

„Ist es ein Wunder,“ rief die Aufgeregte, „daß ich in dieser tödtenden Einsamkeit seine Nähe ersehne?“

„Es ist wahr, schöne Herrin. Er hält Dich in strenger Haft, der Gebieter,“ sagte die Dienerin einschmeichelnd. „Er, ein Abendländer, ist mißtrauischer als ein Moslem! Versagt er Dir doch sogar den Umgang mit anderen Frauen und gestattet weder, daß Du die Bäder in der Stadt besuchst, noch die Magazine der Kaufhallen. Von einer Reise über Land ist nun vollends nicht die Rede.“

„Und eben diese grausame Eintönigkeit reibt mein Leben auf. – Ach, Messaouda, wohl wäre ich eher zu beneiden, als zu beklagen; – ich habe ja seine Liebe! Aber sobald er mich allein läßt, fassen mich seltsame Gedanken. Die Welt, die Ferne da draußen, sie lockt, sie reißt mich an sich, als lebte dort eine Seele, die etwas von mir zu fordern hat, – die eine Gewalt über mich besitzt, die mich zu sich zwingt! – Doch, nein, nein! – – es ist nicht so – – kindisches Geschwätz – – ich weiß nicht, was ich rede! Vergiß, was ich sagte, hörst Du?“

Und zusammenschauernd blickte die Phantasirende scheu umher.

„War denn Dein früheres Leben nicht anders?“ forschte die Schwarze neugierig, „bevor Du hierher kamst und ich in Deine Dienste trat. Sprich, o Herrin?“

„Mein früheres Leben?“ so rang es sich mühsam von den Lippen des schönen Weibes los, indem sie wie geistesabwesend in die Weite starrte, „ja siehst Du, das ist es eben! O, wenn Du wüßtest, was es heißt, ohne Vergangenheit leben zu müssen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_305.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)