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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

finden, die ich zur Erholung vom Actenstaube treibe, und bei allen Narrheiten hat Heinrich Recht, daß sich in unserm Hause irgend ein fremder Einfluß zu meinem Schaden geltend machen muß. Du bist selbst verschüchtert worden; jetzt aber merke auf: Ich will Dein treuester Helfer in Bezug auf meine Schwester sein, wenn Du den Dingen zu Hause auf den Grund gehst, ohne Dich irre machen zu lassen – ich werde noch heute Nacht an das Mädchen schreiben, und Du magst morgen den Brief selbst mit Dir nehmen. Erst nur klar sehen, Fritz, und dann müßten die Umstände sehr sonderbarer Natur sein, wenn wir nicht mit vereinter Kraft uns Beiden helfen sollten – trotz der Eigenthümlichkeiten meines Vaters!“

Römer’s Gesicht hatte sich während der letzten Worte höher gefärbt, und mit einem kräftigen Drucke legte er seine Hand in die dargebotene des Freundes. „Ich gestehe Dir jetzt offen,“ sagte er, „daß ich meine Reise hierher zum Theil mit in der Hoffnung unternahm, mich Deinen Interessen in Bezug auf die Vorgänge in Eurem Hause anschließen zu können. Jetzt habe ich eine gewisse Berechtigung zum Handeln, und Du sollst bald genug von mir hören, verlaß Dich darauf!“

„Wenn nur der Kirschbaum nicht schon besetzt ist!“ brummte der Tischler.

„Nun aber die Schweizer Reise – was ist das mit der Prinzessin und der heutigen Soiree?“ fuhr der Erstere fort, als wolle er damit jeder weitern Bemerkung über seine eigenen Angelegenheiten vorbeugen.

„Eine von Heinrich’s Faseleien!“ versetzte der Referendar „Ich hatte eine flüchtige Begegnung in den Alpen und glaubte die Erscheinung hier wieder zu erblicken, das ist Alles!“

„Und von der Soiree halte ich Dich jedenfalls ab,“ sagte Römer sich erhebend, „Du hättest mir früher ein Wort davon sagen sollen!“

„Ich würde sie schon Deines Besuchs wegen ganz bei Seite lassen,“ erwiderte Jener, wie eine leichte Befangenheit niederkämpfend, „wenn es nicht eine Art Dienst wäre, der mich hinruft. Zu drei alten Damen den Vierten im Whist machen, oder eine unglückliche Sitzengebliebene von ihrem Stuhle erlösen, das sind die Beschäftigungen, zu denen unsereins gebraucht wird; aber sie geben den Eintritt in einen Gesellschaftskreis, durch den es doch nur möglich ist, sich einmal rasch vorwärts zu poussiren.“

„Vergiß nur in Deinem heutigen Dienste den Brief nicht, ich erwarte Dich morgen früh im Hotel!“ lächelte der Andere, sich zum Gehen anschickend; Hugo schien aber die neckende Beziehung in dem Tone des Sprechenden zu überhören und geleitete diesen mit einem Händedrucke vor die Thüre.

Als er zurückkehrte, machte er mit unmuthig zusammengezogenen Augen einen raschen Gang durch die Stube. „Heinrich –“ sagte er dann stehen bleibend.

„Ganz recht,“ rief der Angeredete, sich steif aufrecht stellend, „ich bin diesmal mit meinem Geschwätz ein wirklicher Esel gewesen; so geht es aber, wenn man seinem Factotum nur ein halbes Vertrauen schenkt. Ich habe erst gemerkt, daß ich der Wahrheit auf den Kopf geschlagen habe, als es schon zu spät war. Glaubst Du wirklich, sie heute zu treffen, und weißt Du jetzt, wer sie ist?““

„Hole mir eine Droschke!“ rief der Andere, den Schlafrock von sich werfend und nach der bereitliegenden Weste und weißen Atlasbinde greifend; aber erst nach einem forschenden Blicke in das sich wieder aufklärende Gesicht des Schulfreundes eilte der Tischler davon. –

Eine halbe Stunde darauf betrat der Referendar das von Equipagen belagerte Hotel des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und schritt in einem Gefühle von seltsamer Beklemmung und ahnender Erwartung die mit Teppichen und Orangerien geschmückte Haupttreppe hinan, ohne fast die den gleichen Weg mit ihm verfolgende Menge in rauschender Seide, blitzenden Uniformen und geleckter Civiltracht zu beachten. Er war kein Neuling in der ihn umgebenden Gesellschaft. Den „Dienst“, von welchem er gegen den Freund gesprochen, gab es allerdings nur in kleineren Abendcirkeln der höhern Beamten seines eigenen Departements, dafür fand aber auch selten eine andere große Fete, wozu einzelne Auserwählte des jungen Beamtenstandes herangezogen wurden, statt, bei welcher er ohne Einladungskarte geblieben wäre, und er hatte jeder derselben gern als einer Auszeichnung genügt, welche er weniger seinen fachlichen Fähigkeiten, als seiner gesellschaftlichen und vielseitigen anderweiten Bildung verdankte. Heute aber begleiteten ihn andere Empfindungen zu der glänzenden Soiree. Zwei Tage waren es her, daß die Züge seiner Geretteten, welche er wie ein wundervolles, aber für immer geschwundenes Traumbild in sich getragen, sich verkörpert wieder vor seine Augen gestellt hatten. Nur eine rasche, flüchtige Erscheinung war es gewesen. Eine offene Hofequipage hatte seine Wohnung passirt, in welcher er, zum Ausgehen fertig, am Fenster gestanden, und unter den reichen Toiletten, welche das Innere des Wagens füllten, hatte sich plötzlich ihr Gesicht gehoben, so hell beleuchtet und bestimmt abgezeichnet, daß kaum ein Irrthum möglich gewesen wäre, wenn er ihre Züge auch jemals hätte verwechseln können. Ein stiller, fester Ernst hatte auf ihrer Stirn gestanden, und in beachtungsloser Gleichgültigkeit war ihr Auge über die begegnenden Menschen geglitten. Mit einem einzigen, vollen Blicke hatte Hugo das Bild erfaßt, ohne doch unter den sich plötzlich in ihm überstürzenden Gedanken einer Bewegung oder eines Lautes fähig zu sein, und erst als im nächsten Augenblicke der Tischler mit der Bürste an ihn herangetreten war, hatte sich seine Ueberraschung gegen diesen, dem er schon nach seiner Rückkunft eine Andeutung von seinem Abenteuer gegeben, Luft gemacht. Er war, ohne sich einer bestimmten Absicht bewußt zu sein, nach der Straße geeilt; als er aber den rasch dahin rollenden Wagen um die nächste Ecke biegen sah, ward ihm völlig klar, daß sie ohne einen besonders glücklichen Zufall wieder ebenso hoffnungslos für ihn verschwunden sei, als damals, wo er, ihrem Gebote folgend, sie von sich gelassen. Hatte er doch nicht eine Ahnung von ihrem Namen oder der Stellung ihrer Familie, so bedeutend beide ihrer jetzigen Erscheinung nach auch sein mochten. Da kam am nächsten Morgen die Karte für die ministerielle Soirée. Die meisten in der Stadt gegenwärtigen Ausländer von Distinction seien eingeladen, hieß es, auch der Hof werde erscheinen, und in Hugo’s Seele stand es plötzlich wie eine unfehlbare Gewißheit, daß er auch sie dort wiederfinden werde. Was er beabsichtigte, wenn sich seine Erwartungen wirklich erfüllen sollten, er, der bei Fêten in diesen Regionen mit Vielen seines Gleichen doch meist nur verurtheilt war „an der Wand zu stehen“, was er zu gewinnen gedachte, wenn es ihm auch wirklich gelang, sich ihr zu nähern, er, der bürgerliche Referendar einer vielleicht hochadeligen Lady gegenüber, die wohl nicht umsonst gesagt: „Namen bringen uns sofort unter den ganzen Zwang der Gesellschaft zurück!“ – das Alles wußte er nicht, dachte auch gar nicht einmal daran; alle seine Gedanken liefen nur in der Vorstellung des Augenblicks zusammen, wo er ihr wieder Auge in Auge gegenüberstehen werde.


(Fortsetzung folgt.)



Das Theater und sein Einfluß aus das Volk.

Von Roderich Benedix.


Kunst und Wissenschaft werden sprichwörtlich immer zusammen genannt. Kunst und Wissenschaft sind es, welche die Völker aus dem Zustande der Barbarei in den der Civilisation überführen, sie sind das ehrendste Zeugniß für ein Culturvolk. Kunst und Wissenschaft befördert zu haben, ist das schönste Lob, das die Geschichte einem Fürsten ertheilt. Man sollte meinen, daß Kunst und Wissenschaft als die höchsten Güter der Menschheit im Volksbewußtsein anerkannt würden. Und doch ist das nicht so der Fall, wie es sein sollte.

Zunächst ist der äußere Erfolg, den Künstler und Gelehrte im Leben erringen, der möglichst geringfügige und außer allem Verhältniß mit der Bedeutung ihrer Leistungen. Die Fürsten streuen mit verschwenderischer Hand äußere Ehren, Orden und dergleichen auf Militär, Diplomatie und Adel – die Gelehrten werden damit karg, noch karger die Künstler bedacht. Für Militär und Diplomatie ist die Staatscasse ein immer offener, freigebiger Säckel, für Kunst und Wissenschaft ist sie eine geizige Stiefmutter. Der hochverdienteste Gelehrte erhält für seine Leistungen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_340.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)