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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 24.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Der Geheimerath hatte sie ohne eine Bewegung angehört. „Ich werde das nicht thun, Kind,“ sagte er jetzt – nicht barsch, nicht kalt abstoßend, aber mit der Ruhe eines unbeugsamen Entschlusses; „und damit Du mich nicht für unnöthig hart hältst, werde ich Dir sagen, weshalb. Der junge Mensch hat kein Herz, weder für seinen Vater, noch für die Ehre des Namens, den er mit uns trägt. Daß die künstliche Stellung, welche ihm seine Eitelkeit über seinem wirklichen Boden geschaffen, einmal mit Schrecken zusammenbrechen werde, wie alles Unnatürliche, habe ich längst gewußt; habe auch gewußt, daß seine Neigung, sich allem Neuen und Modernen auf Kosten einer soliden, geprüften Basis zuzuwenden, einmal das Unglück seines Lebens werden müsse. Ich habe es wahrlich nicht daran fehlen lassen, seinen Blick zu klären, und ich hoffte wenigstens eine Zeitlang, daß, wenn nicht seine bessere Erkenntniß, so doch die Rücksicht und Achtung gegen mich ein Zügel für seine Neigungen sein werde. Er hat mir längst diese Hoffnung geraubt, und was jetzt meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt hat, ist nur eine Folge seines Mangels an Pietät und wahrem Herzen. Wo diese aber fehlen, ist jede neue Hoffnung eine Schwäche. Jetzt wird unser Name, auf dem noch nicht ein Flecken haftet, in den Untersuchungen des Criminalgerichts paradiren und in den Zeitungen durch das Land getragen werden; der ehrenhafte Vater wird unter kühlem Mitleid die Begleitung abgeben müssen, und jeder ungerathene Mensch, gegen den ich ein Wort verlieren möchte, hat das Recht, mir den eigenen Sohn vor die Augen zu halten. Ich werde das ertragen, wie ich schon Schlimmeres erduldet, aber er soll mir wenigstens nicht vor die Augen kommen. Und damit genug, Kinder, jedes weitere Wort ist verschwendet!“ Er drehte sich mit einem kurzen Kopfneigen wieder dem Fenster zu.

„Aber Vater –!“ begann Marie von Neuem, und in ihrem Tone bebte das ganze Drängen ihrer Empfindung; der rasch zurückgewandte Blick des Geheimraths indessen schnitt ihre weiteren Worte ab. „Es ist genug, Kinder!“ wiederholte er, jedes Wort betonend, und schritt dann mit starken Tritten nach seinem Schreibepult; die Zurückgewiesene aber senkte mit einer dunklen Wolke auf ihrer Stirn den Kopf, faßte die Hand der Schwester, welche während der ganzen Scene mit großem unverwandtem Auge jede Veränderung in dem Gesichte des Vaters beobachtet zu haben schien, und verließ mit ihr das Zimmer.

Im Vorzimmer stand der alte Mangold, den gespannten Blick auf die Heraustretenden geheftet; Marie schüttelte nur trübe den Kopf und öffnete schweigend die Thür nach dem Corridor; als sich diese aber hinter den Mädchen geschlossen, hielt Helene plötzlich ihren Schritt an. „Sagte er denn das Alles nicht nur wegen sich selbst? War denn da etwas von Liebe für Hugo oder für uns darin?“ fragte sie.

„Sei glücklich, daß Du das jetzt erst fühlst!“ erwiderte die Aeltere mit leisem Nicken und schritt gesenkten Kopfes weiter. –

Unweit des Zimmers der Mädchen und von diesem nur durch das Schlafcabinet der im Hause lebenden Schwiegermutter des Geheimraths getrennt lag ein kleines Empfangzimmer, welches die alte Frau zu ihrem bequemsten und liebsten Aufenthalte gewählt, und dort saß sie auch jetzt in dem weichen Lehnstuhl am Fenster, während ihr gegenüber sich ein noch junger Mann in der leichten Nachlässigkeit eines Hausfreundes niedergelassen hatte.

„Ungezogen mögen Sie mich nennen, gnädige Frau, aber doch wirklich nicht sonderbar!“ sagte er soeben lebhaft, und der breite Mund verzog sich zu einem Lächeln süßer Verbindlichkeit; „ungezogen, daß ich der frühen Stunde nicht achte; aber sonderbar ist es doch in keiner Weise, daß, wenn ich Sie bereits auf Ihrem Plätzchen sehe, es mich drängt, Ihnen einen „guten Morgen“ zu bringen! “

Die feine alte Frau legte den Kopf, dessen dichtes graues Haar sich noch voll unter dem Spitzenhäubchen hervordrängte, gegen die Lehne des Stuhles zurück. „Was haben Sie denn an einer Großmutter, die nicht einmal mehr als einen hausbackenen Verstand besitzt?“ fragte sie, die dunkeln, noch immer schönen Augen lächelnd auf seinem Gesichte ruhen lassend; „Sie sind doch ein sonderbarer junger Mann, daß Sie Frauen eine Aufmerksamkeit widmen, deren sich junge Mädchen kaum beiläufig einmal von Ihnen erfreuen. Jede Viertelstunde, mit einem alten Wesen wie ich verbracht, muß doch ein Opfer für die Jugend sein!“

Er hatte den Blick unverwandt in dem ihren ruhen lassen, während seine Züge einen Ausdruck von freundlichem Ernst annahmen. „Alt? was heißt denn alt?“ fragte er, seinem Tone eine halbe Dämpfung gebend. „Wo das weibliche Herz in seinem Empfinden noch frisch ist, da bedeutet alt nur: geklärt, geläutert, mild; es kann selbst junge Frauen geben, die ich in diesem edlen Sinne alt nennen möchte, während der aus gröberem Stoffe gebildete Mann oft selbst im körperlichen Alter sich noch der trübenden Leidenschaft nicht entledigen kann. Wie ich nun die Frauen in der Eigenthümlichkeit ihres Seelenlebens für das veredelnde Princip im Menschenthum halte, so kann es auch in einem Umgange mit ihnen mir gar nicht auf die Zahl der Jahre, sondern nur auf die Klarheit des Gemüthes ankommen, das mit einem Instinct, welcher uns Männern ganz verloren gegangen ist, immer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_369.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)