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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

er sich mit einem Andern in einen Witzkampf eingelassen, und ärgerte sich schwer darüber, daß sein erträumter Gegner ihn immer im Witz überbot; – van Goens träumte sich in die Schule, in der die Antwort auf eine schwere Frage der Grammatik die Versetzung in eine höhere Classe bedingen sollte, er fand die Antwort nicht, wohl aber gab sein Nebenmann im Traume sie ganz richtig.







Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.

Von Guido Hammer.
Nr. 17. Königs Weinberg und das letzte Wild im dortigen Thiergarten.


Früher, als König Friedrich August II. von Sachsen noch lebte, der seine höchsten Freuden in Gottes schöner Natur suchte und fand, indem er nicht nur die Schönheit derselben mit voller Macht auf sein Herz einwirken ließ, sondern auch einem Zweige der herrlichen Schöpfung unseres Erdballes – dem Pflanzenreiche – mit ernstem Studium oblag, befand sich auf seinem Weinberge ein kleiner, aber gut bestandener und gepflegter Wildpark, dessen ich mit besonderer Vorliebe gedenke. Hier war es, wo mir der Sinn für meinen späteren Beruf, die Thiermalerei, so recht eigentlich geweckt wurde, und das öftere, tagelange Verweilen an diesem Lieblingsplätze gehört zu meinen seligsten Erinnerungen.

„Königs Weinberg“, wie die Besitzung der jetzigen Königin Wittwe noch immer genannt wird, ist eine anspruchslose, aber reizende Villa auf den Höhenzügen des rechten Elbufers, die sich von Pillnitz bis nach Dresden erstrecken, ungefähr in der Mitte zwischen beiden, oberhalb des malerischen Dorfes Wachwitz gelegen. Umgeben von Park und Weingehängen bietet dieser herrliche Landsitz dem Auge eine wundervolle Aussicht dar. Unter sich hat man den üppig grünenden Vorgrund der Parkanlagen, welche die am Fuße des Berges liegenden Ortschaften traulich einrahmen; darüber hin den reizend schönen Blick auf das Elbthal, sowohl stromauf- als abwärts; nach jener Richtung auf die blauduftig und in phantastischen Formen emporsteigende sächsische Schweiz mit fernen Böhmergebirgen, nach diesen hin über freundliche Dörfer, geschmackvolle Villen und prächtige Schlösser auf die gethürmte Residenz; mitten hindurch aber der liebliche Fluß, die Elbe. Strebt aber der Blick gerad’ aus, so gleitet er über die Fläche des herrlichen Stromes nach sanft ansteigenden Fluren und waldigem Hügelland, bis er endlich von den feinen Linien des Erzgebirges und einzelner dahinter hervorragender böhmischer Bergriesen gefesselt bleibt. In noch vollkommenerem Maße genießt man diese bezaubernde Umschau, wenn man durch den den königlichen Ruhesitz umgebenden Park, der auch noch eine kleine gothische Capelle mit großem gemaltem Fenster birgt, einem Meisterwerk der modernen Glasmalerei, dessen Urheber Julius Hübner und Scheinert in Meißen sind, weiter hinauf auf das Plateau des Bergrückens steigt. Hier oben erwartete einst den Besucher auch noch ein anderer Genuß, indem daselbst, die höchste Fläche einnehmend, der Thiergarten lag. Er umschloß nicht nur ein Stück mit Kiefernhochwald bestandener Hochebene, sondern auch einen kleinen reizenden, nach Norden abfallenden Waldgrund, in dessen Tiefe ein rauschendes, silberklares Büchlein dahinschießt. Auf der Fläche, unter den goldstämmigen Kiefern, standen die Wildraufen und Schuppen, weshalb das Wild – Hoch- und Damwild – zumeist an dieser Stelle sich aufzuhalten pflegte, und hier war es denn auch, wohin mich – da damals die königliche Besitzung für Jedermann geöffnet war – meine Sehnsucht immer und immer wieder hintrieb; denn mit meinem Schicksal, Maler werden zu sollen, oft hadernd, da ich viel lieber die grüne Piquesche, Hirschfänger und Gewehr getragen hätte und als Jäger durch Wald und Flur gestreift wäre, fand ich hier Ersatz, wo ich das Wild, das ich von Kindheit an vorzugsweise geliebt, nach Herzenslust beobachten konnte. Natürlich zeichnete ich, da ich diese Fähigkeit nun einmal besaß, mit Vorliebe meine Lieblinge und ließ deshalb um so mehr die trockenen Gypsköpfe auf der Akademie Gypsköpfe sein. Dennoch überfiel mich oft, wenn ich in dieser Weise wochen-, ja monatelang die Akademie „geschwänzt“ halte, ob meiner Faulheit der moralische Katzenjammer; denn ich hielt, offen gestanden, meine Ausflüge selbst für müßige Lungerei; wahrscheinlich nur darum, weil ich Lust und Freude dabei empfand und glaubte, das gediegene, pflichtgemäße Studium müsse absolut anstrengend und von peinigender Langeweile sein; gerade wie überfromme Leute, die die irdische Freude au Gottes schönen Gaben für Sünde halten und nur in der Kasteiung und Entsagung selbst der harmlosesten Genüsse das Heil des Himmels erblicken.

Aus diesem Grunde ließ ich mich von Zeit zu Zeit wieder einmal in der Akademie blicken, mit dem besten Vorsatze, auf mein ruheloses Waldlaufen zu verzichten und ein fleißiger Mensch zu werden. Ach, und trotzdem, wie manches strafende Wort aus Meistersmund mußte ich vernehmen, wenn ich mein langes Ausbleiben mit dem Studium meiner Thierwelt zu entschuldigen suchte und zum Beleg meine Skizzenbücher vorzeigte. „Das sind faule Fische,“ hieß es, „damit wollen Sie nur Ihr Gewissen beschwichtigen, wenn Sie draußen müßig umherstreifen.“ Obwohl ich aber dergleichen Vorwürfe für vollkommen begründet hielt, siegte doch mein angeborener Trieb, und es litt mich nicht lange in den Räumen des Lehrgebäudes, aus dessen Fenstern man mein Asyl in sonnigem Glanze liegen sehen konnte. Ich war deshalb bald wieder einmal auf eine Weile den Herren Professoren aus den Augen. Konnt’ ich’s doch nicht lassen – ich mußte wieder hinaus in’s Freie, und am liebsten war ich entweder in Moritzburg oder auf „Königs Weinberg“. Mit welcher Wonne ich dann hier am Wildzaune stand oder oben aufsaß – denn in den Thiergarten hineinzugehen, war mir verwehrt, da mir das Trinkgeld dafür zu jener Zeit in höchst seltenen Fällen zu Gebote stand – läßt sich kaum beschreiben. Wie wunderbar erquicklich waren solche Tage, an denen das Herz, von Frühlingsahnungen geschwellt, dem Auge die Gabe verlieh, den feinen, unnennbaren Farbenton, der das lebendige Regen der noch unverschlossenen Knospen bekundet, zu erkennen.

Brach dann der wirkliche wildlustige, sonnendurchwobene, wonnevolle Lenz herein, und ich schritt durch die Berggassen der obst- und weinreichen Anhöhen meinem Eldorado zu und schaute hinab auf den rosigen Frühlingsschmuck der Pfirsichbäume, der sich mit dem blendenden Blüthenschnee der Kirsche mengte, während von den Fluren die gelben Rübsenfelder, wenn auch nicht harmonisch schön, doch herzerfreuend in ihrer goldenen Keckheit herüber leuchteten, so vergaß ich alle trüben Erinnerungen und lauschte frohgemuth dem Rufe des Kuckucks im nahen Walde oder dem melodischen Accord des Pirols und den Hunderten von andern Vogelstimmen; oder ich betrachtete das geschäftige Treiben der Insectenwelt auf blumiger Halde, wo die fleißigen Bienchen den frischen Nektar aus Tausenden von Kelchen nippten, die bisweilen auch von einer brummenden Hummel in Anspruch genommen wurden.

Auch der hohe Sommer, der mit sengender Gluth über den Bergen lag, fand mich hier oben; manchen lieben langen Tag lag ich im Haidekraute und erfreute mich, da zu dieser Tageszeit das Wild das schattenreiche Gründchen aufsuchte, ich also bis Abends warten mußte, um es herausziehen zu sehen, einstweilen an dem kleinen krabbelnden Gethier, das am Boden der Haide geschäftig hin und her lief. Wie oft habe ich da den nimmerrastenden Ameisen zugeschaut, wenn sie auf ihren Stegen Baumaterial oder Fraß zur gemeinsamen Häuslichkeit schafften, oder das banditenhafte Gebahren des Ameisenlöwen beobachtet, der in seinem sichern Versteck, der Tiefe des von ihm verfertigten Sandtrichters, saß und lauernd auf eine Ameise, Spinne, Käferchen oder sonst ein kleines Geschöpf wartete, das sich unvorsichtiger Weise seiner Grube näherte und hinabrutschte. Wollte es nun, die Gefahr erkennend, den unheimlichen Rand fliehen, so warf das beutegierige, zangenbewaffnete kleine Ungeheuer mit Sandkörnern aus seiner Tiefe hervor, daß die losen Wände des Trichters in’s Rollen kamen und das ausersehene Opfer unfehlbar in sein furchtbares Grab hinabrissen. Dann kamen wohl auch, lag ich recht still, perläugige flinke Eidechsen dicht an mich heran und schlüpften eilig über das Haidekraut hin.

Nicht mindern Reiz bot der Herbst, der die Knospen der Eriken erschloß und sie früh mit Thau und seinen Spinnenfäden umwob, um diese dann von der Tageswärme emporheben und in langen Strähnen von der Luft tragen zu lassen. Abends stiegen die weißen Nebel auf, und mit ihnen verbreitete sich das eigenthümliche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_378.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)