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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Besitzung liegen; und nun – was will ich dort, oder in welcher Eigenschaft könnte ich mich einführen, selbst wenn sich meine Vermuthung über den Absender bestätigte?“

„Weiß doch nicht, ob es nichts helfen könnte, sich einmal die schöne Gegend zu besehen,“ erwiderte der Andere, sich nachdenklich die Nase reibend; „umsonst werden solche Einladungen nicht gemacht, und ich wenigstens ließe sie nicht aus, da wir doch einmal hier sind!“

„Und was weiter, Heinrich? Soll ich den Leuten sagen, daß ich im Augenblicke ohne Mittel für eine anständige Existenz bin und die erste beste Stellung, welche sich mir bietet, annehmen muß? oder den unabhängigen Mann spielen, damit ich mich später um so mehr bloß gebe?“

Der Tischler hob mit einem launigen Aufblicke den Kopf. „Du magst Deinen besondern Grund haben, nicht geringer als früher aufzutreten,“ sagte er, und in des Referendars Gesicht trat ein leichtes Roth, „ich denke aber doch anders! Wenn es die richtige Person war, von der die Karte kam, so war es auch damals ein Freundschaftswink, Dich aus dem Staube zu machen; und kommst Du jetzt nach der Ordre, um die schöne Gegend zu bewundern, so wird Niemand erwarten, daß Du erst Deine Capitalien flüssig gemacht hast!“

Der Andere schüttelte den Kopf und erhob sich rasch. „Du sollst Recht haben, Heinrich,“ rief er, „ich mag auch meinetwegen ein Narr sein, wie ich es in künftigen Verhältnissen nie sein würde; als Hülfsbedürftiger aber trete ich dort nicht auf!“ Er machte einen raschen Gang durch das Zimmer. „Es giebt hier Schulen, Gymnasien und Erziehungsanstalten, so viel ich gehört,“ fuhr er dann fort, „ich habe noch etwas mehr gelernt, als Jurisprudenz, und hoffe mir irgendwo als Lehrer eine äußerlich anständige Stellung zu schaffen; andernfalls finden sich vielleicht Chancen in den fremden Verhältnissen, von denen man jetzt noch nichts weiß – erst aber jedenfalls irgendwie festen Fuß fassen, ehe ich mich Leuten zeigen mag, die – –“ er fuhr sich mit der Hand in das dichte Haar und wandte dem Gefährten wieder den Rücken.

Da klangen von der dunkeln stillen Straße halbgedämpfte Orgeltöne herauf, der Tischler hob überrascht den Kopf und fuhr dann mit einem plötzlichen „’s ist ein Leierkasten, ein richtiger Berliner Leierkasten!“ in die Höhe. Einige Secunden lauschte er völlig starr, dann brach er wie verzückt los: „Hörst Du’s, Hugo? Hörst Du das Lied? ob denn da nicht ein Thüringer Kind in dem verkehrten Lande gleich losheulen möchte?“

Hugo hatte seinen Schritt angehalten und horchte mit gesenktem Kopfe den rein harmonirenden, sanften Klängen, die ihn mit einem Schlage wieder in die abendlichen Straßen von Berlin und sein früheres sorgenloses Leben versetzten; als aber die Wiederholung der Melodie begann, schloß sich ihr plötzlich eine helle Mädchenstimme in dem Corridore vor dem Zimmer an:

„Ach, wie ist’s möglich dann,
Daß ich Dich lassen kann?“

und Heinrich zuckte wie unter einem elektrischen Funken auf. „Das ist eine Thüringerin, o du gesegnetes Haus!“ rief er exaltirt und stand in der nächsten Secunde auch schon an der Thür. Der Referendar war neugierig herangetreten, als sich diese öffnete, und sah ein knappes frisches Dienstmädchen mit dem Reinigen der Treppe beschäftigt, aber halb erschrocken zurückfahren, als der Tischler mit der Bewegung zu einer raschen Umarmung auf sie zueilte.

Unwillkürlich lächelnd schloß der Lauschende das Zimmer. „Du wirst hier jedenfalls Dein Fahrwasser finden!“ murmelte er und warf sich auf den Rand des Bettes, und als Minute nach Minute verstrich, ohne daß Jener an das Zurückkommen zu denken schien, war er bald wieder seinen eigenen Gedanken verfallen, trat das Bild des hohen Mädchens wieder vor ihn, das während der langen Reise ihm wie ein leuchtender Zielpunkt vorgeschwebt und dem er sich doch jetzt, wie im plötzlichen Erwachen, so ärmlich und niedrig gegenüber gestellt sah, daß die Wirklichkeit seinen unbestimmten Träumen wie lebendiger Hohn in’s Gesicht blickte – begann er das, was er unterwegs über die Verhältnisse der Stadt gehört, auf’s Neue sich vor die Seele zu stellen und einen Plan zur möglichst raschen Ergründung aller für ihn vorhandenen Chancen zu entwerfen. Schon in Hamburg, beim Einwechseln seiner Baarschaft in amerikanisches Geld, hatte er mit Schrecken gesehen, wie diese nach dem Dollarfuße zusammenschmolz, und hatte deshalb bereits der Dampfschiffpassage die längere, aber bedeutend billigere Reise mit einem Auswandererschiffe vorgezogen. Nach dem Landen im New-Yorker Hafen aber erkannte er erst, wie weit alle seine Berechnungen hinter den wirklichen Ausgaben zurückblieben, und als er endlich, ohne nur daran gedacht zu haben, sich nach der Ueberfahrt von dem Tischler zu trennen, mit diesem das vorgesetzte Reiseziel erreicht, hatte er mit wirklicher Sorge die ihm noch übrig gebliebene Baarschaft durchzählt. Vor einem halben Jahre durfte er nicht auf die Uebersendung des Restes seines kleinen Vermögens rechnen, und noch einmal Vorschuß von Römer fordern, erschien ihm als ein Mißbrauch der Freundschaft, zu welchem er sich in der höchsten Noth kaum hätte verstehen können. Einmal indessen hätten auch bedeutendere Mittel ihr Ende erreichen müssen, und vielleicht war es recht gut, daß er gezwungen war, gleich rasch und bestimmt nach seiner künftigen Existenz zu sehen – der frische Jugendmuth hob sich wieder in ihm, konnte ihm doch bei dem fertigen Verständniß der Landessprache und seinem übrigen Wissen kaum ein einigermaßen erträgliches Unterkommen in der großen Stadt fehlen, und als nach fast einer halben Stunde der Tischler wie der Marder, der vom Taubenhaus kommt, in das Zimmer trat, vermochte er diesen mit einem gutgelaunten „Du fängst mit schönen Streichen an, Heinrich!“ zu empfangen.

„Ja,“ erwiderte der Angeredete, mit plötzlich ernstwerdendem Gesichte stehen bleibend, „ob es nicht wunderbar ist, daß der Mensch erst nach Amerika gehen muß, um sich das Rechte aus der Heimath zu holen! ’s ist eine Arnstädterin, und das Mädchen, Hugo – heirathe ich einmal, wenn der Stock nicht mehr beim Hunde liegt!“

„Beschlaf es noch einmal und sieh Dir morgen die Sachen bei Tageslicht an!“ lachte der Daliegende.

„An’s Schlafen soll es sogleich gehen,“ nickte der Andere, sich zugleich seines Rockes entledigend, „aber wegen des Uebrigen –

Ach, wie ist’s möglich dann,
Daß ich Dich lassen kann?“

sang er plötzlich und war mit einem Satze im Bette.

(Fortsetzung folgt.)




Der Bauernkönig.

Die dritte Session des preußischen Abgeordnetenhauses unter der neuen Aera, die von 1861, hatte begonnen, Alles war wohlbestellt: liberale Minister regierten; aber fast drei Jahr lang regierten sie schon, ohne daß sie einen rechten Fortschritt gemacht hätten; eine liberale Kammer befand sich mit ihnen im zärtlichsten Freundschaftsverhältniß, durchgehends von wasserblauer constitutioneller Farbe, und so gouvernirt wie amüsirt durch den liberalen Junker Georg von Vincke, den allgewaltigen Kammerkönig. Nur nicht drängen, nur nicht fordern! hieß es vom Ministertisch herunter; nur nicht drängen, nur nicht fordern! hallte das Echo in der Kammer zurück; nur nicht drängen, nur nicht fordern! murmelte etwas seufzend das Volk nach.

Da plötzlich tritt in diese Versammlung der preußischen Abgeordneten eine hagere Gestalt mit einem schneeweißen Kopf. Aller Augen richten sich auf ihn; General Vincke wirft ihm einen seiner eifersüchtigen Mephistoblicke zu; Graf Schwerin lugt unter der Brille nach dem alten Mann hinüber mit dem tiefgefurchten Gesicht, auf dem ein Gemisch von Selbstbewußtsein und Bitterkeit, Mißtrauen und Gram, tiefem Ernst und Listigkeit seinen markanten Ausdruck gefunden.

„Waldeck! Waldeck!“ raunt Einer dem Andern zu, und neugierig recken sich die Hälse. „Waldeck ist wieder in der Kammer!“

So fliegt’s durch alle Zeitungen wie eine der wichtigsten Kunden, und weit über die Grenzen Preußens hinaus wird die Bedeutung dieses Ereignisses gewürdigt, denn mit ihm zog nach zwölfjährigem Exil, nach jahrelanger Verfolgung, Verhöhnung und Beschimpfung, die alte Demokratie wieder in die parlamentarische Arena, ernster und erfahrener geworden, versöhnt mit dem Bestehenden


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_404.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)