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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 27.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Untergang der „Amazone“.

Nichts ist wohl natürlicher, als daß der Leser dieser Zeilen, bevor er sein Interesse denselben zuwendet, das wohlbegründete Recht in Anspruch nimmt, die Vergangenheit des Autors kennen zu lernen. So möge er denn erfahren, daß mein Name Charles Whitman ist und daß ich im Jahre 1817 in Berks-County, Pennsylvania, geboren wurde. Nachdem ich dann in Lancaster eine für die damalige Zeit gut zu nennende Schulbildung genossen hatte, kam ich in Philadelphia bei einem Droguisten in die Lehre, wo ich es aber bald satt wurde und meiner Neigung zum Seeleben folgte, indem ich mich auf einem Ostindienfahrer als Leichtmatrose einschiffte. Da es nicht der Zweck dieser Zeilen ist, meine Kreuz- und Querfahrten auf dem Ocean zu schildern, so will ich nur noch einfach hinzufügen, daß ich bei dem Eintritt des gegenwärtigen Bürgerkrieges das Unglück hatte, mein eigenes Schiff durch den Kaper Jefferson Davis verbrannt zu sehen, und so gezwungen wurde, als erster Steuermann auf dem „Black Hawk“ (schwarzer Falke), einem großen Neu-England Klipper, einzutreten. Hätte ich nur ahnen können, welche traurige Begebenheit sich an dieses Schiff knüpfen würde, ich würde es sicher vorgezogen haben, einfach anderswo vor den Mast zu gehen, als hier den Comfort eines ersten Officiers zu genießen. –

Nachdem wir in Boston eine Ladung Maschinerien und Thee an Bord genommen hatten, nahmen wir die nördliche Passage über den atlantischen Ocean und befanden uns nach dreiwöchentlicher Fahrt zwischen Dunnet-Head und den Orkney’s, von wo wir direct auf das Skager Rack zusteuerten; im Kattegat und in der Ostsee etwas aufgehalten liefen wir direct vor dem westlichen Winde in den finnischen Golf ein und am zweiundvierzigsten Tage, nachdem wir Cap Cod aus Sicht verloren hatten, lagen wir unter den Batterien von Kronstadt vor Anker. Während der ganzen Reise, auf welcher sich Mr. Morton, der Master, als ein ausgezeichneter Navigator, aber auch als ein schonungsloser Tyrann der Mannschaft gegenüber betrug, hatte ich wenig Gelegenheit, mit ihm vertraut zu werden, da unser zweiter Steuermann kurz nach unserer Abfahrt erkrankte und mir somit der Dienst wenig Zeit überließ. Nur so viel bemerkte ich, daß hinter seinen finstern grauen Augen der Teufel lauerte und daß er Menschenleben wenig achtete. Wenn bei stürmischem Wetter andere Schiffe ihre Segel einzogen, setzte er erst recht Leesegel auf, unbekümmert ob bei dem Ausschütten der Maintopsegel und dem heftigen Stampfen des Schiffes Jemand über Bord ginge oder nicht. Als in der Straße von Pentland bei dickem Nebel eine Fischersmack nur dadurch dem Uebersegeln entging, daß der Mann am Ruder das Schiff schnell einen halben Strich abfallen ließ, fuhr er denselben wie ein Tiger an, weshalb er seinen Curs nicht steuere, den Fischern geschehe ganz recht, wenn sie nach der Hölle geschickt würden, da sie in seinem Fahrwasser nichts zu thun hätten. Bald nach diesem Vorfalle vertraute mir eine alte Theerjacke, die den Master vor langen Jahren gekannt haben wollte, an, daß Morton früher Howard geheißen habe, daß derselbe sich bei der bekannten Meuterei auf der Vereinigten-Staaten-Brigg Sommers betheiligt und späterhin bei der Bildung der deutschen Marine eine Commission (Officierspatent) erhalten habe, dann habe er ihn aus den Augen verloren, bis er ihn zu seinem Erstaunen auf dem Quarterdeck des Black Hawk wiedergefunden habe. Morton mußte in der That ein vielbewegtes Leben geführt haben, sein wettergebräuntes, tieffaltiges Gesicht zeugte von starken Leidenschaften, und wenn er getrunken hatte, machte er das Schiff der Mannschaft zur Hölle. Daß ich unter solchen Umständen mich ihm gegenüber ganz passiv verhielt, nur gewissenhaft auf meinen Dienst achtend, versteht sich von selbst. Um so angenehmer war es mir, als er gleich nach unserer Ankunft in Kronstadt mit dem nächsten Dampfer nach Petersburg, wo er schon früher gewesen sein wollte, abfuhr, mir die Zollhausgeschäfte und das Ausladen des Cargo vollständig überlassend. Während seiner Abwesenheit athmeten wir Alle frei auf, und diese Tage waren sicher die angenehmsten, welche ich auf dem Black Hawk zubrachte. –

Ein Mäkler, der hin und wieder auf dem Schiffe zu thun hatte, erzählte mir, daß Morton, der schon früher in Sebastopol bei der Hebung der versenkten Schiffe thätig gewesen sei, sich bei der Admiralität um eine Anstellung auf der Marine beworben habe, aber abschlägig beschieden sei, weil man, obwohl man seine ungemeine Tüchtigkeit anerkenne, befürchte, er würde zu unabhängig handeln, eine Erfahrung, welche die kaiserliche Regierung nur zu oft bei Amerikanern gemacht habe. –

Endlich nach vierzehntägiger Abwesenheit erschien Morton wieder an Bord, aber sehr mißgelaunt, was er dadurch erklärte, daß er keine Rückfracht nach den Vereinigten Staaten finden könne, er sei deshalb entschlossen, bei der schon vorgerückten Jahreszeit nach Kopenhagen zu segeln, wo er Briefe von seinen Rhedern zu erwarten habe, auch hoffe er dort eine Ladung für St. Thomas einzunehmen. So lichteten wir denn Anfang October die Anker und lavirten mit Gegenwinden langsam durch die Ostsee dem Sunde zu. Auf dieser Fahrt wurde Morton zutraulicher gegen mich, auch war sein Betragen gegen die Mannschaft ungleich milder, nur selten fluchte er und noch seltener drohte er mit dem Tauende. Da der zweite Steuermann, der an einem unheilbaren Lungenübel litt und nach seinen grünen Bergen in Vermont jammerte, noch immer das Bett hüten mußte, war er lediglich auf meine Gesellschaft angewiesen und wurde nun auffallend mittheilender.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_417.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)