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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

und Maja ohne Rettung begrub. Die Schuttmassen waren unbeschreiblich, denn sie liegen bei Labers (in Obermais) 250 Fuß hoch und erstrecken sich herabsenkend bis nach Meran in einer Ausdehnung von 1200 Klaftern. Die Passer, welche früher bei St. Valentin, nahe am Freiberg, entlang geflossen war, wurde durch diese Verschüttung mit begraben und im Passeyrthal eingeengt. Hier einen mächtigen See aufstauend, fand sie endlich an der niedrigsten Stelle, am Felsen von Zenoberg, einen Durchbruch und bildete allmählich ihr heutiges Rinnsal. Die gewaltigen Felsblöcke waren bis zu der Stelle gerollt, auf welcher jetzt Meran steht, denn noch findet man im oberen Theile desselben, in Steinach, diese Findlinge vom Iffinger in den Fundamenten und Gartenmauern mit eingebaut. Einige Zeit darauf, vielleicht achtzig bis hundert Jahre, erscheint auf der tragischen Grabstätte des römischen Maja das Dorf


Meran.


Mais. Etwa um das Jahr 1000 aber erfolgte eine zweite Verschüttung, „Uebermurung“ in der Gebirgssprache genannt, welche bei Nacht eintrat und Mais 6–20 Fuß tief begrub. Endlich ist eine dritte, bei der der Sage nach die meisten Einwohner gerettet wurden, da sie sich auf einem Kreuzgang nach Lana befanden, wohl in die Zeit von 1350 zu setzen.

Diese letzteren Verschüttungen sind für die Geschichte wenig wichtig; gelänge es aber, durch einen Stollen mit richtig dirigirten Seitengängen wesentliche Gebäude des alten Maja wieder aufzufinden und besonders das alte Archiv, so würde man, da nichts gerettet werden konnte, nicht blos vielerlei Schätze und werthvolle Alterthümer, nein, man würde wahrscheinlich auch die uns fehlenden Werke wichtiger Classiker, z. B. des Tacitus, wiedergewinnen. Welcher Triumph für die Wissenschaft! Welches neue Licht für ewig dunkele historische Perioden!

Doch wir eilen, da unsere Rundsicht vollendet ist, von der Vergangenheit und von dem Hügel des schönen Mais hinweg und steigen nach Meran hinab. Es ist an und für sich ein altes, etwas finsteres Städtchen von circa 4000 Einwohnern, hauptsächlich nur von zwei Straßen, dem Rennweg und den „Lauben“, gebildet. Die letzteren, den Ort der Länge nach durchschneidend, sind in der Mittagsgluth und bei Regentagen als Promenade zu benutzen, da sie durch ihren trockenen Breterfußboden und durch ihre steingewölbte Decke der Häuser, unter denen sie entlang führen, gegen Feuchtigkeit von unten und Wetterlaunen von oben Schutz gewähren. Hier findet auch der sehr mangelhafte Obst- und Gemüseverkauf statt, dessen sich der Fremde in Meran zu erfreuen hat. Ich sage, der sehr mangelhafte, und bin darüber Rechenschaft schuldig. Der Meraner Bauer, bequem, vorurtheilsvoll, am Alten hängend und jedem Fortschritt abgeneigt, beschäftigt sich gar nicht mit feinerer Gemüsezucht, so theuer ihm auch die vielen Fremden, die hier eigene Küche führen und oft nichts zu kochen haben, diese Producte bezahlen würden. Was die Händlerinnen feil bieten, ist größtentheils sehr geringe Waare. Drei Obstgattungen giebt es aber, die hier und überhaupt im ganzen südlichen Etschthal köstlich sind: Wein, Feigen und Pfirsich. Unter den Meraner Trauben zeichnet sich die gewöhnlichste, eine blauschwarze Traube, ausnahmsweise von 2 – 3 Pfund Gewicht und mit einer grossen weichen, fleischig saftreichen Beere, am meisten aus. Sie heisst Vernatsch (wahrscheinlich von Veronaccia, Veroneser) und ist dicht unter der dicken Schale am süssesten. Obgleich sie eigentlich wenig Aroma hat, so übt doch der angenehme volle Fruchtgesckmack einen unwiderstehlichen Reiz.

Da die vielen Fremden (etwa 6–800 im Jahresdurchschnitt), welche Herbst, Winter und Frühjahr in Meran zubringen, entweder für ihre kranke Brust die Luft- oder Ziegenmolkencur, oder als Unterleibsleidende die Traubencur gebrauchen, so ist für die Letztern jener reizende Geschmack des Meraner Weins ein wahres Glück. Er erleichtert ihnen die Pein dieser Heilmethode, da sie auch mit sehr vorzüglichen weißen Trauben (einer Art Malvasier und Gutedel) wechseln können. Es giebt nämlich Traubencurpatienten, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_445.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)