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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Ein flüchtiges Roth war bei den Worten Winter’s in das Gesicht des Deutschen getreten, und mit einer leichten Bewegung verließ er den eingenommenen Sitz. Es war wie eine Art Scham über ihn gekommen; das ganze Wesen des Mannes schien nur darauf berechnet zu sein, irgend einer möglichen Forderung seinerseits vorzubeugen. „Sie sind beschäftigt, Sir, und so will ich nicht weiter stören!“ sagte er gemessen und machte eine Bewegung, um sich zu entfernen.

„Sie haben in Folge eines unangenehmen Vorfalls Berlin verlassen – wenn ich recht bin?“ fragte Winter jetzt, indem zum ersten Male eine Regung in sein Gesicht kam.

„Ich glaube nicht, daß Sie sich in der Person irren!“ erwiderte der junge Mann, einen Augenblick seinen Schritt hemmend, „indessen will ich, wie gesagt, nicht weiter stören!“

„Und Sie wollen hier Lehrer werden – ist das Ihre letzte Chance, Sir?“ fuhr Jener fort, ohne die Abschiedsbewegung seines Gastes zu beachten.

Hugo sah groß auf und wandte sich langsam zurück. „Ich weiß nicht, weshalb Sie in dieser Weise fragen, Mr. Winter,“ sagte er, „indessen möchte ich Ihnen zur Beruhigung sagen, daß ich nicht hierher kam, um Sie um irgend etwas zu bitten, das Ihnen Geld kosten könnte!“

Ein Lächeln wie leiser Spott glitt über des Kaufmanns Gesicht. „Ich habe die Versicherung nicht verlangt, Sir, nehme sie aber an,“ erwiderte er, „und nun beantworten Sie mir meine Frage, vielleicht kann ich Ihnen dann in etwas dienen!“

Der Deutsche stand einen Augenblick sichtlich schwankend. „Ich habe mir allerdings irgend eine Stellung zu verschaffen, wenn ich existiren will,“ erwiderte er endlich, „und es wäre eben nur ein freundlicher Rath oder eine Empfehlung gewesen, welche ich mir dafür von Ihnen erbeten haben würde.“

„Very well, Sir! so sind wir mit einander klar,“ erwiderte Winter mit einem neuen Lächeln, das den jungen Mann verletzte, er wußte selbst nicht weshalb; „gegen oberflächliche feine Bekanntschaften aus Europa sieht sich der Geschäftsmann gern vor, wenn sie hier zufällig wieder auftauchen; sie kosten in der Regel mehr, als man vermuthet!“ Er hielt einen nachdenklichen Blick auf den Referendar geheftet und strich sich dann mit der Hand über das Gesicht. „Ich könnte Ihnen möglicherweise selbst genügende Beschäftigung geben, wenn Ihnen das für den Anfang convenirte,“ fuhr er dann fort; „ich habe schon daran gedacht, mich nach einem deutschen Correspondenten umzusehen, da ich mancherlei neue Verbindungen während meiner letzten Reise angeknüpft habe. Ferner aber hätte ich gern einige Nachhülfe für meinen jungen Sohn, den Kränklichkeit zu oft aus der Schule hält; und verstehen Sie etwas von Piano und Französisch, so würde sich meine Tochter ebenfalls noch gern unter Ihre Leitung stellen.“

Hugo mußte alle Selbstcontrole anwenden, um die während des letzten Theiles der Rede in ihm aufsteigenden Empfindungen nicht auffällig werden zu lassen. Er war mit einem Male seiner drückenden Sorge enthoben, er sollte in Winter’s Familie treten, in ihre unmittelbare Nähe, die plötzlich in dem ganzen Zauber, der ihn früher gefangen genommen hatte, vor ihm stand – aber er sollte das in einer Stellung, die jede warme Regung in ihm verbot, wenn er nicht von Anfang an das in ihn gesetzte Vertrauen betrügen sollte – während er in ihren Augen zugleich als ein Mensch, der eine Nothhülfe in Anspruch genommen, gelten mußte.

„Ich möchte Ihnen dabei gleich sagen,“ unterbrach Winter seine Gedanken, als gäbe er der Zögerung seiner Antwort eine bestimmte Deutung, „daß Sie unter gewissen Umständen sich zugleich für das Ganze des amerikanischen Geschäfts hier würden herausbilden können, denn ich setze voraus, daß Ihnen nur an einem Engagement, welches Ihnen zugleich eine Zukunft bietet, etwas liegen kann.“

„Sie beschämen mich völlig, Sir!“ beeilte sich jetzt Hugo zu erwidern; „sagen Sie mir aber nur Eins: Würde die Hülfe, welche Sie mir jetzt gewähren wollen, wirklich mit Ihrem eigenen Interesse übereinstimmen, so daß ich die mir gebotene Beschäftigung nicht nur als eine Art – Almosen in meiner augenblicklichen Lage zu betrachten hätte –?“

„Ich gebe nie Almosen, Sir!“ versetzte Jener trocken; „wenn Sie aber das, was Sie eine Hülfe meinerseits nennen, völlig mit meinem Interesse vereinen wollen, so dürfen Sie sich diesem eben nur ganz anschließen. Ich bedarf einer neuen Arbeitskraft im Geschäfte, der ich in Bezug auf strenge Discretion und aufrichtige Hingabe für meine Ideen unbedingt vertrauen kann, und was Ihnen jetzt an Geschäftskenntniß und Routine naturgemäß abgeht, das würde mir für den Augenblick der Umstand ersetzen, daß Sie frei von jeder frühern Geschäftsverbindung sind, von der man bei jungen Leuten nie weiß, mit welchen Fäden sie noch mit ihnen zusammenhängen. Sie sehen, daß ich vollkommen offen spreche. Den Unterricht in meiner Familie aber habe ich Ihnen vorgeschlagen, da die geschäftlichen Arbeiten erst, wenn Sie genügende Umsicht gewonnen haben, Ihre Zeit voll in Anspruch nehmen werden, anderntheils ich auch wünschte, auf die kürzeste Weise mit Ihren Eigenthümlichkeiten mich vertraut zu machen. Ist Ihnen nun sonst noch etwas unklar, so sprechen Sie sich offen aus!“

„Ich bin mit vollem Herzen und ganzen Kräften zu Ihrer Disposition, Sir!“ erwiderte Hugo, in dessen Innern plötzlich das ganze Glück der ihm gebotenen Stellung wach geworden war, und streckte mit dem unverhüllten Ausdruck seiner Empfindung dem Kaufmann die Hand entgegen, „und wenn ich Ihnen nicht genügen sollte, so mögen Sie wenigstens versichert sein, daß weder mein Eifer noch mein guter Wille die Schuld daran tragen.“

„Very well, Sir! ich denke es einmal damit versuchen zu können,“ erwiderte Winter, mit zufriedenem Nicken die dargebotene Hand drückend, „und so machen Sie sich fertig, mit mir Nachmittags drei Uhr nach meiner Farm zu fahren, wo ich Sie meiner Familie vorstellen und Weiteres mit Ihnen reden werde. Unterwegs mögen Sie mir dann etwas Näheres über die Ereignisse, die Sie mit meiner Tochter zusammengebracht, erzählen; ich weiß nur Oberflächliches davon und hätte wohl auch das kaum erfahren, wenn nicht Ihre letzte Angelegenheit in Berlin uns direct berührt hätte.“

„Direct berührt, Sie, Mr. Winter?“ rief Hugo, überrascht aufsehend.

„Natürlich, Sir!“ lachte der Kaufmann. „Niemand wußte den Namen des Mannes, der nächst dem Gestochenen an dem Vorfalle betheiligt war, und so sollte bei meiner Tochter, die im Gespräche mit Ihnen gesehen worden, deshalb angefragt werden. Sie hatte indessen mit der Tochter des amerikanischen Gesandten, die eine Schulfreundin von ihr ist, gerade zur rechten Zeit einen Ausflug gemacht und entging der Examination – zwei Tage darauf reisten wir dann ab.“

„Und in dieser Zeit ist Ihnen nichts über die Angelegenheit weiter zu Ohren gekommen?“ fragte Hugo mit halbem Athem.

„Möglich, Sir, aber ich habe es in meinen Geschäften jedenfalls überhört!“

„Dann können Sie mich aber jetzt noch für einen Mörder halten, Mr. Winter!“

„Mörder – pshaw! Sie werden sich Ihrer Haut gewehrt haben; so, glaube ich, wurde auch damals allgemein die Sache aufgefaßt.“

„Aber ich gebe Ihnen mein heiliges Ehrenwort, daß der Mensch selbst in seinen Degen gefallen ist!“

„Desto schlimmer für Sie, Sir, so haben Sie sich ohne Ursache aus Ihrer Carriere gerissen!“ lachte der Kaufmann, „um die Angelegenheit machen wir uns keine Kopfschmerzen mehr, Sie werden hier zu Lande derartige Affairen überhaupt leichter ansehen lernen – und so lassen Sie uns jetzt Weiteres versparen bis zum Nachmittag.“

Mit vollem, glücklichem Herzen hatte der Neuangestellte den Weg nach dem deutschen Gasthause zurückgelegt und traf den Tischler in lebhaftem Gespräche mit dem alten Wirth. „Treffer, Heinrich!“ rief er und schlug im Ueberfluthen seiner frohen Stimmung den Gefährten auf die Schulter, daß dieser mit einem halbunterdrückten Schmerzensrufe in die Höhe fuhr; dann aber reichte er dem Hausbesitzer die Hand. „Werden sich doch wohl nach einem dankbareren Menschen zum Barkeeper umsehen müssen,“ sagte er, „ich habe auf einen Bekannten, dem ich früher in Berlin begegnet, getroffen – John Winter, dessen Geschäft Sie jedenfalls kennen werden – und bin als Correspondent von ihm engagirt worden!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_447.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)