Seite:Die Gartenlaube (1862) 463.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Leute und ließen nicht so leicht den Wein hinaus, der einmal in ihre Stadt gekommen war. Jeder Weinhändler mußte seinen Wein in dem Stadtkeller ausschenken; nur wenn dieser vollständig gefüllt war oder bessere Waare ankommen sollte, war es ihm gestattet, den Wein außerhalb zu verkaufen. Sobald ein Weinhändler ein Faß fremden Weins nach Berlin brachte, so meldete er sich beim Rathe, der das Faß in den Rathskeller bringen, untersuchen und den Preis festsetzen ließ. Hiermit erhielt er erst die Erlaubniß, den Wein zu dem bestimmten Preise auszuschenken. War der Weinhändler mit der Abschätzung nicht zufrieden, so konnte er das Faß zuschlagen und damit weiter in’s Land ziehen, wenn er zuvor ein Lagergeld von vier Schillingen entrichtet hatte. Auch war es ihm gestattet, seinen Wein „auf der Stadt Gerechtigkeit“ auszuschenken, d. h. gegen eine von der Stadt bestellte, übermäßig hohe Abgabe den Preis selbst festzusetzen und ihn so theuer als möglich zu verkaufen. Alle diese Bestimmungen galten indeß nur für die fremden Weine, während die einheimischen Erzeugnisse von jedem derartigen Zwange frei waren. In der Mark und vor den Thoren von Berlin wurde ein ganz ansehnlicher Weinbau betrieben, wofür noch Namen wie die „Weinmeisterstraße“, „Wolank’s Weinberge“ etc. hinlänglich Zeugniß ablegen. Dieser Landwein wird wahrscheinlich seinem Naumburger und Grünberger Collegen an Säure und sonstigem Geschmack nichts nachgegeben haben.

Von der Leistungsfähigkeit der alten Berliner im Trinken haben wir mancherlei historische Beweise; so erzählt der alte Chronist Lockel: „Als Landgraf Moritz mit einem Gefolge von 3000 Pferden zu Berlin 1526 war, wo er sich zehn Tage aufhielt, sind Herr und Knecht so mächtig voll nach Spandau gegangen, daß sie fast das Spandauische Thor nicht finden konnten.“ – Der gelehrte Abt Johannes Tritheim schildert im Jahr 1505 den Charakter und die Sitten der Märker im Allgemeinen und der Berliner insbesondere folgendermaßen: „Das Land ist zwar gut und sehr fruchtbar, aber es bedarf fleißiger Bearbeitung, da es sehr weitläufig und von großem Umfange ist, die wenigen und überaus faulen Bauern aber Trunk und Müßiggang mehr lieben als die Arbeit. Wir können überhaupt von ihnen sagen: die Märker werden durch Gelage und Müßiggang arm, durch Fasten krank und durch Trinken beschleunigen sie den Tod. Ihre größere Zahl ist der Völlerei überaus ergeben, so daß hier zu Lande Leben fast nichts anderes heißt als Essen und Trinken.“ – Ein gewisser Andreas v. Röbell, der lustige Rath des Kurfürsten, erhielt das einträgliche Kanonikat zu Havelberg, wogegen er folgendes Document ausstellen mußte: „Als verpflichte ich mich dakegen hiemit ausdrücklich, daß S. Churf. Gnaden meynes Bartes zu sambt Grundes und Bodens mechtig seyn soll. Desgleichen will ich mich des Vollsaufens enthalten und auf jede Malzeit mit zween ziemblichen Bechern Weins und Biers die Malzeit schließen. Infall ich aber ohne Ihre Churfürst. Gnaden erlaubens dieses übertretten Und ich drunken befunden werde: Als soll und will ich mich so baltt ich gefordert werde in der Kuchen einstellen und mit vierzigh Streichen weniger einem Jemaßen dem heiligen Paulo geschehen, von denen, so Ihr Gnaden darzu verordenen werden, mit der Rutte geben lassen.“ – Ein Geistlicher entwirft in einer Leichenrede auf einen märkischen Edelmann aus dem Jahre 1604 ein Bild von den Sitten der Schlemmer: „und Epikurische Weltkinder, welche alle Tage mit Saufen und vollen Magen leben, und führen zu ihrer Ordensregel daß Symbolum, oder den Reimspruch deß Epikuri: Ede, bibe, lude, post mortem nulla voluptas, das ist so viel gesagt:

Die beste Speis; jag durch den Kragen;
Mit Bier und Wein füll stets den Magen,
Stirbstu einmal, so ist es auß,
Dort ist kein Lust, leb hier im Sauß.“ –


(Schluß folgt.)



Blätter und Blüthen

Die Algen-Esser. Auf einer Sommerreise ging ich zur Mittagszeit in dem Kretscham eines schlesischen Gebirgdorfes mit einem tüchtigen Appetit vor Anker. Obwohl ein gewisser lieblicher Duft, der benachbarten Küche entströmend, wohl geeignet war, meiner Phantasie ein lucullisches Mahl vorzugaukeln, blieb mir „bien echauffe“, wie ich war, doch Nüchternheit genug, um die vorsorgliche Frage zu thun: ob ich etwas Salat zum Braten bekommen könnte? „Ach ja,“ meinte die freundliche Wirthin, „aber ich weiß nicht, ob er dem Herrn schmecken wird. Es ist ein neumodischer Salat. Der Herr Doctor hat ihn uns empfohlen; er soll sehr gesund sein.“ An Kresse oder Rapunze denkend, bestellte ich eine ordentliche Portion mit „Oel und Essig“ und war nicht wenig erstaunt, bald daraus eine Untertasse mit einer grünen Masse vor mir zu sehen, die einem Gericht Spinat ähnlicher sah, als irgend welchem mir bekannten Salat. Die „Nasenprobe“ hatte kein Resultat geliefert, drum mußte ich mich schon auf eine nähere Ocular-Untersuchung einlassen. Sofort fielen mir einige haarartige Fasern auf, die an meiner sondirenden Gabel hängen blieben, welche, wie sich später ergab, dem Verkürzungsversuch mit einem gewöhnlichen Brodmesser glücklich entgangen waren. Vorläufig genug für mich, den „gesunden Salat“ einstweilen ad acta zu legen, bis dem thierischen Theil meines Ich sein Recht geschehen. In der behaglichsten, contemplativen Stimmung, in den eine kräftige Mahlzeit nach einem frischen Morgengang durch die Berge zu versetzen pflegt, packte ich nun mein Taschenmikroskop aus, um zunächst durch den Gesichtssinn von der Natur des neumodischen Gerichtes nähere Kenntnis; zu erhalten. Was ich nach dem ersten Blick als eine unberechtigte Ahnung mit Mühe unterdrückt hatte, bestätigte sich jetzt. Es waren Algen, die man mir vorgesetzt hatte, und zwar Oedogonium Capillalceum

Da ich jedoch von einer neuen praktischen Entdeckung der Wissenschaft, welche Algen als Nahrungsmittel zu verwenden empfiehlt, bis dato noch nichts gehört hatte, begnügte ich mich vor der Hand damit, eine Messerspitze dieses köstlichen Stoffes in Papier verpackt zu meinen übrigen Raritäten zu legen. Allein damit wurde mein Forschungsdrang noch keineswegs befriedigt. War der Doctor, von dem die Rede gewesen, wirklich ein algenfressender Sonderling, oder ein junger, übermüthiger Spaßvogel, der die Leichtgläubigkeit der Leute gemißbraucht hatte? – Daß man mich nicht hatte mystificiren wollen, dafür sprach, außer andern Gründen, schon hinlänglich die treuherzig bedauernde Miene der Wirthin. Auch stand sie meinen neugierigen Fragen ebenso arglos als willig Rede. So erfuhr ich denn, daß vor einem Jahre etwa der Sanitätsrath N. aus H. die Brunnen des Ortes besucht, aus denselben allerlei grünen Schlamm gefischt und in weithalsige Flaschen und Fläschchen gelöffelt habe. Der neugierigen Dorfjugend, die ihn bei diesem Geschäfte umringte, drängte sich die ganz natürliche Frage auf: wozu das sei? worauf der gelehrte Herr ihnen sehr herablassend erklärte: „Das gäbe einen ganz vortrefflichen Salat, der sei sehr gesund.“ Auf diese mit überzeugender Uebereinstimmung vorgebrachte Aussage beschlossen die betreffenden Brunnenbesitzer, diese ergiebige Nahrungsquelle zu ihrem eigenen Vortheil auszubeuten, und nachdem ein alter Bauer, dem’s im Magen nicht ganz richtig gewesen, zuerst davon versucht und gemeint hatte, es schmecke nicht schlechter als anderes Gras, auch wirklich darnach gesund geworden, haben es die Leute im Dorfe öfter gegessen und sich ganz wohl dabei befunden. Uebrigens konnte die gute Frau doch ihre Verwunderung darüber nicht bergen, daß ich in der Stadt von dieser „neuen Mode“ noch nichts gehört haben sollte. –

In H. fand ich Gelegenheit, in dem Sanitätsrath N. einen ebenso jovialen Mann, wie eifrigen Algen- und Diatomäen-Forscher kennen zu lernen. Die neugierige und oft bis zur Ermüdung wiederholte Frage der Landleute: Wozu das Zeug, das er so sorgfältig sammele, sei? hatte ihn zuletzt ennüyirt, und da man die Wahrheit stets ungläubig aufgenommen, fand er in einer Anwandlung von ingrimmigem Humor sich veranlaßt, den zudringlichen Schulbuben einen Bären aufzubinden. Die Folgen, welche sein launiger Einfall hervorgerufen, ergötzten ihn zwar höchlich, doch meinte er, aus Gesundheitsrücksichten die Dörfler bald möglichst aufklären zu müssen, da ihm die Heilkraft der Alge nicht ganz einleuchten wollte. „Mir ist aber,“ fügte er lachend hinzu, „für meinen unzeitigen Spaß ganz recht geschehen, denn so oft ich später auch jene Brunnen besuchte, war es doch stets vergebliche Mühe. Wie mögen die Leute in ihrem Innern gelacht haben, wenn sie mich, brummend über das unfruchtbare Jahr, abziehen sahen! Man muß sich damit trösten, daß der am besten lacht, der zuletzt lacht.“

H.




Von der Eider. Die eigenthümlichen politischen Zustände in den nordalbingischen Herzogthümern regen auf beiden Seiten die Gemüther immer mehr auf und erzeugen eine Stimmung, die auch darin ihre Befriedigung sucht, namentlich denjenigen Vaterlandsfreunden, die bürgerliche Gewerbe treiben, so viel Nachtheil und Schaden zuzufügen, wie möglich. Zeitungslesern wird es nicht entgangen sein, daß schon seit mehreren Jahren Herr v. Kolb, welcher sich in Rendsburg als Hotelbesitzer niederließ (und vordem als Hauptmann in der schleswig-holsteinischen Armee gedient hatte), manchmal die Zielscheibe des Hasses dänischer Blätter geworden. Die Folge ist gewesen, daß sich der früher fast ausschließliche Besuch seines Gasthofes (Pahl’s Hotel) durch Dänen allmählich verminderte, bis es endlich durch thätige Agitation dahin gebracht wurde, jeden hier ankommenden Dänen von ihm zu entfernen. Verirrt sich einer noch ungewarnt in seinen Gasthof, so vergehen nur wenige Stunden und der Gast wird bewogen, das Haus zu fliehen, in welchem er seit vielen Jahren gewohnt war zu verkehren. Ja selbst Gäste, welche während der acht Jahre, seitdem Herr v. Kolb Eigenthümer des Hotels, täglich Mittags und Abends hier verkehrten, sind verschwunden. Es liegt nach Allem klar auf der Hand, daß diesem Manne durch eine solche von einflußreichen politischen Gegnern systematisch betriebene consequente Maßregelung fühlbare Verluste bereitet werden. Wäre es unter solchen Umständen nicht die Pflicht jedes ehrlichen deutschen Patrioten, einem solchen Treiben indirect entgegen zu treten, auf daß deutsche Reisende

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_463.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)