Seite:Die Gartenlaube (1862) 513.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 33.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Marie’s Hand war längst von Meßner’s Arme geglitten; ihr Gesicht war bleich geworden, aber in der Haltung des langsam aufgerichteten Kopfes wie in den großen dunkeln Augen stand ein lebendiger Entschluß. „Es gab eine Zeit, wo das Wort Vertrauen zwischen uns fiel!“ wiederholte sie langsam, den festen, leuchtenden Blick in seinem finstern Auge haltend. „Damals sah ich einen Mann an meiner Seite, der als Lehrer und Führer mit mir den Hain der deutschen Literatur durchwanderte, mich in die Tempel seiner Ideale leitete und mir den Blick für Dunkeles und Verborgenes öffnete, in dessen Seele ich nichts las, als die Begeisterung für Hohes und Großes, der mich in seinen Anschauungen mit sich fortriß, daß ich mich klein neben ihm fühlte, daß ich es als ein Glück betrachtete, ihn als vertrauenden Freund, der seine äußeren Kümmernisse in meine Seele niederlegte, zu besitzen. – Dann aber sah ich denselben Mann sich plötzlich verwandeln, seine eigenen Ideale verleugnen, sein eigenes Licht verbergen und mit falscher Demuth den Fußstapfen Anderer folgen, auf Kosten seiner besseren Gefühle sich den Schwächen Derer anschließen, die einen Einfluß auf sein äußeres Geschick ausüben konnten, sah den Mann der kräftigen Ueberzeugung sich zum süßen Schönredner erniedrigen, sah meine ihm offen gezeigte Freundschaft und Hochachtung zum vollen Selbsthohn für mich werden, daß ich endlich gezwungen war zu hassen, – um des Betrugs an meinen besten Empfindungen willen zu hassen- wo ich früher oft geglaubt hatte, bewundern zu müssen. Da haben Sie das Leid, das Sie mir angethan, die Thatsache, welche mir ein Recht zu meinem Verfahren gegeben, Und nun darf ich wohl auch nicht erst aussprechen, wessen Schuld alle Bedingungen für das frühere Vertrauen zerstört. Sie haben mich gefragt, und so habe ich geantwortet; nun thun Sie, was Sie glauben ferner verantworten zu können!“

Sie wollte sich abwenden, aber er faßte todtenbleich und mit zitterndem Auge ihr Handgelenk. „Halt, Marie,“ sagte er, „so dürfen wir nicht enden, denn wie weit Sie auch glauben mögen, Recht zu haben, so haben Sie mir doch schwereres Unrecht gethan, als Sie in Ihrem Gesichtskreise im Stande sind zu erkennen. Vermögen Sie den Seelenzustand eines Menschen zu würdigen, der alle Bedingungen in sich fühlt, unter den Ersten seinen Platz einzunehmen, der aber mit seinen Kenntnissen und Anlagen, mit allen Hoffnungen, welche ihm der Fleiß und die Erfolge seiner Jugend gegeben, in eine niedere Stellung, die ihm nirgends Raum für seine geistige Kraft gewährt, gebannt ist, nur weil ihm Eins, die nöthige Fürsprache zum Vorwärtskommen, fehlt? der sich von Menschen überholt sieht, die er um ihrer Ignoranz willen verachten muß und in schlaflosen Nächten vergebens nach einem Wege, sich selbst geltend zu machen, den Kopf zermartert? Und nun denken Sie sich diesen Mann durch ein einziges glückliches Ungefähr in einen gesellschaftlichen Kreis gebracht, der ihm die Aussicht in die Regionen seiner Träume eröffnet, der ihn aber zu gleicher Zeit aufklärt, daß hier, wo die allmächtigen Hebel für sein Glück ruhen, Kenntnisse und innerer Werth das Wenigste, Beliebtheit und äußeres Gefallen aber Alles sind; denken Sie sich, daß ein liebenswürdiges Mädchen an seine Seite tritt, deren Lehrer und Freund er wird, in der er seine eigene Ergänzung findet und die er wohl erringen könnte, wenn ihn nicht sein Schicksal so tief unter ihr festhielte. Und dann denken Sie sich, wenn Nachts die versuchenden Gedanken an ihn herantreten: Du kannst erreichen, was du willst, du hast die Gaben, um jetzt, wo dir die erste Pforte offen steht, dir deinen weitern Weg zu bahnen, du darfst nur sein, wie die Menschen es verlangen! Und ist es Sünde, sein eigenes Wesen dem Anderer unterzuordnen, seine eigene Ueberlegenheit zu verbergen, wenn dies das einzige Mittel ist, um freien Raum für die Verwerthung seiner geistigen Kraft zu erlangen, wenn jede andere Straße zur Erkämpfung seines innern wie äußern Glücks verlegt ist? Es mag Mancher in der Verfolgung seiner Carriere, wie nun einmal unser Staatswesen beschaffen ist, zum Heuchler geworden sein – aber wo bin ich das je gewesen? - Ich habe mich im Gesellschaftskreise in die Launen der Menschen gefügt, ich habe ihnen Artigkeiten gesagt, ich habe geschwiegen, wo mein Urtheil hätte verletzen und doch nichts nützen können, ich habe mich oft selbst verleugnet, aber wo bin ich jemals meiner Ueberzeugung tatsächlich untreu geworden? Ich habe mich an die alten Damen, die treuesten Beschützerinnen, gehalten, da es doch in der ganzen Mädchenwelt nur einen Lichtpunkt für mich gab und auch dieser sich bald zu einem Stachel und Peiniger für mich umwandelte, der alle die Empfindungen, die mich früher beglückt, in Bitterkeit untergehen ließ, der mich auch gleichgültig gegen das Mißverständniß machte, daß meine Besuche in Ihrem Hause Ihrer Schwester Helene gälten. Wenn ich einmal ohne besondere Neigung eine Verbindung eingehen sollte, so mußte mir die mit einem Mitgliede Ihrer Familie, zu welcher mich meine ganze Dankbarkeit hinzog, noch die liebste sein. Und nun darf ich Ihnen noch sagen, daß ich der Zukunft, welche ich mir mit Selbstverleugnung errungen, nicht unwürdig bin, daß ich bald frei werde den Kopf heben können und daß Sie mich dann achten sollen. Ihrer Schwester aber mögen Sie die Beruhigung geben, daß ich nicht die Ursache ihres Unglückes sein werde!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_513.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)