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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 34.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Zwei Welten.

von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Da kamen dem jungen Manne plötzlich Mangold’s letzte Worte in’s Gedächtniß; er blieb stehen und wandte sich langsam nach dem Dasitzenden. „Du wolltest noch etwas in Bezug auf Mrs. Graham sagen, Heinrich?“ fragte er.

„Erst werde mit Deinen Betrachtungen über den Brief fertig – es muß Deinem Gesichte nach so viel Besonderes darin stecken, daß mir jetzt alle übrigen Gedanken vergangen sind!“

„So viel Besonderes, Heinrich, daß ich es Dir, als einem so eifrigen Mitgliede der Untersuchungspartei, nicht einmal werde anvertrauen können!“

„Heiliges –! jetzt wirf mich nur im Ernste mit dem unruhigen Volke zusammen!“ rief der Tischler aufspringend; „was verstehe ich denn von dem ganzen Krimskrams? Ich bin mitgelaufen, weil aller Orten der Name Deines Principals genannt wurde und ich es für meine Schuldigkeit hielt zu horchen, um Dich warnen zu können. Wer sich aber niemals treffen ließ, war Herr Hugo Zedwitz, und nachher sagte mir Marquart, daß er Dir die Augen heller gemacht hätte, als nöthig sei, wenn Du nur sehen wolltest! Meinst Du wirklich, ich schliche mich Abends zu meinem Mädchen in des Comptrollers Haus, wenn ich mich viel um den ganzen Spectakel kümmerte?“

Hugo nickte befriedigt. „Du sollst Alles erfahren, denn ich muß selbst mit Dir über meine nächsten nothwendigen Schritte reden,“ erwiderte er, „erst aber laß mich wissen, was Du zu sagen hattest; in Augenblicken, wie den jetzigen, kann Alles von Wichtigkeit sein!“

„Nun ja, Dich wenigstens mag es interessiren!“ versetzte der Tischler, während er mit einem halb muthwilligen Blicke zu dem Freunde aufsah. „Ich wollte nur sagen, daß das eine ganz sonderbare Ehe ist, in welcher Deine Prinzessin mit ihrem Manne lebt. Seit den vier Wochen, die sie jetzt zusammen wohnen, haben sie sich nur bei den Mahlzeiten getroffen und auch da nicht immer. Er schläft auf der einen Seite des großen Hauses, sie aber auf der andern und hat zum Ueberflusse in der offenen Nebenkammer noch die Mulattin bei sich. Er ist den Tag über in der Stadt, kommt aber auch vielfach in der Nacht nicht heim, und der alte Henderson bleibt dann in dem Hause, um die Frauenzimmer nicht allein zu lassen. Die junge Frau lebt ganz zurückgezogen für sich, kaum daß sie einmal einen Gang in die Stadt macht, und die Mulattin hat behauptet, ihre Mistreß sei gerade noch so wenig richtig verheirathet als sie selber!“

Hugo hatte mit immer starrer werdendem Auge dem Erzähler, der mit sichtlichem Behagen die Wirkung seiner Mittheilung bemerkte, in’s Gesicht geblickt; plötzlich aber wandte er sich hinweg, als sei er sich selbst seines gespannten Ausdrucks bewußt geworden. „Dienstboten-Klatsch, Heinrich!“ sagte er, „sie mögen nicht glücklich mit einander leben, das ist aber Alles!“

„Wie der Herr Referendar befehlen, und mich kümmert auch die Sache nicht!“ erwiderte der Tischler mit einem neuen Zug von Muthwillen um den Mund; „im Uebrigen aber hat der alte Henderson bei Leib und Leben Stillschweigen über das Verhältniß geboten, und bei diesem wäre wohl am leichtesten der rechten Wahrheit auf die Spur zu kommen!“

Hugo war, dem Freunde den Rücken zukehrend, an’s Fenster getreten; er hatte nicht die Kraft in sich gefühlt, den Eindruck, welchen das Erzählte auf ihn gemacht, in seinem Gesichte zu verbergen, und noch konnte er sich bei dem Gedanken an die mögliche Wahrheit der Angaben eines seltsamen, alle seine Nerven durchrieselnden Gefühls nicht erwehren. Die Aeußerungen Jessy’s, das sie einer unabweislichen Nothwendigkeit gefolgt sei, aber nichts zu bereuen habe – daß nirgends eine Ursache sei, die ihr den kleinsten Theil seiner Achtung rauben könne! erhielten jetzt für ihn eine eben so bestimmte Bedeutung, wie manche bisher räthselhafte Aeußerung Henderson’s. Dann aber tauchte plötzlich die Behauptung des Alten in ihm auf, daß das Mädchen durch irgend einen teuflischen Streich gefangen und zu der Heirath gezwungen worden sei; er erkannte, daß sie sich vor einer Selbstentwürdigung gegen den ihr aufgedrungenen Mann gerettet hatte, aber doch um ihr ganzes Lebensglück betrogen war, und ein Zorn erhob sich in ihm, daß er unwillkürlich die Hände ballte, zugleich aber, um seiner Ohnmacht zu helfen willen, hätte weinen mögen. Einen Augenblick wohl war es ihm gewesen, als solle ihm, diesem unerwarteten Stande der Dinge gegenüber, eine neue Hoffnung aufgehen, in der nächsten Secunde aber hatte er auch schon seinen eigenen „Wahnsinn“ erkannt, und zuletzt blieb nur noch der eine Gedanke, sich zum bestimmten Entschluß erhebend, in ihm stehen, wenigstens Dem auf den Grund zu kommen, was sie zu ihrem Opfer vermocht, was ihn selbst um sein bestes Glück betrogen hatte; er meinte ohne eine solche Aufklärung kaum jemals wieder ruhig werden zu können.

Und so wollte er sie noch einmal sprechen, ehe er die Stadt verließ, wenn sie sich auch kaum freiwillig zu einer Zusammenkunft herlassen würde und ihm selbst ein persönlicher Abschied doppelt schwer werden mußte.

Noch einige Secunden lang blickte er sinnend durch das Fenster, dann wandte er sich langsam wieder nach dem Gefährten. „Ich werde morgen in Folge dieses Briefs einen harten Zusammenstoß


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_529.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)