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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)


an unserm Auge vorüber. Weniger bedeutsam und mythisch ausgeschmückt als die Kelten-Zwerge erscheinen die Walen, die nicht mehr im Lande unter den Germanen wohnten, sondern nur auf geheimnißvolle Weise in einzelnen Gruppen periodisch wiederkehrten, um in ihren ehemaligen gebirgigen Wohnsitzen ihre verlassene Arbeit, den Bergbau auf Gold, wieder aufzunehmen, worin ihnen die neuen Besitzer des Landes keine Concurrenz machten. Denn die Germanen trieben keinen Bergbau, wie Tacitus ausdrücklich von ihnen anführt. Viele Jahrhunderte lang und aus der mythischen Vorzeit unsres Volkes in die geschichtliche Zeit herüber mögen die Walen, die nun mit den Venedern und Venetern identificirt und auch Venetianer genannt werden, die reichste Goldbeute aus unsern Bergen fortgetragen haben, eh’ es den Deutschen einfiel, sich auch an diesem herrlichen Gewinn ihres Landes zu betheiligen. Und da war es denn merkwürdiger Weise wieder das Fichtelgebirge, in welchem der Deutsche den ersten Bergbau, und zwar ebenfalls auf Gold, betrieb. Nach dem Berichte des Mönchs Otfried von Weißenburg ist dies zur Zeit König Ludwigs des Deutschen (843–876) geschehen, und von hier aus verbreitete sich der Bergbau allmählich in Deutschland. Aber fort und fort waren die geheimnißvollen Walen oder Venetianer in ihrer Weise in denselben Bergen thätig, und geschichtlich sind sie bis in’s 12. Jahrhundert hinab zu verfolgen. Erst im 14. Jahrhundert wurde die bedeutende Goldzeche zu Goldkronach gegründet und die Stadt gebaut, aber wiederum von Slaven und nicht von Deutschen, wie der Name beweist.

In der Volkssage theilen die Walen oder Venetianer mit den Zwergen die elbische Natur, auch sie sind von zwerghafter Gestalt, auch sie können sich unsichtbar machen und im Nu nach jeder beliebigen Stelle versetzen, auch sie vermögen Wetterstürme zu erregen und fahren unsichtbar in der Windsbraut einher; auch sie sind zaubermächtige, wunderbar geschickte Goldschmiede. Und so erscheinen sie regelmäßig, vom Gebirgsvolk mit ehrfurchtsvoller Scheu betrachtet, als ausgestattet mit der geheimen oder vielmehr übernatürlichen Kunst des Ruthenschlagens, Goldfindens und Scheidens des edlen Metalls vom tauben Gestein und des kunstreichen Verarbeitens desselben. Die Wünschelruthe ist von ihnen unzertrennlich; sie ist ihr Stab und Wegweiser im wilden, schauerlichen, einsamen Gebirg, auf und unter dem Boden. Erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts treten sie aus der mythisch elbischen Hülle heraus und werden zu wirklichen Menschen; die mystische legen sie niemals ab, bis sie gegen Ende des Jahrhunderts ganz verschwinden.

Man kann sich denken, wie sich die ohnedies so lebhaft aufgeregte Volksphantasie dieses an Gold und Geheimniß so reichen und durch die stete Wiederkehr schier unerschöpflichen Stoffes bemächtigte! Fast keine Sage ist so dramatisch lebendig und buntfarbig, als die von den Venetianern oder Walen. Unzählige romantische Geschichten werden in allen Gebirgsorten des Fichtelgebirgs, des Thüringerwaldes und des Baier- und Böhmerwaldes von ihnen erzählt, die meist darauf hinauslaufen, daß Gebirgsbewohner, von einem Geschäft oder vom Zufall nach der Lagunenstadt geführt, hier die Männer, die sie in ihren heimischen Bergen als unscheinbare, geheimnißvolle Arbeiter gekannt, als wahre Goldfürsten wieder finden.

Aber nicht allein als Goldschürfer und Scheidekünstler werden sie gepriesen, sie genießen auch den Ruhm als Pharmaceuten und Aerzte, als Magiker und Wahrsager. Und so fallen sie vielfach mit den Zigeunern zusammen. In meiner Geburtsheimath, dem nordwestlichen Thüringerwalde, ist das Andenken an sie noch so lebendig, daß man in Ruhla die Häuser bezeichnet, wo Einzelne gewohnt, die Schmiedeessen, wo sie bei nächtlicher Weile gearbeitet, und die Familien, mit welchen sie wenn auch nur dürftigen Umgang gepflogen, und die sich ihrer Gunst durch werthvolle Goldgeschenke erfreut haben. In der geheimnißvollen Geschichte des berühmten Naturarztes Johannes Dicel in Seebach bei Ruhla, von dem ich in einem frühern Jahrgange der Gartenlaube erzählt, spielt ein Venetianer eine sehr wichtige Rolle. Dicel fand als junger Mann diesen Fremden krank bei Nacht im Gebirge, trug ihn heim und pflegte ihn bis zu dessen Genesung. Dafür lehrte ihm der Venetianer die Zubereitung seltner und kostbarer Arzneien und unterwies ihn überhaupt in der medicinischen Chemie. Dicel erhielt von ihm gleichsam die letzte Weihe als Arzt und Apotheker und wurde von nun an ein gesuchter Heilkünstler und reicher Mann.

Auch im Thüringerwalde ist, wie im Fichtelgebirge, der Volksspruch im Schwange: „Mancher wirft einen Stein nach der Kuh, und der Stein ist mehr werth als die Kuh.“ Daher müssen die Venetianer auch im Thüringerwalde ihre reichliche Rechnung gefunden haben, sonst wären sie nicht mit solcher Beharrlichkeit wiedergekehrt, denn zu Scherz und Schein haben sie nicht in den Schmiedeessen Nachts hantirt. In Ruhla wird vorzüglich eine sagengeschmückte Berghöhle am Wartberg (volksthümlich Marktberg) bei Seebach als Fundgrube der Venetianer bezeichnet, und allerdings findet sich darin ein goldglänzender Sand. Der Bergbau auf Gold ist später von der einst so wichtigen Bergstadt Saalfeld, besonders am Goldberg bei Reichmannsdorf, und ebenso erfolgreich von der nun zu einem armen Dorfe herabgekommenen ehemaligen Bergstadt Steinheide betrieben worden, wo dieser Betrieb im dreißigjährigen Kriege zu Grunde ging.

Die Venetianer sind endlich ausgeblieben, obgleich man sie zu Pfingsten und Frohnleichnam noch jetzt an manchen Berghängen der Oberpfalz arbeiten sehen will; aber es ist bekannt, daß die sonst so bedeutende Ergiebigkeit des Bergbaus auf edle Metalle in allen Ländern Europa’s sich sehr vermindert hat, sodaß manche Bergwerke die Betriebskosten nicht mehr abwerfen. Diese Thatsache sollte aber doch nicht von Versuchen abschrecken, die Fingerzeige der alten Walen zu verfolgen. Auf der andern Seite sollten neuere Geschichtsforscher sich angelegen sein lassen, das räthselhafte Wesen dieser Fremdlinge zu ergründen und über die ganze Angelegenheit möglichst helles Licht zu verbreiten. Auch die Poesie hat sich des schönen und gehaltreichen Stoffes noch in keiner würdigen erschöpfenden Weise bemächtigt, und so wäre es doch gewiß recht hübsch, wenn die alten halb mythischen Venetianer den Bergmann, den Geschichtsforscher und den Dichter veranlaßten, in ihren verlassenen Gruben Gold zu schürfen.

Zum Schluß noch eine von den vielen Venetianersagen aus dem Baierwalde, welche Schönwerth in seinem vortrefflichen Werke „Aus der Oberpfalz“ mittheilt und die ich als ganz besonders charakteristisch auswähle. „Es wurde einmal Heu heimgefahren. Da erhob sich das Windgespreil (Wirbelwind). Ein Bube, der neben dem Wagen ging, warf sein Messer hinein. Dieses wurde nicht mehr gefunden und die Sache vergessen. Der Bube wuchs zum Manne und mußte eine Reise nach Venedig machen. Wie er nun herumgeht, die Wunderstadt zu beschauen, sieht von einem Hause Einer zum Fenster heraus, der ihn hinaufruft und gastlich bewirthet. Als er ihn entließ, sagte er: „Ich habe nur ein Auge. Das verdanke ich Dir.“ Der Fremdling war darüber um so mehr betroffen, als er den Mann gar nicht kannte. Da ging der Wirth hinaus und kam nach einiger Zeit als Venetianer gekleidet herein und zeigte dem Gaste ein Messer, ob er es nicht kenne. Nun gingen diesem die Augen auf; er erkannte den Venetianer, den er als Knabe gar oft in seiner Gegend nach Goldsand suchen gesehen hatte.“


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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_560.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)