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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

welche sie zur Seite graben, die schwereren dagegen so unterminiren, daß sie allmählich hinabstürzen. Ja man sagt sogar, daß einige dieser Todtengräber, deren sich manchmal ein halbes Dutzend zu gemeinschaftlicher Arbeit zusammen findet, einen in die Erde gesteckten Stock, auf den man unverständiger Weise eine Kröte gespießt hatte, so unterminirten, daß sie ihn zuletzt zum Falle und die Kröte auf diese Weise in ihre Gewalt brachten.

Ein Wort der Gunst noch für die niedlichen, kleinen Marien- oder Sonnenkäferchen (Coccinella), die schon mit den ersten Strahlen der Frühlingssonne aus den Verstecken, in welchen sie überwinterten, hervorkriechen und durch die gewölbten polirten Flügeldecken mit schwarzen und rothen Tupfen allen Kindern ebenso bekannt sind, wie durch ihren leichten Flug und die gelbe stinkende Flüssigkeit, die in Tropfen aus ihren Beingelenken hervortritt. Ihre Larven sind schildförmig, mit Borsten besetzt und meist über und über struppig von Büscheln feiner Wachsfäden, die sie aus dem Leibe schwitzen. Beide aber, Käfer wie Larven, sind unersättliche Feinde der Blattläuse, denen sie von Knospe zu Knospe, von Zweig zu Zweig zerstörend folgen. Wir werden unter den Florfliegen und Mücken noch andere Blattlausfeinde finden, welche den Sonnenkäferchen an Gefräßigkeit nicht nachstehen, und alle diese Larven verdienen höchste Schonung, ja sogar Pflege und Wartung. Denn man kann eine Topfpflanze vollständig von Blattläusen reinigen, indem man mittels eines Pinsels einige dieser leicht kenntlichen Larven auf die Pflanze überträgt.

Gehen wir nun zu den schädlichen Käfern über, so tritt uns hier vor allen Dingen die außerordentlich zahlreiche Familie der Rüsselkäfer (Curculionida) entgegen, welche ohne irgend eine Ausnahme zu den schädlichsten Zerstörern gehört, die wir in dem Thierreiche kennen. Die Käfer lassen sich nicht verkennen, ihr Kopf ist in einen harten, unbeweglichen Rüssel ausgezogen, der zuweilen außerordentlich lang und dünne wird, länger selbst als der ganze Körper, und an dessen vorderer Spitze die sehr kleinen, aber messerartig scharfen und kräftigen Kiefer stehen. An der Seite des Rüssels und zwar gewöhnlich an dessen Mitte sind die meistens knieförmig gebogenen Fühlhörner eingelenkt, welche oft in eine besondere Grube an der Seite des Rüssels zurückgelegt werden können. An dem Grunde des Rüssels stehen die kleinen, oft halbmondförmigen Augen; der Körper ist gewöhnlich stark gewölbt und die Flügeldecken oft so hart, daß es kaum möglich ist, sie mit einer Nadel zu durchbohren. Nur die größten Arten unserer Gegend erreichen die Länge eines halben Zolles, die meisten werden höchstens eine bis zwei Linien lang.

Die Länge des Rüssels steht im Verhältniß zu dem Orte, an welchen diese Käfer ihre Eier zu bringen haben. Denn ihre Larven leben im Innern von Kernen und Früchten, von Blättern, Sprossen, Stengeln und Stämmen, sind alle fußlos, gewöhnlich im Halbkreise gekrümmt und können nur in der nächsten Umgebung bohren, nicht aber von einem Platze zum andern sich bewegen. Die Industrie der Rüsselkäfer besteht nun darin, mittels der scharfen Kiefer die Pflanzen anzuschneiden und so tief hineinzubohren, bis sie den Ort erreicht haben, an welchem die Larve sich nähren soll. Dann nehmen sie das Ei, das gewöhnlich mikroskopisch klein ist, zwischen die Kiefer und schieben es an den Ort, bis zu welchem der gebohrte Canal reicht. Deshalb haben die Haselnußkäfer (Balaninus), deren röthliche, ekelhafte Larve schon mancher meiner Leser statt des süßen Kernes in einer Haselnuß gefunden haben wird, einen so außerordentlich langen, feinen, gebogenen Rüssel, weil sie bei den noch jungen und weichen Haselnüßen alle äußern Hüllen, Kapsel, Haut, Fleisch und Schalen, durchbohren müssen, um ihr Ei bis an den innersten Kern hineinstecken zu können, während die Erbsenkäfer (Bruchus), welche nur die äußere Samenhaut anzubohren brauchen, um das Ei in die Erbse oder Bohne zu legen, nur einen kurzen, breiten Rüssel besitzen. Außer dem unmittelbaren Schaden, welchen die Larven dadurch anrichten, daß sie Samen und Kerne auffressen und häufig die Früchte schon in der Blüthe zerstören, werden aber viele dieser Rüsselkäfer, wie der Reb- und Apfelsticher (Rhynchites bacchus), dadurch außerordentlich schädlich, daß sie die Schossen der Gewächse und die jungen, jährigen Zweige, in welchen ihre Larven leben sollen, so weit anschneiden, daß die Schossen welk werden und verdorren.

Wir wählen unter der großen Menge schädlicher Rüsselkäfer nur zwei aus, die uns ein Bild von dem Leben der übrigen geben können und die zugleich durch die massenhaften Zerstörungen, welche sie an den ersten Lebensbedürfnissen, Brod und Wein, anrichten, fast jedem von uns bekannt sind.

Der Rebensticher, Drechsler, Augenschneider (Rhyncites Betuleti) ist ein namentlich im Süden Deutschlands, Elsaß und Burgund durch seine Verwüstungen an dem Weinstocke leider nur zu wohlbekannter Käfer, von der Größe einer Stubenfliege, mit langem, nach unten zu gebogenem Rüssel und hohen Beinen, der in mannigfaltigen metallischen Farben spielt. Gewöhnlich ist er prächtig stahlblau, häufig aber auch goldgrün, bronzefarben und selbst kupferroth, stets aber vollkommen glatt und unbehaart. Nicht nur die Reben leiden unter seinem Treiben, sondern auch verschiedene Wald- und Obstbäume und vorzugsweise die Birnen, auf denen er sich leicht durch die Eigenthümlichkeit bemerklich macht, daß er ein Dutzend zarte, junge Blätter und mehr förmlich in eine Cigarre zusammenrollt. Im ersten Frühling scheint er sich mehr in den Wäldern aufzuhalten; sobald aber die Rebe beginnt auszuschlagen, wandert er wohl auf die Lieblingspflanze hinüber und findet sich dann oftmals in ungeheurer Menge in den Weinbergen. Hier ist nun seine Thätigkeit eine äußerst mannigfaltige. Zu seiner Nahrung schabt der Käfer auf der Oberseite der Blätter gerade Streifen von mehreren Linien Länge und von der Breite des Rüssels ab, auf welchen er das Blattgrün wegfrißt und nur die durchsichtige Unterhaut stehen läßt. Das Blatt verdorrt. Dann werden die weichen, noch krautartigen Schossen, sowie später die Stiele der jungen Trauben zur Hälfte abgeschnitten, so daß sie herabknicken und schließlich verdorren. Wie es scheint, liebt der Käfer mehr die Nahrung von halbverwelkten, als von frischen Pflanzentheilen. Unterdessen haben sich die Blätter des jungen Weinstockes vollständig entwickelt, und nun beginnt die Sorge für die Brut. Die Blätter werden an ihren Stielen halb durchgenagt, so daß sie zu welken und sich aufzurollen beginnen. Der Käfer hilft nach, oft mit großer Anstrengung, und fertigt endlich eine Rolle, die aus mehreren großen und einigen kleineren Blättern besteht. Männchen und Weibchen arbeiten meistens gemeinschaftlich, und wenn die Rolle gefertigt ist, werden von außen her mehrere Löcher hineingestochen und die Eier durch diese Löcher in das Innere geschoben. Die Larven schlüpfen nach etwa acht Tagen aus, und nun – schweigt die Geschichte.

Kaum ist es glaublich, daß man von einem Insect, welches in manchen Jahren in der Pfalz und in Baden scheffelweise zusammengelesen werden konnte, welches man von Obrigkeitswegen im Elsaß und Markgrafenland zusammenlesen lassen mußte und gegen welches, wie ich sogleich ausführlicher mittheilen werde, im Mittelalter Staatsprocesse geführt wurden – kaum ist es glaublich, sage ich, daß von einem solchen Insect die Lebensweise nicht näher bekannt sein sollte. Und doch ist es so. Denn über die Entwickelung der in den Blätterrollen verborgenen Larven, über ihre Einpuppung und über die Generationsdauer des Thieres herrscht die größte Unsicherheit. Man schwankt in der Angabe über die Lebensdauer der Larven zwischen 14 Tagen und 6 Wochen; die Einen lassen sie in der Erde, die Andern in Rindenritzen sich verpuppen, und nur so viel scheint festgestellt, daß im Spätsommer, August und September, junge Käfer erscheinen, welche aber zu dieser Jahreszeit niemals Blattwickel verfertigen, keine Cigarren drehen, aber nichts destoweniger häufig in der Begattung getroffen werden. Ueberwintern nun die im Herbste ausgeschlüpften Käfer, um im Frühjahr zu erscheinen, oder legen sie Eier, deren Larven noch genug Nahrung finden, um sich vor Eintritt des Winters verpuppen und unter der Erde das Erwachen des Frühlings erwarten zu können? Keine dieser Fragen ist bis jetzt gelöst. Man weiß also nicht, ob der Käfer eine einfache oder doppelte Generation im Jahre durchmacht.

Wie groß der Schaden sei, den sie anrichten können, beweisen indessen jene Processe, die im Mittelalter gegen sie geführt wurden, und von welchen ich Ihnen einen aus unserer Nähe mittheilen kann. (Ich bedauere nur, daß der eigenthümliche Reiz, der in dem naiven Altfranzösisch sich findet, in der Uebersetzung nothwendiger Weise verschwinden muß.)

Im Jahre 1554 hatten die Rüsselkäfer die Weinberge von St. Julien in der Nähe von St. Jean de Maurienne in der savoyischen Provinz Maurienne verwüstet. Eine gerichtliche Untersuchung wurde eingeleitet und vor dem bischöflichen Gerichte von St. Jean de Maurienne von den Einwohnern Klage erhoben. Den Käfern wurde ein Fiscal bestellt, der eine Vertheidigungsrede

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_584.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)