Seite:Die Gartenlaube (1862) 597.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Der Hessen Volkstribun.

Friedrich Oetker.

Wer kennt nicht den beharrlichen Kampf, den ein kleines Volk im Herzen Deutschlands seit einer Reihe von Jahren für sein angestammtes Verfassungsrecht kämpfte? Welchem Vaterlandsfreunde füllte sich nicht mit Schmerz und doch auch mit Stolz die Brust, so oft der Name „Kurhessen“ genannt ward? Wer aber die Leiden und Kämpfe dieses kleinen Landes beobachtet hat, dem ist auch der Name des Mannes nicht unbekannt, der dort als Vorkämpfer steht und in dessen Person wir die Eigenschaften, die wir an dem hessischen Stamme bewundern, gleichsam in höchster Potenz geeinigt erblicken, der Name Friedrich Oetker. Wir sind überzeugt, daß sein Bild und eine kurze Darstellung seines Lebens jedem Deutschen, der die Helden im geistigen Kampfe seines Volkes ehrt, willkommen ist.

Friedrich Oetker ward am 9. April 1809 zu Rehren, einem Dorfe in der Grafschaft Schaumburg, geboren, wo der Vater abseits des Orts eine kleine Mühle besaß. Sein Unterricht bis zum 16. Lebensjahre fiel den Dorfschulmeistern anheim. Im 17. Lebensjahre wurde für ihn der Besuch des damals vortrefflichen Gymnasiums zu Rinteln möglich, und Ostern 1831 bezog er zum Studium der Rechtswissenschaft die Universität Marburg.

Im Frühjahr 1835 trat Oetker zu Kassel in den Vorbereitungsdienst ein. Um diese Zeit waltete dort Hassenpflug noch in seiner ersten Periode als Minister und machte den Versuch, Oetker für die Regierungspartei zu gewinnen. Bald mußte er jedoch gewahr werden, daß an der Charakterstärke Oetker’s jede Verführungskunst scheitere. Von da an galt Oetker für eine „verdächtige“ Persönlichkeit; und als er im Jahre 1837 um eine Anwaltsstelle sich bemühte, erklärte ihm Hassenpflug rundweg, „daß er ihn nicht zum Anwalt machen werde.“ Erst als Hassenpflug bald darauf abtrat, wurde Oetker seinem Wunsche entsprechend zum Anwalte bestellt, jedoch auch jetzt nur „provisorisch“, d. h. auf beliebigen Widerruf; ein bis dahin in Kurhessen unerhörter Fall.

An den politischen Kämpfen der damaligen Periode nahm Oetker keinen offenen Antheil. Erst mit dem Umschwunge des Jahres 1848 begann für sein Leben eine neue Epoche. Zunächst wurde seine provisorische Anstellung als Anwalt in eine definitive verwandelt. Das war der einzige Anspruch, den er damals für sich an den Staat machte. Außerdem widmete er sich von jetzt an ganz der freien Presse, mit deren Macht er in jene bewegte Zeit einzugreifen begann. Nachdem von ihm gleich in den ersten Märztagen mehrere Flugblätter erschienen waren („Blättchen, weil ich noch kein Blatt habe“), gründete er die „Neue Hessische Zeitung“, in welcher er mit Entschiedenheit die Grundsätze der constitutionellen Partei vertrat und namentlich das neue Ministerium bei dem begonnenen Ausbau der Verfassung im Sinne der Märzverheißungen unterstützte. Als Mitredacteur seines Blattes gewann er den geistvollen, feurigen, mitunter jugendlich übersprudelnden Adam Pfaff.

Innerhalb der constitutionellen Partei nahm Oetker bald eine bedeutende Stellung ein. Die Bürger Kassels wählten ihn zum Mitglied ihres Stadtraths, die Schaumburger Städte bei den im

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 597. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_597.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)