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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Eine Wettfahrt mit Dampfern.

Die Kunst des Seefahrens erfordert Ueberlegung, große Geschicklichkeit und lange Uebung und Erfahrung; gerade deshalb wetteifern Diejenigen, welche sich tüchtig glauben, so gern mit einander um die möglichst schnellste Vorwärtsbewegung, worauf es ja fast bei allen Concoursen ankommt. Ein solches Wettrennen zu Wasser fand am 28. Juli 1861 auf der Zuidersee statt, dem ich beizuwohnen Gelegenheit hatte. Holländische, englische, belgische, französische und amerikanische Schiffe hatten sich zu diesem Feste in großer Anzahl eingefunden, und schon Tags zuvor gewährte der Hafen von Amsterdam einen seltenen Anblick. Dort war der Sammelplatz sämmtlicher Concurrenten. Das geschäftige Treiben der gesammten Schiffsmannschaft ließ deutlich erkennen, mit wie regem Interesse Alle dem großen Tage entgegengingen. Hier wird das Verdeck gescheuert und abgeschwemmt, dort noch ein Segeltuch ausgebessert, da werden die Seile in guter Ordnung unter den Masten aufgeschichtet, dort die Schiffsgeräthschaften geputzt, hier noch eine Gondel angestrichen in der Hoffnung, daß sie die Nacht über trockene. Wagenweise werden Guirlanden und Kränze herbeigeschafft; man will den Mastenwald im Hafen auch einmal grünen lassen. Fahnen, Flaggen und Wappen kommen in so großer Anzahl und so verschiedener Gestalt und Farbe zum Vorschein, daß es wohl Manchem unmöglich wird, sich über die Nationalität des betreffenden Fahrzeuges klar zu werden. Wie rennen die Schiffsjungen und Matrosen ebensoviel auf den Schiffen wie auf dem Festlande! Heute haben sie die Stadt nöthiger als je; wo sollten sonst die neuen Hüte, Jacken, rothen Hemden und Echargen herkommen? Wo sollte die Zuschauermenge, die ihre Geschicklichkeit und Ausdauer bewundern soll, wo am Abend nach dem Feste das Liebchen herkommen, dem ein Jeder seine Heldenthat zu verkünden hat?

Drüben über dem Wasser, auf der andern Seite des Hafens, wo die Landzunge, die die Zuidersee einschließt, ziemlich nahe an Amsterdam herantritt, da ist ein großes Zelt gebaut, fast von drei Seiten von Wasser umschlossen, unter dem Schatten einer Eiche und in bester Lage und Höhe, um von dort aus den ganzen Schauplatz übersehen zu können. Hier soll das Comité tagen und sollen die Signalkanonen losgefeuert werden. Etwas im Hintergrunde steht ein großes Lusthaus mitten in einem schönen Garten, der heute jedoch mit Stühlen, Bänken, Tischen, Bretern etc. so überladen wird, daß den armen Blumen und Bäumen in Erwartung des morgenden Tages wohl bange werden muß. Am Tage des Festes nun setzten sich von früh acht Uhr ab die Passagierdampfer von Amsterdam nach dieser Landspitze in Bewegung und brachten Tausende von Zuschauern herüber, denn die Ueberfahrt selbst dauerte wohl nur eine Viertelstunde, und ein Dampfer nach dem andern fuhr am Bollwerk des Hafens an, um immer wieder neue Gäste überzusetzen. Um ein halb elf Uhr traten die ersten vier Dampfschiffe ihren Lauf an, auf deren einem ich durch Protection eines befreundeten Capitains Platz gewonnen hatte. Hoch auf der See gewahrte man ein Fahrzeug, welches dort geankert, mit Fahnen und Guirlanden reichlich geschmückt, mit Kanonen und Musikcorps versehen, das Ziel der Laufbahn bildete.

Auf der Landzunge, in der Nähe des Comités, war das Militairmusikcorps von Amsterdam aufgestellt, welches durch seine feurigen Piècen die Zuschauer belustigte und die Wettfahrer, welche in halb banger, halb freudiger Erwartung dem Abfahrtssignale entgegensahen, ermuthigte. Lassen wir jedoch noch einen Augenblick die Lunte des Kanoniers unangezündet und inspiciren ein wenig unsern Dampfer. Unten im Feuerungs- und Maschinenraume erblicken wir die drei Heizer schweißgebadet und halb entblößt mit aller Sorgfalt und Aufmerksamkeit ihrem Geschäfte obliegen. Bereits zwischen sieben und acht Atmosphären Ueberdruck steht der Manometer. Mit ängstlicher Spannung betrachten sie abwechselnd diesen und das Wasserstandsrohr und mit Ungeduld erwarten sie das Signal, denn bereits überflüssiger Dampf entweicht durch das Sicherheitsventil in’s Freie. Auf diese drei Leute kommt wohl das Meiste bei der Fahrt mit an, denn es ist ihre schwierige Aufgabe, es während derselben nicht an Dampf fehlen zu lassen. Die Arme über der Brust gekreuzt, geht mit heftigen Schritten der Maschinenmeister vor der 240pferdigen Dampfmaschine auf und ab. Unruhe und Spannung haben heute den Ernst und die Gleichgültigkeit aus seinen Zügen verdrängt, und oft mustert er mit ungeduldigen Blicken den Druck in den Dampfkesseln; trotzdem muntert er mit kurzen Worten die Heizer zu fleißiger Bedienung derselben auf, denn es gilt ja einen großen Preis zu erringen. Mit der Genugthuung, alle Lager und Charniere gehörig geölt zu haben, stehen die beiden Maschinisten ruhig an den Dampfeingangsventilen, die Hand auf dem Stellrad, um bei dem ersten Rufe des Capitains die Maschine in Thäigkeit zu setzen. In fieberhafter Aufregung, entblößten Kopfes rennt unser Capitain auf dem Verdeck auf und nieder, bald auf der kleinen eisernen Treppe zu seinem Emporsitze hinaufspringend, bald in den Maschinenraum hinunterschauend, am öftersten aber den Bombardier auf dem Festlande beobachtend, von dem das Abgangssignal ausgehen soll.

Da ich im Vergleich zu den übrigen Dampfern im Ganzen nur wenig Passagiere auf dem unsrigen fand, frug ich den Gouverneur am Steuerrade, den Einzigen von der Schiffsmannschaft, welcher Ruhe und Gelassenheit zeigte, nach dieser Ursache und erfuhr, daß man den Capitain für einen zu hitzigen und wagehalsigen Mann halte.

Da plötzlich erschollen drei Kanonenschläge so rasch hintereinander, das fast einstimmige „Vorwärts“ der vier Capitaine erscholl so präcise und laut, die Musik setzte mit so vollen Accorden ein, und die Zuschauermasse rief ein so furchtbares „Hurrah“, daß man kaum wußte, welche Raschheit man am meisten bewundern sollte; aber auch fast in demselben Moment wühlten acht Schaufelräder die bis jetzt ruhige See zu hohen Wogen auf und peitschten sie zu wirbelndem Schaume; fast in demselben Momente gestaltete sich der Hurrahruf der Zuschauer und Fahrer in ein halb Hohn-, halb Angstgeschrei um, denn der eine Dampfer bewegte sich rückwärts und entfernte sich zusehends von seinen Commilitonen. Alle Sachverständigen begriffen gewiß sofort, daß die guten Maschinisten dieses Dampfers im Eifer ihres Amtes die Maschine einfach falsch umgesteuert hatten; ich konnte daher nur mit den drei Capitainen aus voller Seele lachen, obgleich ich nicht ganz in ihre Schadenfreude einstimmte.

Wuthentbrannt und Feuer im Gesichte sah man den betroffenen Capitain von seinem Sitze springen und in den Maschinenraum hinabbrüllen: „Maschine umsteuern!“ Aber schon um 50 Fuß waren die anderen drei Concurrenten voraus, ehe dieser die richtige Bewegung wieder annahm, und jetzt mußte er noch gegen die mächtigen Wellen seiner Vorläufer ankämpfen, so daß wohl an kein Einholen zu denken war.

Jetzt entspann sich unter den Dreien, die noch ziemlich in einer Linie waren, ein heftiger Streit, das Schauspiel begann hinreißend und angsterregend zugleich zu werden, und die schöne Welt auf dem Festlande hatte nicht Ursache, unsere nervenschwachen Begleiterinnen zu beneiden, denn an Ohnmächtigen in der Cajüte fehlte es nicht. Furchtbar krachte und dröhnte unser Schiff in seinen innersten Pfosten und Angeln; an den Geländern, dem Fußboden, dem Gebälk konnte man jeden Kolbenstoß der Maschine deutlich wahrnehmen, und an den Wandungen weckten weite Spalten die Besorgniß der Beobachter.

Dichte schwarze Rauchwolken aus den Schornsteinen verriethen die Thätigkeit der Heizer; das dumpfe Getöse des aus den Cylindern in die Essen stoßweise gehenden Dampfes vermehrte noch den beängstigenden Lärm, welcher sich im ganzen Schiffe zeigte. Die Begeisterung wurde allgemein; es war, als müsse Jeder zur Beschleunigung des Fahrens mit beitragen, wie denn auch Viele in den Maschinenraum hinabstarrten und theils aufmunternde, theils beschwichtigende Zurufe laut wurden. Das Stoßen und Stöhnen der Maschine, das Knarren und Reiben der Balken nahm immer mehr zu, so daß ich einer geheimen Aengstlichkeit mich nicht erwehren konnte; ich stieg hinauf zum Capitain, welcher freudestrahlend mir bemerklich machte, daß wir eben anfingen einen kleinen Vorsprung vor den übrigen beiden Fahrzeugen zu gewinnen. „Mit wie viel Atmosphären dürfen Sie fahren?“ frug ich ihn. „Unsere Kessel haben gesetzlich 9 Atmosphären, sind jedoch vor ihrer Aufstellung im Schiffe in meiner Gegenwart auf 90 Kilogramm Ueberdruck geprüft,“ was ungefähr 13 Atmosphären gleich kommt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_616.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)