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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

sind für jedes Dorf Festtage geworden, an welchen Alt und Jung Theil nimmt, sie sind die „heiligen Abende“ vor dem Hauptfeste. So, aber auch nur so, wurde es möglich, aus Bauernburschen und jungen Bauern von geringer oder gar keiner musikalischen Vorbildung eine Sängerschaar heranzuziehen, welche denselben Festplatz der alten Coburg, auf welchem die berühmtesten Liedertafeln Deutschlands geglänzt, mit allen Ehren einnehmen konnte.

Wir kommen zu dem neuen Programm. Was man hier feiern wollte, war ein Volks-Gesangfest, darum mußte ganz abgesehen werden von der concertartigen Einrichtung der großen Sängerfeste. Nicht durch besondere Reden und Toaste, sondern durch den innigsten Zusammenhang von Wort und Lied sollten Sänger und Hörer für das Vaterland erwärmt und begeistert werden. Und dies gelang durch Düsel’s in der That neues Programm: durch die Vorführung der schweren und großen Zeit von Deutschlands Erniedrigung (1804–1812) und Deutschlands Erhebung (1813–1815) in den Volksliedern aus jenen Tagen und durch einen diese einleitenden und zu einem geschichtlichen Ganzen verknüpfenden Text für Declamation.[1] Und es war ein schöner Gedanke, daß dieses Fest zugleich den grauen Kämpfern jener Tage den Ehrenlohn einer öffentlichen Freude aus der dankbaren Hand des Volkes bringen sollte.

Das waren Mittel und Zweck des Festes; werfen wir einen Blick auf seine Wirkung. Sie war eine gewaltige. Sie war erhebend, sie war begeisternd, die Bilder des deutschen Jammers wie des deutschen Jubels griffen zu den Herzen bis zu Thränen in vielen Augen. Hier kamen der Gebildetste und der einfachste Landmann sich in einem Gefühl entgegen, alle diese verschiedenartigen Menschen konnten fähig gemacht werden, in einem, in gehobenem Vaterlandsgefühl ein Herz und eine Seele zu sein. Und daß dies nicht unter einem blauen Himmel im hellen Sonnenschein oder unter einer herrlichen schützenden Sängerhalle, sondern in Wind und Regen geschehen, daß keine Unbill des Wetters die theilnehmende Menge auseinander scheuchen und abkühlend auf die Herzen wirken konnte, das ist das beste Zeugniß für dieses neue Programm und seine poetische und musikalische Durchführung. – Treten wir näher an Sänger und Publicum hinan. Die Dichtung schildert, wie Napoleon die deutschen Jünglinge zu seinen Fahnen treibt, wie sie dem Unterdrücker, Wuth im Herzen, zur Knechtung anderer Völker folgen müssen und nun draußen in Feindesland unter deutschen Brüdern am Wachtfeuer der Lieben in der Heimath gedenken; da erschallt vom Sängerchor so weich, so sehnend das Lied von der treuen Liebe: „Steh’ ich in finstrer Mitternacht“ – und die alten Graubärte dort denken der Zeit und weinen, und mit ihnen weint die Hälfte der Gäste. – Und wie der Vers von Mosen’s „Andreas Hofer“, der den Todesact schildert, so klagend dahin zittert und die Trommel mit kräftigem Schlag, aber doch so dumpf, den Mord andeutet, der den Helden niederstreckte, da schrak die ganze Schaar zusammen, Entrüstung malte sich in den Augen, und einer der Greise erhebt sich und ruft den Cameraden zu: „Und wenn ich nimmer gut gelauf könnt, wenn’s gegen die Franzosen geht, ich wär derbei!“- Und wie die deutsche Klage verklungen, was treibt dort den Herrn mit dem kahlen Scheitel, die Schlußworte „Armer Baum!“ nochmals in tiefem Sinnen vor sich hinzumurmeln? – Und wie beim Schlußlied der ersten Abtheilung die Stelle kommt:

„Dann morgen auf, das Schwert zur Hand,
Bis wir befreit das Vaterland
Und der Feind zur Hölle gesunken!“

da drängt sich so mancher der Gäste unter die Sänger, er muß seinem Gefühl Ausdruck geben, muß mitjubeln der Morgenröthe deutscher Freiheit entgegen.

Während der Pause gehen wir einmal zu unseren Veteranen. Sie sitzen an langen Tafeln bei einem Ehrentrunk. Die alten Herzen sind aufgethaut, die Cameradschaft hat sich wieder gefunden, das Pfeifchen schmauchend, erzählen sie sich mit traulichem Du und Du ihre seitherigen Erlebnisse, dort einige Schwerhörige mit gar heftigem Gesticuliren, um sich einander verständlich zu machen. Dort gesteht Einer seinem Nachbar, wie „ewig sehr ihm das Gepredig gefiel von dem da droben“ (dem Declamator). Und ein Bäuerlein meinte dazu sogar: „Wenn ich dan sei Pridig könnt gehoh, se sollt mich a Vierezwanziger net reu!“

Mußte die Wirkung der ersten Abtheilung, mit vorherrschender Declamation, eine wehmülhig niederbeugende sein, so geht’s in der zweiten von Schlag zu Schlag, von Gesang zu Gesang, siegreich und erhebend vorwärts. Die Stimmung von Sängern und Publicum wurde eine immer freudiger erregte, wozu die treffliche Declamation des cob. Hofschauspielers Bellosa wesentlich beitrug. Einzelne Stellen, wie z. B. der Pommer an der Katzbach mit dem Kolben zuschlägt, „weil es so besser flutscht“, erregten eine Freude, daß der Festplatz von nicht enden wollendem Jubel erzitterte, und als endlich die Sänger entblößten Hauptes Arndt’s Vaterlandslied anstimmten, da sang Alles mit, was nur singen konnte, und so schloß der Sänger- und Veteranentag als ein vollendetes Volksfest.

Fassen wir auch den politischen Zweck dieses neuen Festes für deutsche Sängerbünde zum Schluß in’s Auge. Er ist: echte deutsche Gesinnung, treue Vaterlandsliebe, männlichen Freiheitsmuth und die Herzenserhebung, welche zu freudigen Opfern für Freiheit, Ehre und Vaterland fähig macht, im ganzen Volke zu wecken und immer mehr zu beleben. Und an welchem Beispiel wäre besser zu lehren, wohin Gleichgültigkeit gegen das allgemeine Wohl, Eigensucht und Zwietracht endlich auch mit dem Hab und Gut des Einzelnen führen, als an dem Beispiele Deutschlands, der deutschen Fürsten und der deutschen Völker in ihrem Verhalten gegen das Frankreich Napoleon’s? Darum freuen wir uns der Wirkung, die dieser erste Versuch mit einem patriotischen Bauern-Sängerbundes feste in der hier geschilderten Art zeigte, und hoffen, daß dasselbe glückliche Nachfolge in ganz Deutschland finde und so, wie es in Coburg geschehen, auch da, wo die vornehme Welt sie nicht sucht, die edelste Erhebung der Seelen und die reinste Begeisterung für das Vaterland immer herrlicher hervorrufe. – Wir halten dieses „Stück Geschichte in Wort und Lied“ für ein würdiges Mittel das deutsche Volk in weitesten Kreisen für die großen Nationalfeste des kommenden Jahres vorzubereiten und für den 50jährigen Befreiungsjubel selbst für ein würdiges Feststück, zumal es sich auch bei einer zweiten Aufführung in Coburg (am 16. September) in seiner drastischen Kraft bewährt hat.

  1. Wir können den Raum für die Mittheilung des Programms hier ersparen, da indeß das vollständige Textbuch im Druck erschienen ist unter dem Titel: „Deutschlands Erniedrigung und Erhebung; ein Stück Geschichte in Wort und Lied für deutsche Sängerbünde. Entworfen von Carl Düsel, dichterisch ausgeführt von Friedrich Hofmann. Coburg, in F. Streit’s Verlagsbuchhandlung.“

Die geheime Agentur.
Ein Bild aus dem amerikanischen Geschäftsleben.
(Schluß.)

So sicher waren die Minen gelegt, welche Cox und Sharp mit Hülfe von Douglas und Co. gegen Hargrave gegraben hatten, daß er fast die Stunde berechnen konnte, in welcher der Sherif seine Thür schließen mußte. Hätten seine Gläubiger im Osten nicht jene für ihn so fatalen Karten von der geheimen Agentur erhalten, würden sie ihm gern Stundung gewährt haben, bis er seine Außenstände im fernen Westen hätte collectiren können, und nun kam noch dazu, daß ihn seine Frau mit dem einzigen Kinde in der Stunde der Gefahr verließ. Den innern Zusammenhang ahnte Niemand, keiner las in den bildschönen Zügen seiner Frau, welche schlechte Seele dahinter steckte, und als Hargrave in der Verzweiflung sich vollends mit Brandy zu betäuben suchte, da brachen ihm Viele den Stab. Nur Bridget, das irische Dienstmädchen in seiner Familie, vertheidigte ihn bei den Nachbarn, und als Hargrave ihr die letzten Dollars für ihren Lohn auszahlte, bat sie um eine längere Unterhaltung mit ihm. Was sie darin mittheilte, wissen wir nicht, nur so viel mögen wir mit Recht schließen, daß sie ihm Thatsachen berichtete, welche seiner Abneigung gegen Lucy und Cox einen doppelten Sporn, gaben. Von diesem Augenblicke an bemerken wir eine Veränderung in Francis’ Betragen; er hörte auf zu trinken, wurde ruhig und gefaßt, und als der Sherif wirklich kam, seinen Laden zu schließen, übergab er demselben mit der größten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_646.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)