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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

In früherer Zeit, als Gesang und Clavier noch nicht in der Gesellschaft jede andere Unterhaltung absorbirten, war es vielfach Sitte, daß Frauen und selbst jungen Mädchen in gemischter Gesellschaft Gedichte declamirten. Es war dies in der sogenannten sentimentalen Epoche, als die neuerwachte Dichtkunst anfing ihren Triumphzug durch Deutschland zu halten, wo Matthisson, Klopstock, Hölty und Schiller mit hingebender Andacht zwischen Tassen- und Gläsergeklirr von den rosigen Lippen flossen. Wir würden es jetzt äußerst komisch finden, wenn eine junge Dame im Ballkleid sich hinstellte und Angesichts von Damen und Herren ein sentimentales Gedicht vortrüge. Aber welch grenzenlos dumme und unpassende Worte werden gegenwärtig von jungen Herren und Damen zusammen gesungen, und war die Idee nicht hübsch, bei einer geselligen Vereinigung die Poesie eben so wohl zu berücksichtigen, als ihre Himmelsschwester? Eine solche Wiedervereinigung im Sinne eines ernsten, gediegnen Geschmacks würde wahrlich auch unsern heutigen Gesellschaften nicht zum Schaden gereichen; warum sollte das schöne Talent des Vorlesens sich nicht eben so wohl geltend machen dürfen, als das Talent des Vorschreiens? Denn nicht Alles ist gesungen, was sich so nennt. Dann sollten aber auch unsere jungen Damen und Herren vor allen Dingen im Stande sein, nicht etwa ein vorher einstudirtes Gedicht, denn darin liegt oft das Gemachte und Affectirte, vorzutragen, sondern sie müßten richtig und unbefangen aus jedem Buche vorlesen können, das ihnen gereicht würde.

In der Schule lernen wir die Buchstaben kennen, in der Familie sollten wir mit Geschmack lesen und vorlesen lernen, wie wir es überhaupt nur dort erringen können, das, was der Unterricht uns gab, mit Geschmack und Grazie auf das Leben anzuwenden. Ganz gewiß aber sollte der Familienkreis die schützende Schranke sein, innerhalb deren das weibliche Geschlecht nicht nur physisch entwickelt, nicht nur vor schlechter Gesellschaft bewahrt, sondern vor den noch schädlicheren Einflüssen einer unpassenden Lectüre behütet wird. Dann erst wird auch eine gesunde Seele in dem gesunden Körper wohnen! –

L. B.





Blätter und Blüthen.


Der Friedrichshain in Berlin. Es war an einem schönen Frühlingstage dieses Jahres, als ich zum ersten Male den Friedrichshain in Berlin besuchte. Der neue Park liegt entgegengesetzt dem vornehmen Westend der Stadt zwischen dem Landsberger und dem Königsthore am Endpunkte jener Arbeiterviertel, die im Allgemeinen den schaulustigen Fremden nicht anlocken. Der Weg führt durch die engen, unschönen Straßen jenes alten, handeltreibenden, gewerbfleißigen Berlin, dessen Producte wir in den eleganten Läden und an den Schaufenstern der fashionabeln Stadttheile bewundern, während wir hier nur unscheinbaren Werkstätten und den fleißigen Händen begegnen, aus denen jene Wunderwerke des Luxus hervorgehen. Auch die einfachen, noch ziemlich schattenlosen, von Kartoffelfeldern begrenzten Anlagen des Friedrichshains, die sich an einem sandigen, mit der Büste des großen Friedrich gekrönten Hügel hinaufziehen, bieten an und für sich wenig Interesse. Dennoch ist der Platz nicht nur eine Wallfahrtsstätte für einen großen Theil der Bevölkerung von Berlin, sondern er wird auch vielfach von Fremden besucht, die einen Immortellenkranz niederlegen wollen auf den Gräbern der in den Märztagen 1848 gefallenen Volkskämpfer, die man hier auf dem höchsten Punkte des grünen, sonnigen Hügels zum letzten Schlafe niedergelegt hat.

Vor Kurzem war der Friedhof noch völlig unzugänglich. Das Manteuffel-Hinkeldey’sche Regiment hatte eine zehn Fuß hohe Breterwand ringsum ziehen lassen, dahinter war eine dichte Dornenhecke angepflanzt, und die Versuche, welche die Angehörigen und Freunde der Todten machten, durch die Spalte einer losgerissenen Planke zu den theuern Gräbern zu gelangen, um sie mit einem Zeichen der Liebe und des Andenkens zu schmücken, geschahen stets auf Kosten ihrer Hände und Kleider. Den Bemühungen einiger jener Männer, welche nach den unseligen Ereignissen des 18. und 19. März sich zu einem Beerdigungscomité zusammen gethan hatten, ist es erst seit einem Jahre gelungen, den Bann, der auf der Stätte lag, zu lösen. Die Breterwand ist gefallen, die Dornen sind beseitigt, das Unkraut, das den Platz vollständig überwuchert hatte, ist einem bescheidenen Schmuck von Strauchwerk und Immergrün gewichen, und eine grüne Hecke umschließt jetzt den Platz, wenn nicht in würdiger, doch in freundlicher, friedlicher Weise.

Herr von Hinkeldey hatte in der letzten Zeit seiner Wirksamkeit dem verstorbenen König vorgeschlagen, die Todten ausgraben und an die übrigen Kirchhöfe Berlins vertheilen zu lassen. Die Stätte, wo man sie nach dem Beschlusse der Bürger am 22. März 1818 in einem gemeinsamen Grabe gebettet hatte, sollte in Feld verwandelt werden, der Pflug sollte darüber hingehen – vielleicht um mit dem Erinnerungszeichen die düstere Erinnerung selbst zu verwischen. Das Gefühl des Monarchen sträubte sich indessen gegen diese Maßregel. „Man lasse die Todten ruhen!“ lautete der Bescheid, den Herr von Hinkeldey empfing – und so ruhen sie denn in Frieden.

Das National-Denkmal, welches den Gefallenen 1848 votirt wurde, und wozu das Bestattungs-Comité eine namhafte Summe – wie ich höre, gegen 30,000 Thaler – durch öffentliche Sammlungen aufbrachte, ist bis heute nicht errichtet. Als im Jahre 1849 zur Feier des 18. März von einem Theile der Bevölkerung von Berlin eine Grundsteinlegung für ein solches Denkmal beabsichtigt wurde, traten militärisch-polizeiliche Verbote dieser, wie überhaupt jeder öffentlichen Feier entgegen. Die gesammelten Gelder sollen irgendwo – man konnte mir nicht sagen wo – deponirt sein, und die Zeit ist nicht darnach angethan, um eine baldige der Bestimmung dieser Summe entsprechende Verwendung erwarten zu dürfen. Im Centrum des kleinen Friedhofes, auf dem Platze, der ursprünglich für das Denkmal bestimmt war, streckt jetzt ein schöner Baum seine Aeste und Zweige aus, und seine im Winde flüsternden Blätter singen den Todten da unten ein träumerisch süßes Schlummerlied.

Auch die Namen der stillen Schläfer, die unter den zweifachen Hügelreihen rings um den Mittelpunkt des Platzes ruhen, sind nicht vergessen. Einfache, schwarze Kreuze und kleine Tafeln von weißem Marmor, von Immergrün umrahmt, bezeichnen die einzelnen Grabstätten. An einigen Stellen hat man an den Zweigen der Büsche Kränze aufgehangen, in denen eine eingefügte Straminstickerei Namen, Geburts- und Sterbetage der darunter ruhenden Todten nennt. Es ist die rührende Gabe der Armuth, gewidmet den Armen. Eine kleine weiße Marmortafel trägt die Inschrift: „Ein unbekannter Mann“. Sie war mit einem frischen Kranze geschmückt.

Hier und da ragt auch ein Denkstein von größeren Dimensionen aus dem grünen Laubwerk hervor. Die Buchdrucker haben ihren gefallenen Genossen zwei Erinnerungssäulen gewidmet, auf denen man die Worte liest: „die deutschen Buchdrucker ihren Brüdern“. Auch die Wöhlert’sche Fabrik hat ihre Angehörigen durch zwei Denksteine geehrt, ebenso die Drechsler-Innung.

Die Arbeiter der Borsig’schen Fabrik haben ihren gefallenen Cameraden vier Monumente gesetzt. Gußeiserne Säulen tragen eine Kugel, das Sinnbild der rollenden Zeit, und neben zwei verlöschenden Fackeln einen Anker, umgeben von einem Eichenkranze. Die erste dieser Gedenksäulen trägt die Inschrift:

„Der heil’gen Freiheit galt sein schnell Erblassen,
Er hat sie uns als Erbtheil hinterlassen.“

Die zweite:

„Die Freiheit war’s, wofür er sollte enden,
Die Freiheit, die dereinstens wir vollenden.“

Die dritte:

„Sein letzter Will’ war auch sein letztes Handeln,
Er ruft uns zu, den gleichen Weg zu wandeln “

Die vierte:

„Im Kampfe für des Volkes Freiheit sterben,
So heißt das Testament, nach dem wir erben.“

Im Ganzen ruhen 210 Todte, darunter 5 Frauen und 2 Knaben, unter den grünen Hügeln des Friedrichshains.

S. A.





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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_656.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)