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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

so fühlt unmittelbar ein Jeder, daß wir hier mit Wesen zu thun haben, welche durch Ausbildung ihres individuellen wie gesellschaftlichen Wesens eine hohe Stellung in der Stufenleiter der thierischen Intelligenz einnehmen. Bevor wir indeß auf diese Merkwürdigkeiten näher eingehen, wollen wir uns zuerst diejenigen Eigenthümlichkeiten der Bildung und Entwicklung, durch welche man einen Hautflügler stets erkennen kann, näher vergegenwärtigen.

Der Name schon sagt es, daß vier häutige, mit wenigen Adern versehene, meist ganz durchsichtige und farblose Flügel bei diesen Thieren vorhanden sind, die nur in höchst seltenen Fällen, wie z. B. bei den Arbeiterinnen der Ameisen, fehlen. Gewöhnlich sind diese Flügel lang, kräftig, der Flug äußerst schnell und gewandt, so daß nur wenige Insecten in dieser Hinsicht sich mit den Hautflüglern messen können. Der Kopf ist meist groß, scharf abgesetzt und durch die großen zusammengesetzten Augen, die an der Seite stehen, meist breiter als lang; die Fühler gewöhnlich faden- oder borstenförmig; die Mundtheile immer kauend, aber häufig auch durch bedeutende Verlängerung der Unterlippe zum Saugen, oder fast möchte man sagen, zum Schlappen eingerichtet; der Hinterleib meist schlank, walzenförmig, bald mit seiner ganzen Breite an der Brust ansitzend, wie z. B. bei den Blattwespen, bald nur durch einen dünnen Stiel mit der Brust zusammenhängend, wie bei den eigentlichen Wespen; entweder mit einem Giftstachel, der gänzlich zurückgezogen werden kann, oder mit einer mehr oder minder hervorstehenden, von Klappen beschützten Legeröhre bewaffnet. Da der Giftstachel nur eine Modifikation der Legeröhre ist, so fehlt er stets den Männchen und findet sich nur bei den Weibchen oder den sogenannten Geschlechtslosen, welche nur verkümmerte Weibchen sind.

Merkwürdig sind die Unterschiede, welche sich hinsichtlich der Bildung der Larven finden. Bei einer ganzen Gruppe der Ordnung, den Holz- und Blattwespen, besitzen die Larven außer den eigentlichen Brustfüßen gewöhnlich noch eine große Anzahl von falschen Bauchfüßen, so daß man sie auch Afterraupen genannt hat. Bei den meisten anderen Hautflüglern dagegen sind die Larven fußlose Maden mit wurmähnlichem Leibe, die unfähig sind, sich von der Stelle zu bewegen, und entweder auf die unmittelbar im Umkreise sich findende Nahrung oder selbst auf die Fütterung durch die Eltern und Ammen angewiesen sind. Die Puppen sind meist in einem dünnen Gespinnste eingeschlossen und fein gemeißelt, so daß die sämmtlichen Theile des werdenden Insectes mit großer Deutlichkeit erkannt werden können.

Nutzen und Schaden für den Menschen mögen in dieser Ordnung etwa gleich vertheilt sein, der Nutzen vielleicht sogar überwiegen. Denn wenn auch Holz- und Blattwespen manche unserer Nutzgewächse zerstören und Wespen und Ameisen unseren Vorräthen manchen Schaden zufügen, so dürfen wir doch neben den werthvollen Produkten der Biene an Wachs und Honig nicht der mannigfachen großen Dienste vergessen, welche uns Schlupf- und Grabwespen durch massenhafte Zerstörung schädlicher Insecten und wilde Bienen und Hummeln durch Befruchtung vieler unserer Nutzgewächse leisten. Ja, bei einigen Arten verkehrt sich der Schaden, welchen die verwandten anrichten, in offenbaren Nutzen durch die Anwendung des krankhaften Auswuchses, den sie an Gewächsen durch ihren Stich hervorbringen. Ein wesentlicher Bestandtheil der Tinte sind die Galläpfel, welche durch den Stich einer Gallwespe an den Blattstielen der Eiche hervorgebracht werden. Was wäre die Welt aber ohne Tinte? Man wagt den Gedanken nicht weiter zu verfolgen, und gewiß hat die Partei der „Umkehr“, welche das Rad der Zeit und der Wissenschaft rückwärts zu drehen versucht, noch nicht daran gedacht, es bis zu jenem Zeitpunkte zurückzurollen, wo die patriarchalische Einfachheit noch kein anderes Schreibmaterial besaß, als Meißel und Bausteine.

Unter den schädlichen Hautflüglern stehen die Blattwespen (Tenthredinida) obenan. Breiter, ungestielter Kopf; mächtige Brust; dicker, sitzender Hinterleib; ziemlich lange Fühlhörner und wenig hervorstehende Legeröhre charakterisiren sie hinlänglich; nicht minder die mit 18 bis 22 Beinen und meist kleinen Augen versehenen Afterraupen, die gewöhnlich ihren Hinterleib schneckenförmig zusammenrollen und meistens von Blättern leben. So finden wir auf den Rosen mehrere Arten von Blattwespenraupen, welche häufig die Blätter gänzlich abfressen; so andere auf dem Raps, auf den Kirschen, auf den Stachel- und Johannisbeeren, die alle durch gemeinsame Lebensart sich auszeichnen. Die Mutter schneidet mittelst ihrer sägeförmigen Legeröhre das Blatt an und schiebt dann unter die Oberhaut das Ei, das sich bald entwickelt. Die ausgewachsenen Räupchen, die sich häufig in Gespinnsten oder auch in ihrem eigenen schleimigen Unrathe, der sie kleinen Schneckchen ähnlich macht, verbergen, spinnen sich nach erlangtem Wachsthum in der Erde ein, bleiben aber gewöhnlich den Winter über in ihren Gespinnsten als Larven und verpuppen sich erst kurz vor der endlichen Verwandlung, so daß die eigentliche Puppenzeit im Verhältniß zu dieser ruhenden Larvenzeit nur sehr kurz dauert.

Andere, nur sehr kurzbeinige, gekrümmte Larven wohnen im Innern von Früchten, und hier ist es namentlich die Pflaumenwespe (Tenthredo flavicornis), die uns manchen Schaden zufügt. Sobald die Pflaumenblüthe sich entfallet hat, sticht sie von außen her ein Loch in den Kelch und schiebt ihr Ei bis an den winzigen Fruchtansatz, der sich in der Mitte der Blüthe findet. Das bald ausgeschlüpfte Räupchen frißt sich in die junge Frucht ein, bohrt sich voran bis in die Mitte des Kernes, frißt diesen aus und zerstört die Pflaume so, daß diese nach und nach welkt und endlich, wenn sie kaum die Hälfte ihres Wachsthums erreicht hat, zu Boden fällt. Man erkennt die Gegenwart der Larve leicht an dem zur Herausschaffung des wanzenartig stinkenden Unrathes angelegten harzigen Loch und begeht meistens die Unvorsichtigkeit, diese welken Pflaumen am Boden liegen zu lassen. Eine große Unvorsichtigkeit in der That: denn sobald die Pflaume am Boden liegt, bohrt sich die Larve heraus und kriecht in den Boden, um sich einzuspinnen und auf diese Weise fernern Nachforschungen zu entgehen. In manchen Jahren aber wird von diesen Larven der größte Theil der Zwetschgenernte zerstört.

Eine andere große Reihe der Hautflügler mit Legröhre wird von den zahllosen Schlupfwespen (Ichneumonida) gebildet, deren Larven schmarotzend auf Kosten anderer Insecten leben. Der Hinterleib dieser Thiere ist meistens lang und schlank, die Legeröhre gewöhnlich dünn, oft sehr lang und innen mit einem Stachel versehen, so daß viele Arten den Hinterleib mit dieser Legeröhre beim Fliegen fast wie eine Balancirstange in der Luft tragen müssen. Die größeren, meist lebhaft gefärbten Arten sieht man überall auf Kräutern und Gesträuchern, stets mit den langen, feinen Fühlhörnern tastend, lebhaft hin und hersuchend und zuweilen vom Honigsafte der Blumen sich nährend. Die kleineren Arten sind häufig fast mikroskopisch, aber selbst dann noch mit lebhaften Farben geziert.

Jedes Töpfchen, sagt man, findet sein Deckelchen, und so hat auch jedes Insect in der Familie der Schlupfwespen nicht nur einen, sondern mehrere schmarotzende Feinde, deren Larven sich auf seine Kosten ernähren sollen. Nicht nur die vollkommenen Insecten, sondern auch die Eier, Larven und Puppen werden von diesen Wespen heimgesucht und mit ihren mikroskopischen Eierchen, aus denen die Larven sich entwickeln, besetzt. Zu diesem Endzwecke haben die Wespen die oft lange Legeröhre, mittelst deren sie die Insecten, die ihnen zum Opfer fallen, sogar in den Verstecken und Höhlungen aufsuchen, worin sich diese bergen. Die Larven der Gallwespen, welche in den Zellen jener krankhaften Auswüchse der Pflanzen wohnen, welche man Galläpfel nennt, die in Stengeln, Bast und Rinde bohrenden Larven der Schmetterlinge sind nicht sicher vor den Angriffen der Schlupfwespen. Diese stechen die Legeröhre durch die dicken Wände der Galle hindurch und wissen sichsr die darin wohnenden Larven zu treffen, welche mit dem Eie belegt werden. Die kleinsten Arten hausen gewöhnlich auch in den kleinsten Insecten, wie es denn mehrere Schlupfwespen giebt, die ihre ganze Entwickelung von Ei, Larve und Puppe in einem winzigen Schmetterlingsei durchmachen. Das Tröpfchen Dotter, welches den Inhalt eines solchen Eies bildet, genügt vollkommen zur Nahrung der noch winzigeren Larve, die innerhalb desselben aus dem Eie sich entwickelt. Doch kann man nicht sagen, daß die Größe der Larve einer solchen schmarotzenden Schlupfwespe stets im Verhältnisse zu der Größe des Insectes steht, in welchem sie sich aufhält, indem die Menge häufig die Größe ersetzt. Wie manchem Schmetterlingsfreunde ist nicht schon die Freude vergällt worden, aus einer seltenen Raupe den unversehrten Schmetterling ausschlüpfen zu sehen! Die anscheinend ganz gesunde Raupe verpuppte sich, und nach einiger Zeit brach aus der Puppe ein Schwarm unendlich kleiner Wespen hervor, die nur dem Naturforscher überhaupt, nicht aber dem Schmetterlingssammler Interesse einflößen können. Wir waren als Knaben eifrige Schmetterlingsjäger und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_670.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)