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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 45.   1862.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Junker von Hohensee.

Eine alte Geschichte.
Von Edmund Hoefer.
(Fortsetzung.)



„Als mein Onkel Hans Peter und der Baron Gerold sich bei uns nun wieder begegneten, schien der Letztere das alte Spiel auf’s Neue beginnen zu wollen. Mit einem Mal sah er sich aber meinem Vater gegenüber, und dieser erklärte einmal mit aller Gemüthsruhe seiner Frau, daß „ihr Herr Bruder“ den seinen ungeschoren lassen solle oder sein Haus zu meiden habe. Weshalb der stolze Gerold sich dieser Alternative fügte, weiß ich nicht, aber er fügte sich wenigstens anscheinend und ließ den Andern ziemlich in Frieden. Doch soll er, als Hans Peter damals um ein Fräulein von Ribnitz – sie hieß nur „die schöne Ribnitz“ und war in der That ein unendlich liebliches Geschöpf – warb, dort plötzlich als Nebenbuhler aufgetreten sein. Doch holte er sich einen Korb, und Hans Peter führte die Schöne heim. Ich werde darüber noch weiter zu reden haben; jetzt aber muß ich von mir berichten.

Mein Verhältniß zur Mutter besserte sich nicht, es wurde vielmehr schlechter von Jahr zu Jahr. Sie wurde stets liebloser und herber, ich stets trotziger und verbitterter, und seit Baron Gerold meine Schwester geheirathet hatte und neben uns wohnte, ward es immer schlimmer. Was sie gegen mich gehabt, mag Gott wissen; denn jenes Mißwollen, das meine Mutter von meiner Geburt her gegen mich hatte, kann es doch nicht allein gewesen sein. Ich war, so viel ich mich erinnere, ein wilder, warmblütiger Knabe, der aber für seine Freunde das Leben ließ, der mit voller Zärtlichkeit jeden Beweis von Zuneigung vergalt, der ihm, sparsam genug, von dieser oder jener Seite gegeben wurde – mein Vater und Onkel, Hans Peter, mein Bruder Julius sogar, wußten wohl davon zu sagen. Ich liebte unseren Lehrer auf das Allerzärtlichste, ich lernte ihm zu Liebe sogar und überwand meinen großen Trieb zum Umherstreifen; er konnte mich um den Finger wickeln, und ein strafendes oder auch nur ernst mahnendes Wort von ihm preßte mir Thränen aus. Kurz, ich war im Ganzen ein Knabe, an dem seine Eltern wohl hätten froh sein dürfen, und der in Wirklichkeit auch – wenn ich so von einem Kinde sagen darf – sehr beliebt war. Ja ich war, so weit das im Wesen und Charakter der Brüder lag und geäußert wurde, der entschiedene Liebling meines Vaters und des Onkels, Hans Peter. Aber meiner Mutter und dem Baron Gerold gegenüber nützte mir Alles nichts; sie bevorzugten meinen Bruder und haßten mich. Schüttelt nicht den Kopf, Vetter,“ setzte der Erzähler mit fast finsterem Ernst hinzu; „es war so.“

„Es kam so weit – ich war damals vielleicht zehn Jahre alt – daß meine Mutter mich mit keinem Blick und keinem Wort mehr beehrte, wenn nicht mit einem bösen oder strafenden und scheltenden, – daß ihre Hand, wenn sie mir dieselbe zu dem gebotenen Morgen-, Mittag- und Abendkuß überhaupt reichte, stets in der meinen zuckte, und daß ihr schönes, stolzes Gesicht von sichtbarem, zürnendem Verdruß und Widerwillen verzogen wurde, daß sie hundert und hundert Mal mich das schlechteste Kind hieß, den bösesten Buben, den Gott erschaffen! Es ist ja natürlich, daß wir uns einander steigerten! – Und Baron Gerold – ich hieß ihn damals nämlich niemals Onkel – accompagnirte dazu in seiner Weise und zeigte seine Stimmung gegen mich noch viel unverhohlener, weil ihm freilich auch nicht verborgen blieb, daß ich ihn in Wahrheit haßte, so sehr das ein Kind in solchem Alter vermag.

Vetter, es ist etwas Seltsames um Kinder! Wir beachten sie viel zu wenig und trauen ihnen viel zu wenig zu, suchen viel zu wenig Regungen und wirklich schon herangebildete Gefühle in ihnen. Seht, ich weiß es von mir, daß ich den Onkel damals haßte, daß ich ihn mit wahrem Grimm dort hinten aus dem Walde, hervor und über den Hof reiten sah, daß ich mit finsterem Zürnen sein Wirken und Walten in unserem Hause, seine langen Conferenzen mit der Mutter beobachtete, aus denen ja auch häufig genug etwas hervorging, was selbst für uns Kinder nicht ohne unbehagliche Nachwirkung blieb; daß ich mit heißer Erbitterung sein Auftreten gegen Onkel Hans Peter und dieses und meines Vaters gutmüthiges – ich nannte es schon feiges – Nachgeben sah. Das Alles war in mir, Vetter, und – kindlich oder unkindlich – so viel wie ich mich in der Folge mit Kindern beschäftigt habe, weiß ich nur zu genau, daß dergleichen leidenschaftliche Empfindungen in den jungen Dingern gar nicht so selten sind.

Ich selber war nicht „feig“ gegen ihn. Mit wildem, finsterem Trotz trat ich ihm, wo er mir zu nahe kam, ungestüm entgegen, was ich natürlich jetzt nicht mehr als etwas Lobenswerthes, aber doch als etwas unter solchen Umständen sehr zu Entschuldigendes hinstelle. Ebenso ungestüm entzog ich mich ihm, wenn er sich einmal mit mir beschäftigen zu wollen schien – ich wußte gut genug, daß dahinter keine Spur von Güte oder auch nur augenblicklichem Interesse steckte, – und wenn die Eltern hin und wieder nach Büzenow hinüberfuhren, hätte mich keine menschliche Gewalt zu ihnen auf den Wagen gebracht. Ich war dann übrigens auch sicher immer so weit vom Hause, daß mich Niemand zu finden wußte. Die Scene, die ich dann Abends nach der Rückkehr oder am anderen Morgen mit der Mutter gewöhnlich zu bestehen hatte, ertrug ich mit finsterer oder kalter Resignation. Und was,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_705.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)