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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

vor dem Gesichte des Mannes nur eine aus Dunst gewobene Maske, welche in ungewissen Umrissen die Züge eines Menschenantlitzes trug, während hinter derselben Augen, Rachen und Zähne einer Hyäne zu lauern schienen. Die widernatürlich in die Höhe gezerrten, buschigen Brauen, die hervorquellenden Augäpfel gaben dem Gesichte vollends den Ausdruck des Entsetzlichen. Die kreischende, bis in die fernsten Winkel verständliche Stimme begleitete ein schmatzender Ton, wie er jenen düsteren Phantasiegebilden zugeschrieben wird, welche die Volkssage mit dem Namen „Vampyre“ bezeichnet. Der Mann, den die Rachegötter zu seinem fürchterlichen Handwerke gleichsam gestempelt zu haben schienen, war Fouquier Tinville, der öffentliche Ankläger, der Bauerssohn von Herouelle, der Spürhund der Guillotine.[1]

„Ich thue Einspruch,“ kreischte das Ungeheuer, „der Angeklagte darf sich nicht in unnützen Ausschweifungen ergehen. Kostbar ist die Zeit. Bis 4 Uhr muß das Urtheil über 14 Gefangene gesprochen sein. Jetzt ist es zwölf. Keine Zeit ist zu verlieren.“

„Sie haben keine Zeit zu verlieren?“ donnerte Trenck. „Die paar Augenblicke, in denen es sich um die Vertheidigung eines Menschenlebens handelt, die halten Sie für verloren?“

„Sprechen Sie, Angeklagter,“ rief der Syndicus Hermann.

„Bürger Procurator,“ heulte Tinville, „dann kann ich nicht mehr – –“

„Bürger Ankläger,“ fiel Hermann ein, „mir liegt die Sorge ob, das Gericht zu leiten. Lassen Sie mich die Ansprüche auf Vertheidigung ermitteln. Angeklagter, ich wiederhole, Sie können sprechen.“

Jetzt erhob sich Trenck und sprach: „Bürger! zehn Jahre lang schmachtete ich in Fesseln. Endlich befreit, benutzte ich die Freiheit, wie sie der Philosoph benutzen soll, der ihre heilige Nothwendigkeit tief empfindet. Ich war ein nützlicher Bürger. Nachdem ich in Aachen die Tochter des Bürgermeisters geheirathet hatte, betrieb ich den Handel, Literatur und militärische Studien. Ich war der Gründer einer Zeitung, in welcher ich die Lehren eines neuen reinen Christenthums predigte. Aus Achtung für eine Fürstin, der ich meine Freiheit verdanke, gab ich die Zeitung auf, nicht aber meine Grundsätze. Von 1774–77 bereiste ich Frankreich und England. Hier machte ich die Bekanntschaft des großen Patrioten Franklin. Ich bin es, der den auf ihn gedichteten Vers verfaßt hat:

„Eripuit fulmen coelo, sceptrumque tyrannis!“[2]
(Dem Himmel entriß er den Blitz, den Tyrannen das Scepter.)

Nach Deutschland zurückgekehrt, wollte man mir öffentliche Aemter übertragen, aber der Tod meiner Wohlthäterin, der großen Kaiserin Marie Theresia – – –“

„Sie dürfen die Ihnen gegebene Erlaubniß nicht zur Verherrlichung der Tyrannen mißbrauchen,“ schrie Tinville.

„Sie werden mich nicht hindern zu sprechen, wie ich muß. Es ist doch sehr sonderbar, daß ein republikanischer Beamter die Freiheit der Vertheidigung mit dem Kreise des Popilius umgeben will. Also, als die große Kaiserin – – –“

„Wir sind hier, um Recht zu sprechen,“ fiel Herman ein, „nicht aber um Lobreden auf die Feinde der Republik zu hören.“

„Sagen Sie lieber: um zu verurtheilen. Aber Sie haben mir das Wort gegeben, ich werde es benutzen. Die große Kaiserin Marie Theresia – – –“

„Entziehen Sie ihm das Wort, wenn er Tyrannen lobt,“ rief Tinville.

„Sie war meine Wohlthäterin,“ rief Trenck, „und ich muß es sagen, gerade hier, an dieser Stelle, daß sie eine große Kaiserin war. Als diese große Fürstin gestorben war, ging ich nach Ungarn und ward Landmann. Ja, Bürger, der, den Ihr als Angeklagten vor die Schranken fordert, war der Freund Franklin’s und hat in den Ebenen von Zwabach die Pflugschaar geführt! 1787 ward es mir verstattet, mein Vaterland wiederzusehen. Ich ging nach Preußen, blieb aber dort nur so lange, als ich brauchte, um eine heilige Schuld der Dankbarkeit zu bezahlen. Der Gegenstand derselben verließ diese Welt, und ich entfloh von der Stätte, auf der ich so viel geduldet hatte. –

Jetzt erschienen meine Denkwürdigkeiten, welche die Aufmerksamkeit Europas auf mich lenkten. Man machte mir glänzende Anerbietungen. Ich schlug sie aus. Ich wollte meiner freien Gesinnung nicht untreu werden und trotzte neuen Verfolgungen. Meine Begeisterung für den Sturm der Bastille trug mir in Wien eine siebenzehntägige Gefangenschaft ein. Bürger, ist das eine Führung, die den Patrioten Frankreichs anstößig sein kann? Seit 1791 lebe ich Frankreich, ich veröffentliche Broschüren, die nicht ohne Einfluß auf die politische Erziehung des französischen Volkes gewesen sind. Wenn ich die Volksversammlungen nicht besucht habe, so geschah dies, weil ich glaubte, man werde mir, einem Fremden, das Wort entziehen. Befragen Sie, Bürger, außerdem meine Cameraden in der Section der Lombarden, der ich lange angehörte, sie werden mir das Zeugniß eines ehrlichen Mannes nicht versagen. Ich habe gesprochen und glaube bewiesen zu haben, daß ich niemals etwas gegen die Freiheit der französischen Nation unternahm.“

Trenck setzte sich mit stolzer Gebehrde nieder. Neuer Beifall flog durch die Reihen. Da erhob sich der öffentliche Ankläger wieder. „Ich werde,“ heulte er, „dem Angeklagten nicht in seinen Windungen folgen. Die Gerechtigkeit muß die Schnelle des Blitzes haben. Ich lasse sogar einen Theil der Ankage fallen, soweit dieselbe die feindlichen Beziehungen außerhalb Frankreichs betrifft. Aber der Angeklagte erwidere mir etwas auf die Beschuldigung, zu der ich jetzt übergehe: Bürger! Man hat in St. Lazare eine Verschwörung angesponnen, welche die Wiederherstellung des Königthums und den Sturz der Republik zum Zwecke hatte. Trenck, Chenier, Boucher, de Bart und Andere sind die Rädelsführer. Bürger, Sie sind berufen, die eine Hälfte derselben zu richten, morgen steht die andere vor den Schranken. Der Abend des 6. Thermidor war zur Ausführung bestimmt, der Genius der Freiheit hat den blutigen Plan vereitelt, die Hauptschuldigen stehen vor Ihnen. Sie müssen Sie verurtheilen, denn das Vaterland ist in Gefahr.“

„Jeder Sclave hat das Recht, seine Fesseln zu sprengen,“ brauste Chenier auf.

„Der Strafe wollten wir entgehen, weiter nichts,“ rief Boucher. „Nicht Jeder paßt zum Mörder. Die Hand, die eine Feder oder ein Schwert mit Ehren führte, verschmäht den Dolch.“

„Als ich aus dem Gefängnisse entflohen war,“ rief Trenck, „legte man mir schwerere Fesseln an, aber man strafte nicht mit dem Tode. Dem Gerichte der Republik war es vorbehalten, Alles an Grausamkeit zu übertreffen.“

„Warum greifen Sie dem Urtheile der Geschworenen vor?“ sagte Hermann.

„Wir kennen unser Schicksal,“ eiferte Boucher; „bergt nicht den Tiger in der Fuchshaut! unser Tod ist unwiderruflich, und wir verlassen diesen Raum nur, um das Schaffot zu beschreiten. Nichtswürdige Richter! es thront ein Richter über uns, der auch Euch richten wird. Wehe Euch! Eure Bluturtheile werden Euch überleben und Eure Namen bis in die entferntesten Zeiten am Schandpfahle prangen.“

„Im eigenen Vortheile der Angeklagten entziehe ich ihnen das Wort,“ sagte Hermann.

„Entzieht es uns oder nicht,“ rief Chenier, „wir wollen uns nicht vertheidigen. Es wäre Hohn, einem solchen Gerichte gegenüber sich vertheidigen zu wollen. Die Richter der Revolution schänden die Freiheit.“

„Bürger Präsident,“ rief Tinville, „machen Sie diesem Gewäsche ein Ende. Fordern Sie die Geschworenen auf, sich in das Berathungszimmer zu begeben.“

„Angeklagter Trenck,“ sagte jetzt Hermann, „man schätzt an Ihrer Vertheidigung den Charakter der Mäßigung. Bleiben Sie dabei, daß Sie an der Verschwörung nicht Theil genommen haben?“

Trenck konnte sich mit einem Worte retten; er konnte wieder frei ausgehen. Aller Augen hafteten auf ihm. Mit einem Ruck erhob er sich. „Bürger!“ rief er, „Ich erkläre, daß ich die Verantwortlichkeit der von meinen Genossen gesprochenen Worte übernehme. Ihr Schicksal soll das meinige sein. Ich will mit ihnen leben und sterben.“

Trenck war verloren; aber der große Augenblick hatte ihn groß gefunden. Alle seine Verirrungen, seine Fehler waren gesühnt durch diesen Entschluß – er war ein Märtyrer seiner Ehre. Eine schreckliche Pause entstand. Endlich treten die Geschworenen wieder ein. Sämmtliche Angeklagten, 30 an der Zahl, sind zum


  1. Fouquier Tinville ward 1795 guillotinirt, weil er so viele Franzosen unschuldig geschlachtet habe (!). Auf dem Wege zur Richtstätte fiel er mehrere Male in Ohnmacht. Er schrie: das Blut erstickt mich! Er hatte die fixe Idee, er müsse durch ein Blutmeer waten.
  2. Mit diesen Worten soll d’Alembert Franklin bei dessen Aufnahme in die Akademie begrüßt haben. Wer der Erfinder war, bleibe dahingestellt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_010.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)