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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

nicht in Dinge mischen, welche naturgemäß das jüngere Geschlecht auszufechten habe. Unter solchen Bedingungen und Zugeständnissen konnten wir uns seine Widersprüche gefallen lassen, und das um so leichter, als die Witze, die er damit verband, nie gegen uns, sondern gegen seinen eigenen Sohn, der sich im höchsten Grade revolutionär zeigte, gerichtet waren.

Wir schieden als gute Freunde, und selbst Jacoby, jener klare Verstand, der Landsmann und Jünger Immanuel Kant’s, der rationelle Arzt, sprach auf dem ganzen Wege von dem guten Eindruck, den ihm sein geistersehender College gemacht hatte. Was mich betrifft, so glaube ich nach einzelnen sehr klugen und klaren Aeußerungen Justinus Kerner’s schließen zu dürfen, daß er in seinen alten Tagen nur noch deshalb Geister sah, weil er ihre Existenz in seiner Jugend zu laut proclamirt hatte.

In Heilbronn, wo sich indessen mehrere Abgeordnete gesammelt hatten, wurden wir mit großen Volksdemonstrationen empfangen, denen am nächsten Tage noch andere und größere folgten, und an denen auch die Bürgerwehr Theil nahm. Indessen erinnere ich mich nicht mehr an die Einzelnheiten, die diese bezeichneten, da die damalige Zeit an solchen Aeußerungen reich und diese einander meist sehr ähnlich waren. Ich weiß nur, daß uns der Empfang in Heilbronn einen Eindruck machte, der uns zu dem Glauben berechtigte, daß wir in Würtemberg willkommen seien und daß das würtembergische Volk aufrichtig und mit Wärme an der Reichsverfassung hänge. Viele ausgezeichnete Würtemberger, darunter Mitglieder des Landesausschusses, Kammerabgeordnete und Schriftsteller, kamen uns von Stuttgart aus entgegen, und mit diesen bestiegen wir einen mit schwarz-roth-goldenen Fahnen, Blumen und Guirlanden geschmückten Eisenbahnzug, um uns in die Hauptstadt zu begeben. Auf jeder Station wurden wir von großen Volksmassen begeistert empfangen; am bedeutungsvollsten aber dürfte die Begrüßung erscheinen, die uns in Ludwigsburg zu Theil wurde.

Dort unter den Augen des Hofes, der sich dahin geflüchtet hatte, drängte sich eine große Anzahl von Soldaten, meist Artilleristen, an uns heran, um uns ihre Sympathien, ihre Ueberzeugung von der Gerechtigkeit unserer Sache auszudrücken. An ihrer Spitze stand ein Unterofficier der Artillerie, ein sehr schöner junger Mann, dessen Worte und Benehmen viel Bildung verriethen und der in höchst klarer, ruhiger, aber darum nicht minder schwungvoller Rede auseinandersetzte, wie die Sache des Volkes auch Sache der Armee sei. Man hätte bei allen diesen Symptomen, auch ohne sanguinisch zu sein, die größten Hoffnungen hegen dürfen. Ich gestehe, daß ich trotzdem von großen Hoffnungen weit entfernt war, will das aber weniger meinem Scharfsinn zuschreiben, als dem leidenden Zustande, in dem ich in Stuttgart ankam.

Wer die Augen öffnen wollte, konnte sich überzeugen, daß es in der Hauptstadt anders aussah, als im offenen Lande. Die Bürgerwehr, die uns feierlich empfing und sich dem Parlamente zur Verfügung stellte, war offenbar zu einem großen Theile für uns; auch die untern Volksschichten und Alles, was in den Mittelclassen mit der liberalen Partei zusammenhing. Aber man wußte doch nicht, was wir in den Falten unserer Toga mit uns brachten; wir waren eine geheimnißvolle Erscheinung und darum bis zu einem gewissen Grade unheimlich. Die große Mehrheit war von unserm Rechte durchdrungen, voll Achtung für uns, als die Vertreter der Nation und zwar als das kleine Häuflein von Vertretern, das in diesem kritischen Momente aushielt, während die große Mehrzahl auf Befehl oder Drohungen der Regierungen auseinander stob und die Fahne der Nation schmählich im Stiche ließ. Von unserem Rechte, und ich darf wohl sagen, von dem Achtungswerthen unserer Lage, war Jedermann durchdrungen; wagte doch selbst die Regierung in ihrer Proclamation weder das Eine noch das Andere zu leugnen; aber die Stadt war ruhig, und wir brachten vielleicht die Revolution, wir brachten vielleicht Straßenkampf, eine neue Krise und eine Zukunft voll Unsicherheit.

Nicht Alle, die für das Recht waren, waren zugleich für einen Kampf um dieses Recht und alle aus einem solchen Kampfe entspringenden Möglichkeiten. Die Begeisterung, die Ehrerbietung, die man uns zeigte, hatte etwas Gedrücktes, so wie bei aller Bewegung, die wir brachten, die ganze Atmosphäre nicht aufgeregt, gewitterhaft wurde, sondern ohne Schwüle gedrückt blieb. Ein großer Theil der Einwohner dieser Stadt, welche sich damals noch nicht, wie das heute der Fall ist, durch Handel und Gewerbe unabhängig gemacht hatte, hing mit dem Hofe zusammen und lebte vom Hofe. Dieser Theil war uns ausgesprochen feindlich; dieser betrachtete uns mit düstern Blicken, während der andere, wenn auch mit Sympathie, doch zugleich melancholisch zu uns herübersah. Dies ist die Wahrheit über die damalige Stimmung in Stuttgart, wenn auch der Enthusiasmus, der uns in den nächsten Kreisen umgab, manchem Abgeordneten vielleicht ein anderes Bild in der Erinnerung zurückließ. Die Agitatoren des Landes, die Mitglieder des Landesausschusses, diejenigen, die uns unsere eigentliche Basis schaffen sollten, waren selber niedergeschlagen, denn sie hatten in den letzten Tagen Erfahrungen gemacht, in Folge deren sie uns die Uebertragung des Parlamentes widerrathen haben würden, wenn es nicht zu spät gewesen wäre. Die traurigste dieser Erfahrungen war die, daß mehrere Städte, die sich eifrig für die Reichsverfassung gezeigt hatten, plötzlich lau wurden, als sie zu merken glaubten, daß sie durch die Grundrechte gewisse aus alten reichsstädtischen Zeiten herabgekommene Privilegien, die ihnen einen Theil ihrer Einkünfte sicherten, verlieren könnten. Doch das sind Einzelheiten, über welche Mitglieder des Landesausschusses, wie z. B. Carl Mayer von Eßlingen, bester Auskunft geben können, als ich. Zur Ehre dieses Landesausschusses sei es gesagt, daß er vom Momente unserer Ankunft an, trotz mancher entmuthigenden Täuschung, seine Thätigkeit sofort wieder aufnahm und zu Allem bereit war, was die Nationalversammlung, als einzige berechtigte Vertreterin der Nation, beschließen würde.

Schon am Abend nach unserer Ankunft erfuhren wir, daß unser College, der Minister Römer, den Kopf verloren habe, daß er besinnungslos zwischen seiner Wohnung und dem Schlosse hin und her renne, und man sprach die Vermuthung aus, daß er sich, sobald er ein wenig zur Besinnung gekommen, dem Parlamente als Feind gegenüber stellen werde. Dieser Mann war vor Allem ein Würtemberger und vor Allem schreckte ihn der Gedanke, daß seine Heimath mit in die Revolution hineingezogen werden solle. Dies war auch bei andern Würtembergern, auch bei Ludwig Uhland der Fall, aber dieser Letztere, obwohl er die Uebertragung des Parlamentes nach Stuttgart widerrathen hatte, obwohl ihm unser Beschluß wahrhaften Schmerz verursachte, dachte doch, wie die meisten andern würtembergischen Abgeordneten, groß genug, um trotz aller persönlichen Gefühle auf Seiten des Rechts und der Nation auszuharren, seine Besorgnisse und Schmerzen nicht weiter zu berücksichtigen und den Beschlüssen der einzigen berechtigten Behörde und seinem Mandate Folge zu leisten. Dies war um so rühmenswerther, als die Gefahr für die würtembergischen Abgeordneten, wie es damals schien, größer sein konnte, als die der Andern, da sie unmittelbar und auf heimischem Boden gegen ihre Regierung auftreten mußten. Römer erkannte zwar als Advocat ebenfalls das Recht der Nationalversammlung und zwar bis auf den letzten Moment der Auflösung und selbst bis über diesen hinaus, aber vor Allem fühlte er sich als Würtemberger und als Minister des Königs von Würtemberg. Sein bureaukratisches Gewissen war stärker als sein rechtliches und patriotisches; er sprach sich für die Pflicht aus, die Jedermann bestreiten konnte, und gegen die Pflicht, die Niemand und er selber nicht bestritt.

Am 5. Juni Mittags hatte sich in Stuttgart bereits die beschlußfähige Anzahl von Abgeordneten eingefunden, und am Abend fand eine Vorversammlung statt, in welcher die Fortsetzung der Sitzungen gleich für den nächsten Tag bestimmt wurde. Diese Vorversammlung war nicht ohne Interesse. Alte Freunde und Parteigenossen, die nun seit mehr als einem Jahre miteinander getagt und, da sie immer in der Minderheit waren, man darf wohl sagen, mit einander gelitten hatten, fanden sich hier nach einer Trennung von nur wenigen Tagen mit Gefühlen zusammen, als ob zwischen Frankfurt und Stuttgart lange Zeiten und unendlich große Räume lägen. Jedermann hatte irgend welche Abenteuer zu erzählen; die Hessen hatten bereits den Weg zwischen den beiden Städten verlegt, und so hatten sich die Einen mit allerlei Schweirigkeiten mitten durch sie hindurchschlagen oder schleichen müssen, während die Andern zu großen Umwegen durch die Pfalz oder durch Baiern gezwungen waren. Diese kleine Schaar, deren jeder Einzelne von seinem Rechte durchdrungen war, mußte sich von einem Orte nach dem andern, nach Art einer Räuberbande, begeben, zerstreut und in einzelnen Abtheilungen, damit doch wenigstens ein Theil glücklich am Endziele anlange. Und da wir nun endlich zusammen waren, was wird unser ferneres Schicksal sein? Wahrlich, unsere Lage war keine lachende; die Meisten von uns hatten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_041.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)