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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

für die Verunstaltung der Zehen gegeben, und obendrein noch für die Durchreißung des Stiefels, denn der Ballen sucht mit seiner ganzen Leistungsfähigkeit den Druck des Stiefels abzuwehren und dringt häufig genug – zu unserem Glücke – durch den Stiefel hindurch. Ein anderer, eben so nachtheiliger Einfluß auf die Zehen ist der künstliche hohe Hacken oder Absatz, der, ein moderner Cothurn, die Schönheit des Fußes erhöhen soll, zunächst aber unsere Schmerzen erhöht, weil er die Arbeit des Fußes auf die Zehenspitzen und nicht auf die ganze Zehen-Ausdehnung verlegt. Je niedriger der Absatz ist, desto leichter und natürlicher können die Zehen ihre ohnedies schwierige Aufgabe verrichten. Wir wünschen den Herren Schuhmachern einen hohen Absatz und uns – einen niedrigen.

Wir haben bisher allgemeine Gesichtspunkte aufgestellt, die man bei der Anfertigung eines jeden Stiefels zu berücksichtigen hätte; sie sind jedoch keineswegs hinreichend für alle Fußformen, die wir im Leben antreffen. Man sieht jetzt selten einen schönen Männerfuß, wie er uns von der Natur gegeben und in den Büchern beschrieben ist. Die meisten sind verunstaltet durch die verschiedenartigsten Verkrümmungen der Zehen und der Ballen, durch die Abflachung des Fußrückens und durch die Ueberbeine, denn unser Fuß erleidet, wie kein anderer Körpertheil, vielfache Veränderungen durch den Einfluß der Beschädigung, Gewohnheit und vor Allem durch die von Jugend an fortgesetzte schädliche Bekeidung mittelst des falschen Stiefels, so daß wir oft beim zufälligen Blick auf den Fuß unseres Nachbars eine ganz neue Fußart zu entdecken glauben, bei der jede menschliche Schönheit fehlt.

Mit den Damenfüßen steht es freilich besser und schöner; von Hause aus zarter gebaut, verlieren sie dennoch – wegen der geringen Lebensarbeit und der leichten Schuhbekeidung unserer Damen – wenig oder nichts von ihrer natürlichen Schönheit. Wir wollen hier nicht, wie Verliebte, den Damenfuß verherrlichen, da wir uns dies, sowie die Besprechung der Damenschuhe, noch vorbehalten, sondern wir weisen hierbei nur auf die Mannigfaltigkeit der Füße überhaupt hin, die noch größer wird, wenn wir noch den Einfluß hinzuzählen, den das Temperament ausübt. Wie nämlich an der Oberfläche der meisten Körpertheile, z. B. am Gesichte, der innere geistige Vorgang sich deutlich abspiegelt und nicht selten eine bleibende körperliche Form annimmt, so ist auch am Fuße, der zwar kein geistiges Organ ist, aber doch mit den gesammten Körperkräften innig zusammenhängt und alle Bewegungen des Körpers vorzüglich vermittelt, ein Ausdruck unserer Geistesart gegeben, der bei der Ruhe des Fußes sowohl, dem Stehen, als auch bei dessen Arbeit, dem Gehen, sich unschwer erkennen läßt.

Aus dem plumpen Gang schließen wir auf eine gemeine Natur, aus dem anstandsvollen auf einen Gebildeten, aus dem festen auf einen Muthigen, aus dem besonnenen auf einen Milden und aus dem gezwungen besonnenen auf einen Schleicher; Charaktere, die sich mehr oder weniger deutlich in der Gestalt des Fußes ausprägen. Wir erkennen ferner bei den mit dem Gemüthszustande näher zusammenhängenden Fußbewegungen, nämlich dem Tanzen, den nationalen Charakter. Wir unterscheiden den leidenschaftlichen Tanz der Spanier, den leichten der Franzosen, den derben der Tyroler, den langsamen der Deutschen, und bezeichnen danach auch den Fuß der Nationen.

Durch diese vielfachen äußeren und inneren Einwirkungen auf den Fuß erhalten wir also eine tausendfältige Verschiedenheit der Füße, die wir unmöglich alle nach einem Muster bekleiden können.

Es ist daher nöthig, zur bessern Uebersicht eine Eintheilung der Füße vorzunehmen, und wir wollen mit Zugrundelegung der volksthümlichen Bezeichnungen und der Rücksichten auf die Fußformen, wie sie bei den Thieren vorkommen, folgende vier Grundformen annehmen:

Trampelfuß.

1) Der Trampelfuß, eine rohe, plumpige, fleischige Fußform, mit kurzen, breiten Zehen, starker Haut, wenig Wölbung und geringer Beweglichkeit der Gelenke. Die beistehende Figur zeigt uns diesen Fuß von der Sohlenseite, er erinnert stark an einen Thierfuß, etwa des Nilpferdes oder des Elephanten, und ist Eigenthum der Landleute, der niedrigen Arbeiter und besonderer Racen, wie der Mongolen und Semiten.

Breite Fuß.

2) Der breite Fuß, der stark und fleischig ist, und an allen Gelenken sehr leicht beweglich, mit schwacher Wölbung und geringer Elasticität. Der Fuß tritt mit der ganzen Sohle auf, wie bei den Sohlentretern unter den Thieren, und hat die Neigung, nach innen sich zu drehen. Er entsteht gewöhnlich – wenn nicht eine erbliche Anlage oder Krankheit zu Grunde liegt – in Folge zu großer Fußanstrengung, wie bei alten Infanteristen, Lehmtretern, Brief- und Zeitungsträgern. (Fig. 4.)

Schmale Fuß.

3) Der schmale Fuß, der eine überaus längliche Form, namentlich lang gestreckte Zehen und gute Beweglichkeit derselben hat. Es liegt in ihm eine Andeutung an die Fußformen der Kletterthiere, wie der Dachse, und er wird angetroffen bei langen hageren Personen, die gern Carriere machen wollen, etwa bei Tanzlehrern, Schneidern, Kellnern, Barbieren und Doctoren. (Fig. 5.)

Edle Fuß.

4) Der edle Fuß, von hoher Wölbung, länglichen Zehen, mäßigem Ballen und großer Elasticität. Wir können ihn, wie dieselbe Bildung bei der Hand genannt wird, den aristokratischen Fuß nennen. Seine Schönheit besteht jedoch nicht in einer etwaigen Kleinheit, wonach die meisten Damen fälschlich die Füße beurtheilen – ein kleiner Fuß bei einem großen Körper ist eben so häßlich, wie ein großer Fuß bei einem kleinen Mann – sondern in dem Ebenmaß der einzelnen Theile zu einander und zum ganzen Körper. Er kommt vor bei den Mitgliedern des Cabinets, Officieren, Schauspielern und Friseuren.

Ein alter italienischer Arzt glaubte in vier Zehenformen eine Andeutung auf die Geistesbeschaffenheit ihrer Besitzer zu erkennen; kurze Zehen deutete er auf Dummheit, auseinanderstehende auf Leichtsinn, untereinander vewachsene auf Furchtsamkeit und gekrümmte Zehen auf Bosheit.

Wir wollen nicht versuchen, diese Beobachtungen zu erklären, aber es ist interessant, daß die vier Formen bei den von uns hier aufgestellten Fußformen der Reihe nach vorkommen und das Bild derselben vervollständigen.

Wir hätten also Grundformen, auf die wir die verschiedenen Füße zurückführen können, und die uns auch einen Anhaltspunkt geben bei der Anfertigung der Stiefeln, die wir täglich brauchen. Haben wir den Fuß Nr. 1 vor uns, wo die Haut wenig empfindlich ist, und der Fuß wegen der schweren Beweglichkeit der Gelenke sich wenig verändert, so sind die vielen Rücksichten nicht geboten. Ein solcher Fuß weist die Beleidigungen des Leders durch die Fußhaut zurück, die selbst lederartig ist. Herren solcher Füße kaufen sich auf dem Jahrmarkte ihre Stiefeln, mit denen sie gewöhnlich einen glücklichen Kampf durchmachen. Diesem ähnlich wird jetzt noch beim Militär verfahren, wo jedem Rekruten, ohne Rücksicht auf seinen Fuß, fertige Stiefeln zuertheilt werden; eine Einrichtung, die natürlich ungünstig abläuft.[1]

Mehr Aufmerksamkeit bedarf der Fuß Nr. 2. Hier muß der Stiefel den Fuß zu verbessern und seiner Neigung, sich abzuflachen, entgegen zu wirken suchen. Die Sohle sei hier gerade und breit, um den Spann liege der Stiefel fest an, und der Hacken sei von einer mäßigen Höhe, um das Fußgewölbe beim Auftreten zu schonen, jedoch breit genug, um das Uebertreten des Fußes auf die innere Seite zu verhüten. Ist der große Ballen noch besonders entwickelt, so muß der Stiefel an der Stelle, wo der Ballen anliegen soll, eine Ausbuchtung haben, am besten durch ein eingenähtes Stück weichen Leders von der Größe dieses Ballens, die beim Gehen den Ballen aufnimmt und in der Ruhe nicht drückt. Hierbei muß nur auf die Bequemlichkeit Rücksicht genommen werden, aber nicht auf die Mode.

Bei der Fußform Nr. 3 kann der Stiefel vorn, ohne dem Fuße zu schaden, spitz sein – wenn er sonst der herrschenden Mode entsprechen soll – er muß jedoch länger sein, als der Fuß selbst ist, da derselbe beim Gehen sich stark nach vorn schiebt. Diese

  1. In meiner Schrift „die Bekleidung des Infanteristen“ (Berlin, Mai’sche Buchhandlung) habe ich den Marschstiefel für den Infanteristen angegeben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_072.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)