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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Ich hatte allerdings die Thür so weit aufgerissen, daß ich seine Ueberraschung benutzen und mich hindurch drängen konnte; mit knapper Mühe aber wehrte ich durch das Kissen, welches er faßte, seine Hände von mir ab. Auch wäre mir nicht eine Secunde Zeit geblieben, um die Thür eines andern Zimmers zu öffnen und wieder zu schließen. Ich sah nur einen Weg zur Flucht – eine Treppe, unweit von mir, welche nach dem nächsten Stocke hinauf führte. Ich darf wohl nicht erst sagen, daß ich dort hinauf mehr flog als lief – aber hinter mir hörte ich einen kurzen, gellenden Schrei, der kaum Aehnlichkeit mit einer menschlichen Stimme hatte, und das Geräusch der mir auf der Treppe folgenden Fußtritte gab mir eine vollkommen klare Idee von den weiten Sprüngen, mit welchen der Wahnsinnige mir nacheilte.

In der Etage, welche ich erreicht, brannte nur ein einziges Gaslicht; mit einem raschen Blicke sah ich mich nach einer offenen Thür um, aber nichts zeigte sich, und ich hatte keine Secunde Zeit, um die Oeffnung einer oder der andern zu versuchen; ich flog mit unverminderter Schnelligkeit – denn mir war es, als fühlte ich schon die Rasirmesser meines schrecklichen Patienten im Nacken – dem einzigen Ausgange zu, welcher sich bot, einer steilen Stiege, welche nach dem flachen Dache führte. Die Fallthür desselben war offen, und wenn ich noch zeitig genug oben anlangte, um sie zu schließen, so mußte ich gerettet sein. Kaum aber hatte ich den ersten Fuß auf das Dach gesetzt und hob in der Hast der Todesangst die schwere Thür, als auch schon die leuchtenden Augen meines Verfolgers dicht unter der Oeffnung erschienen. Ich warf die Thür auf ihn, es galt jetzt Leben um Leben; aber sein muskulöser Arm mußte sie aufgefangen haben, denn sie fiel nicht in die Fugen, und ehe ich einen Versuch machen konnte, mich auf sie zu werfen, sah ich, wie sie sich wieder hob. Die Angst der Verzweiflung erfaßte mich – der einzige, noch übrige Weg zur Flucht war der Sprung vom Dache eines vierstöckigen Hauses.

Da erblickte ich in kurzer Entfernung eine schwarze Oeffnung, wie sie das von Wolken verdeckte Mondlicht abzeichnete – der Ausgang einer zweiten auf das Dach führenden Treppe – und mit dem Blicke hatte ich auch schon das Geländer derselben in der Hand; soeben hörte ich, wie die erste Fallthür mit einem Krach aufschlug – ich eilte hinab, mechanisch mich an der Treppen-Barrière festhaltend, sonst hätte ich sicherlich den Hals brechen müssen; immer weiter hinunter, von Stockwerk zu Stockwerk in wahnsinniger Hast, denn ich hatte die Ueberzeugung, daß mein Verfolger nur wenige Stufen entfernt hinter mir hersauste; ich erreichte die „Office“ des Hotels, auf welchem Wege weiß ich jetzt noch nicht – Niemand war hier zu meinem Beistande wach; ich flog der Hausthür zu, schob mit einem Griffe den mir bekannten Riegel zurück und sprang auf die Straße, den Drücker der halboffenen Thür in der Hand behaltend. Mein Plan war es, den heraneilenden Wahnsinnigen durch ein plötzliches, kraftvolles Oeffnen der schweren Thür umzuwerfen. Aber ich wartete athemlos – nichts von verfolgenden Schritten ließ sich hören. Ich vermuthete eine List, wie man diese oft bei Wahnsinnigen findet, und öffnete vorsichtig den Eingang etwas weiter, aber ich konnte nichts entdecken, und doch wagte ich auch nicht, meine geschützte Stellung zu verlassen oder mich auch nur bloßzugeben. In diesem Augenblicke sauste vom Dache des Hauses hart an meiner Seite, ein Gegenstand durch die Luft nieder, mit einem dumpfen Geprassel auf den Steinen des Seitenwegs aufschlagend – ich war mechanisch zurückgesprungen; mein erster Blick aber zeigte mir jetzt die zerschmetterte Leiche meines Patienten – ich erkannte seine Kleidung, die ich in dieser entsetzlichen Nacht so lange Gelegenheit gehabt zu studiren, sofort. – –

„Nun, meine Herren,“ fuhr der Erzähler nach einer kurzen Pause fort, „es wird Sie vielleicht nicht Wunder nehmen, daß ich seit jener Nacht es nicht habe über mich gewinnen können, ein Rasirmesser an meinen Hals bringen zu lassen, oder dies auch nur selbst zu thun. Ich war übrigens drei Tage lang unfähig meinen Geschäften nachzugehen und ließ Miß Davis wissen, daß, sobald ich wieder ausgehen könnte, ich sie besuchen werde. Eigenthümlicherweise aber faßte mich, wenn ich jetzt auch nur an das Mädchen dachte, eine Art Widerwillen. Am vierten Tage bekomme ich ein Billet von ihr von einem keinen Packete begleitet. Sie bedauerte meine Krankheit, noch mehr aber die Ursache derselben und sandte mir einen Brief ihres Bruders, welcher so eben den Nachlaß des Onkels geordnet. In diesem Briefe nun hieß es, daß nicht allein die ausschweifende Lebensweise von Mr. Davis, sondern auch seine unglückliche Theilnahme an einer Messerfabrik ihn völlig bankrott gemacht hätten und daß ich deshalb schleunigst meine Rechnung gegen den Gestorbenen einreichen möge. Indessen habe der Schreiber, im Einverständniß mit seiner Schwester, ein ausgezeichnetes Stück Arbeit, welches bei der letzten Weltausstellung einen Preis erhalten, von dem Nachlasse zurückgelegt und übersende es mir, als Anerkennung meiner großen Freundlichkeit gegen den Verstorbenen – ein Paar mit Goldrücken versehene Rasirmesser!

Ich verreiste vier Wochen und habe dann Niemand von der Familie Davis wiedergesehen!“

O. R.


Antworten auf Fragen an den Dr. Bock.


Seinen Mitmenschen zu nützen, ist die Pflicht jedes echten Menschen, sich aber von seinen Mitmenschen immerfort mit solchen Fragen über Krankheiten brieflich bestürmen zu lassen, die zu wiederholten Malen schon in der Gartenlaube behandelt worden sind, das ruhig zu ertragen verlangt denn doch etwas gar zu viel Humanität und Briefporto. Die öfters schon abgegebene Erklärung, daß ein Arzt nur dann Rath ertheilen kann, wenn er den Kranken genau untersucht hat, finden die meisten Menschen ganz in der Ordnung, aber trotzdem verlangt jeder Einzelne, daß, wenn er gerade krank wird, der Arzt eine Ausnahme von seinen Grundsätzen machen soll.

Aus den Aufsätzen über Krankheiten, die übrigens von vielen Lesern der Gartenlaube, wie die Erfahrung lehrt, nur mit halben oder sogar ohne alle Gedanken gelesen werden, nehmen sich die Meisten immer nur einzelne und solche Krankheitserscheinungen heraus, welche sie gerade zur Zeit an sich merken, und dichten sich damit die eben von ihnen gelesene Krankheit an. Sie sehen gar nicht ein, daß sie auch alle die andern einer bestimmten Krankheit zukommenden und aufgeführten Symptome in und an ihrem Körper wahrnehmen müssen, um an jener Krankheit leiden zu können. So faseln z. B. Viele sofort von Rückenmarksschwindsucht, wenn sie etwas Kreuzschmerz oder müde Beine haben, blos weil sie nur diese höchst unwichtigen Symptome aus der großen Zahl von weit wichtigern, jenem Leiden zukommenden Krankheitserscheinungen herausgelesen haben. Also: wer gedankenlos und nicht mit Verstand lesen will und kann, der lese populär-medicinische Schriften und Aufsätze lieber gar nicht, damit er sich in seiner Phantasie nicht etwa eine Krankheit anängstigt. – Nun zur Beantwortung der Fragen.

1) Gegen die (tuberculöse) Lungenschwindsucht wird ein bewährtes Heilmittel gewünscht. Ein solches existirt nicht. Der Lungenkranke hat dahin zu streben, daß zuvörderst in seiner Lunge niemals Veranlassung zur abermaligen Ablagerung frischer Tuberkelmasse gegeben werde, und sodann, daß sich der Ernährungszustand des ganzen Körpers hebe. Die Regeln, welche der Schwindsüchtige deshalb genau zu beobachten hat, finden sich in Nr. 15 des Jahrg. 1855 und Nr. 47 des Jahrg. 1859 der Gartenlaube. – Nochmals sei hier Brustkranken der Respirator (s. Gartenl. 1855, Nr. 8) dringendst anempfohlen, der leider entweder aus dummer Eitelkeit oder aus der falschen Idee, als ob er verweichliche, immer erst dann in Gebrauch gezogen wird, wenn die Lungenschwindsucht schon weit um sich gegriffen hat. Dagegen ist nicht genug vor einer Reise in ein südliches Klima zu warnen, sobald Patient sehr heruntergekommen und etwa gar fiebernd ist, wenn es ihm ferner an Zeit und Geld fehlt, um längere Zeit in diesem Klima verweilen zu können, und wenn er nicht mit der größten Gemüthsruhe (ohne Heimweh, ohne nörgelnde Frau etc.) sein Leben dort zubringen kann. Uebrigens muß der Kranke auch in diesem Klima, trotz der heilsamen Luft, doch immer noch die früher angegebenen Schädlichkeilen (besonders Staub, Rauch, Aufregungen, Erkältungen) ängstlich vermeiden. – Viele Brustkranke, die sich ziemlich wohl fühlen und noch lange leben könnten, werden nicht selten dadurch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_075.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2020)