Seite:Die Gartenlaube (1863) 083.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

daß Wanzen zehnmal schwerer als Ratten, Pfaffen aber hundertmal schwerer als Wanzen zu vertreiben sind. In diesen Bestrebungen war er mit den geistlichen Gewissensräthen oft stark aneinander gerathen und hatte sich den Haß aller, besonders aber den des Beichtvaters seiner Mutter zugezogen. Auch mit dieser, die fest an ihrer geschornen Leibwache hielt, war Gaetano zerfallen und in der Ueberzeugung, daß er bei ihren Lebzeiten doch nichts ausrichten könne, nach Neapel gegangen, wo er die Stelle eines königlichen Kammerherrn bekleidete. Dort war es, wo er eine junge liebenswürdige Engländerin kennen lernte, ihre Neigung zu gewinnen wußte und sich mit ihr verlobte – ein Schritt, welcher den Bruch mit der Mutter und den Hausgeistlichen vollends unheilbar machte, denn Albions blonde Tochter vermochte weder mit ihrer Grafenkrone, noch mit den echten Perlen der fünf Nullen, welche hinter der Pfund-Sterlings-Ziffer zogen, den unseligen Makel, in einem andern Glauben aufgezogen worden zu sein, zu bedecken.

Pater Tommaso ließ sich bei der Prinzessin anmelden, nahm ihr gegenüber auf dem Rohrsessel Platz und begann hierauf mit gefalteten Händen und verdrehten Augen einen erbaulichen Sermon über wundersame Fügungen des Schicksals, den er endlich mit der Aufklärung schloß: „Euer Gebet, Eccellenza, ist erhört. Nicht daß eben jener verlorene Jüngling sich in Demuth bekehrt und sich zur apostolischen Demuth gewendet habe, sondern indem das wunderbare Bekenntniß einer zerknirschten Sünderin mir offenbarte, daß jener auf einem edlen Zweige sprossende Holzapfel nur durch einen schnöden Betrug auf das fürstliche Reis gepfropft ward. Ich will deutlicher sprechen: die Amme, Anna Pastone, gestand es ein, wie sie von sträflicher Habsucht geblendet die Säuglinge verwechselte, ihren eigenen niedrig gebornen Sohn an Euer Herz zu legen sich unterfing, und Euern adligen Sproß bis auf die jetzige Stunde in der Verborgenheit schmachten ließ. Jauchzet, Signora, preiset die Heiligen, daß der Himmel Euch von dem unwürdigen Sohne befreite. Doppelt beglückte Mutter! Euer echter wohlgebildeter Sohn seufzt nach dem Augenblick, wo er sich Euch zu Füßen werfen darf. Vergönnt mir das Glück ihn nach so langer Trennung in Eure Arme zu führen.“

Es dauerte eine geraume Weile, ehe die Prinzessin den Zusammenhang des Kindertausches und ihr harrendes Glück begriffen hatte. Der Mönch ließ aber nicht ab, bis der Casus Ihrer Durchlaucht einleuchtend wurde, und sie ohne Verzug einen Courier an Don Gaetano abfertigen ließ mit einem Schreiben, worin ihn Padre Tommaso mit höflichen, aber ziemlich kalten Worten ersuchte, sich gefälligst nach andrer Erbschaft, Mutter und Namen umzusehen, und ihm für die letztern vacant gewordenen Artikel Anna und Luigi Pastone in Vorschlag brachte.

Nachdem die fürstliche Beichttochter sich so bereitwillig gezeigt hatte, ihren bisherigen Sohn aufzugeben, äußerte sie das billige Verlangen, den Stellvertreter so bald als möglich zu sehen. Pater Tommaso fühlte aber gar wohl, daß Baffetto noch einiger leiser Retouchen bedürfe, ehe er seiner fürstlichen Mama mit Erfolg vorgeführt werden könne, vertröstete daher dieselbe auf den folgenden Morgen und legte ihr bis dahin zu zweckdienlicher Zerstreuung auf, ein Dutzend Rosenkränze abzubeten. Demüthig fügte die Prinzessin sich auch diesem Gebot.

Als der ehrwürdige Padre sich am folgenden Tage nach der Via di Purificazione begab, traf er die alte Anna Pastone frisch und munter, als ob ihr niemals ein Finger weh gethan hätte, auf der Thürschwelle den Rocken spinnend und erfuhr aus ihrem Munde, daß der nunmehrige Prinz Gaetano Castrucci oder Baffetto, wie wir ihn lieber noch fernerhin, um Mißverständnissen vorzubeugen, nennen wollen, des Nachts über nicht nach Hause gekommen. „Der Himmel mag wissen,“ schloß der unehrerbietige Bericht der Amme, „wo der Schlingel stecken mag.“ Kopfschüttelnd wandte sich der Pater nach dem Café Gnocchi, um seinen Schützling aufzusuchen, aber auch dort war er seit Jahren zum ersten Mal ausgeblieben. Niemand vermochte über den Vermißten bestimmte Auskunft zu geben, und nur eins der Modelle wollte gehört haben, daß der Baffetto sich am vergangenen Abend in der Fiaschetteria della Villeta in Orvieto übernommen, Schlägerei angefangen habe und darauf von den Gensdarmen arretirt worden sei.

Der Dominicaner erschrak heftig bei dieser Nachricht. Sehr kleinlaut begab er sich nach dem nächsten Wachthause und fand dort wirklich den Prinzen Baffetto in tiefster Selbstbetrachtung versunken unter der Pritsche schnarchend.

Das Fürwort des Priesters genügte, um die Freilassung des Arrestanten zu erwirken. Ungestüm riß ihn der Pater aus der Wache und begann in einer eindringlichen, wohlstylisirten Rede ihm vor allen Dingen die Pflichten seines erlauchten Stammes zu Gemüth zu führen. Nie fiel ein fruchtbarerer Samen auf steinigeres Land. Se. Durchlaucht stellten sich höchst ungebehrdig an, tobten und wetterten, und geruhten schließlich die Versicherung zu geben, daß, wenn sie nicht Abends in die Osterie gehen und sich toll und voll trinken dürften, der Kuckuck ein Prinz sein und der Mönch sich einen andern Narren aussuchen möge.

„Eilt dann wenigstens, Eccellenza, Euch anzukleiden, Eure Toilette für die Vorstellung zu ordnen.“

Baffetto guckte erst den Priester, dann sich selber mit großen Augen an. „Ankleiden? Ich? Bin ich’s denn nicht? He? – Hab’ ich nicht expreß für die Mama Prinzessin meine roth- und blaugestreifte Fascia[1] umgegürtet, und die rothe Wollkappe aufgesetzt? Was wollt Ihr mehr, Padre?“

„Euern Bart, mein Prinz, dieses häßliche, wild durcheinander wuchernde Gestrüpp, welches Euch das Ansehen eines Banditen verleiht, schneidet es ab.“

„Das sei ferner von mir,“ erwiderte Baffetto, „als der Januar von Maulbeeren. Jung und Alt kennt mich als Baffetto, und ein Baffetto ohne Bart ist wie ein Papst ohne Cardinäle. Und nun macht, daß wir an Ort und Stelle kommen, Padre. Mich verlangt nach meinem Palast und einem guten Frühstück.“ – Bald standen sie vor ersterem.

Hatte nun der Prinz schon die Geduld des Mönchs auf so harte Probe gesetzt, so that die Dienerschaft vollends das Ihrige, um sie zu erschöpfen. Der Schweizer verwehrte mit vorgehaltenem Rohrstock Baffetto den Eingang, und nachdem jener mühsam beschwichtigt worden, weigerte der Kammerdiener sich, einen Lumpen, wie Figura zeige, bei Ihro Excellenz anzumelden. Baffetto drohte mit seiner allerhöchsten Ungnade – der Cameriere bohrte ihm einen Esel. Es hätte nicht viel gefehlt, und Fürst und Unterthan wären einander in die Haare gerathen. Der Böse schien an diesem Tage mit vollen Händen Unkraut unter den Weizen zu streuen.

Was den Ueberredungskünsten des Padre nicht gelungen war, vermochte ein zur rechten Zeit dem Cerberus-Kämmerling in den Rachen geschobenes Fünf-Paulstück. Er verstummte, und die Thüren des Fürstengemachs öffneten sich.

Die Ueberraschung der Prinzessin beim Anblick ihres verlornen und wiedergefundenen Söhnleins war mehr großartig als angenehm zu nennen. Sprachlos lehnte sie sich in der Ottomane zurück und maß den Ankömmling, welcher mit pinselhaftem Lächeln seine rothe Mütze zerknüllte, mit kalten, durchdringenden Blicken. „Mit nicht geringer Befremdung,“ hob sie endlich langsam an, „machen wir die Bemerkung, daß das fragliche Subject weder mit den unserm Herzen so tief eingegraben Zügen unsers erlauchten, nunmehr verewigten Gemahls, noch mit unsern eignen auch nur die leiseste Aehnlichkeit trägt, und wohl eher den markirten Stempel einer höchst vulgären Persönlichkeit.“ – Der Pater rieb sich verlegen die Hände, ließ einige Worte von überraschenden Spielen der Natur fallen und wagte die Vermuthung, daß nach Fällung des entstellenden Bartwuchses sich ohnmaßgeblich die hochfürstlichen Familienzüge deutlicher herausstellen würden. Die Prinzessin wiegte nachdenkend den Kopf, schellte nach dem Kammerdiener und beauftragte diesen: Se. Excellenz den Principe Gaetano de’ Castrucci in seine Gemächer zu geleiten, dort aber ihn aus seinem Urzustande zu reißen und ihm ein menschliches, womöglich fürstliches Ansehen zu verleihen.

Baffetto ließ sich geduldiger abführen, als man es hätte vermuthen sollen. Die Prinzessin Mutter und der Dominicaner blieben zurück, um zu berathen, wie dem überaus rohen Juwel in kürzester Frist die unerläßliche Politur zu ertheilen sei.

Die Stunde zum Mittagsessen hatte längst geschlagen, und das Diner war bereits servirt, aber weder Prinz noch Kammerdiener ließen sich sehen. Der ausgesandte Maggior duomo[2] fand die Versöhnten in brüderlicher Eintracht mit sehr schmutzigen Karten, den Albumblättern, welche Se. Durchlaucht aus dem Café Gnocchi gerettet hatten, alla Zecchinetta spielend. Der Prinz war übrigens im Gewinn und in rosenfarbigster Laune. Nur widerstrebend und mit der Versicherung, baldigst Revanche zu geben, unterbrach er die Partie.


  1. Baumwollener Gurt der Römer niedrer Stände und des Landvolks.
  2. Maggior duomo, der Aelteste unter der Dienerschaft.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_083.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)