Seite:Die Gartenlaube (1863) 089.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


das Haupt empor, aus den Augen leuchtet noch immer das Lebensfeuer des Dichters, und der Grundton seiner Seele, der aus allen seinen Werken hervortönt, die reinste, vollste Menschenliebe, die ihn vom höchsten heiligen Aufschauen bis zum donnernden Zorn und zum neckischsten Scherz leitet, spricht aus jedem seiner Worte und macht ein Viertelstündchen, bei ihm verlebt, zu einem Andenken für’s ganze Leben.

Möge sein Abendroth noch recht lange glühen und er noch freudig begrüßen, um was er in seiner Jugend so kräftig mitgerungen: ein glückliches Deutschland! Er hat das Seine redlich dazu gethan. – Wenn er am Fenster seiner Wohnung steht und auf die Landstraße hinüber blickt, die der rege Verkehr der Welt belebt, so kann er sagen: Dort zieht Keiner vorüber, der nicht eine Gabe von mir empfangen hätte. Ich gab den Jünglingen Lieder der Ehre, ich gab den Jungfrauen Lieder der Liebe, den Männern und Frauen gab ich Sprüche der Weisheit, ich habe die Greisen nicht mit Gebeten voll Trost und Erhebung vergessen, und den Kindern schenkte ich die Märchen zum Spiel. Er kann das Werk aller seiner Tage, nicht blos seinen Liebesfrühling, mit dem Geständniß schließen:

     „Ein Vollendetes hienieden
     Wird nie dem Vollendungsdrang,
     Doch die Seel’ ist nur zufrieden,
     Wenn sie nach Vollendung rang;
Ich bin mit dem zufrieden, was ich lebt’ und sang.“


Fürst und Bauer.


Alexander v. Humboldt sagt in einem Briefe an Varnhagen von Ense, indem er sich beklagt, daß er, der das Jahr 1789 erlebt, die Welt in solch jämmerlichem Zustande verlassen müsse, sich und Andern zum Trost, eben so schön als treffend: „Jahrhunderte sind Secunden in dem großen Entwickelungsprocesse der fortschreitenden Menschheit. Die ansteigende Curve hat aber kleine Einbiegungen, und es ist gar unbequem, sich in solchem Theile des Niederganges zu befinden.“ Dieses Gefühl der Unbeguemlichkeit im Welt- und Hofmanne wird freilich in poetischen Naturen zum unerträglichen Schmerze, und Lenau ruft: „Es ist verzweiflungsvoll, im ersten Grauen des Tages sterben zu müssen!“ Dieser tragische Ton zittert durch die ganze Weltgeschichte. Moses, der größte Mann seines Volkes, durfte das Land der Verheißung, in welches er es führte, auch nur sterbend aus der Ferne sehen, nachdem er vierzig Jahre mit ihm im Wüstenelend geschmachtet hatte. Wohl denen, die mit stoischer Seelenruhe die „Unbequemlichkeit“ ertragen, sich in solch’ einem Niedergange der Curve zu befinden. –

Man hat die öffentlichen Ereignisse in Kurhessen, die nun seit einer Reihe von Jahren immer unerquicklicher werden, wohl „das Trauerspiel in Kurhessen“ genannt; wir glauben, sie verdienen eher den Namen des „traurigen Spiels“, denn in der That ist es weniger ein Drama, das vor den unwillig staunenden Augen der deutschen Volksstämme dort aufgeführt wird, als vielmehr ein böses Spiel aristokratisch verhärteten Trotzes mit der vorschreitenden Entwickelung des staatlichen Lebens, das nicht nur in Kurhessen, sondern in ganz Deutschland, ja in der ganzen civilisirten Welt alle redlichen Gemüther verbittert. Die Behauptung, daß ein böser Fluch auf der Regierung dieses Landes laste, der sie immer weiter in das segenslose Wirrsal hinein treibe, hat Manches für sich, und man braucht gerade kein Fatalist zu sein, um sich mit einem geheimen Schauer der Worte Schiller’s zu erinnern:

„Das eben ist der Fluch der bösen That,
Daß sie fortzeugend Böses muß gebären.“

Wenn irgendwo, läßt sich diese fortzeugende Kraft der Unthat, die immer neues Unheil in die Welt setzt, in der kurhessischen Geschichte seit anderthalb Jahrhunderten klar und deutlich nachweisen. Man kennt genau die Stelle, wo der Blutstropfen aus dem Herzen des Volkes von der Hand seines Fürsten auf das weiße Blatt dieser Geschichte niederfiel, aus welchem sich nun der rothe Faden immer stärker anschwellend herausgezogen hat, wie aus einer Färberkiepe, anfangs dünn wie der Faden einer Spinne, jetzt stark wie ein Schiffstau. Und merkwürdiger Weise war der Fürst, der diese erste böse That beging, die so unheilvolle genetische Kraft entwickelt hat, durchaus kein böser Mensch, er war nur ein von Leidenschaft, Leichtsinn und verkehrten Begriffen von Souverainetät verblendeter.

Das Unheimliche dieses Knotens wird durch den Umstand erhöht, daß der, welcher die dunkeln Fäden zuerst zusammenknüpfte und ineinander schlang, durch welche Glück, Wohlstand und innerer Frieden eines trefflichen deutschen Volksstammes, einst unter den kaiserlichen Konradingern so blühend, für so lange Zeit unterbunden wurden, ein Volksfreund war und das Glück des Volks aufrichtig anstrebte (freilich nach jenen Begriffen, welche die „souveraine“ Färbung der Zeit tragen), daß gerade dieser Herrscher durch einen bösen Fehlgriff dem Staate den ersten Stoß versetzte, der zur Verhärtung und endlich zum unheilbaren Krebsschaden geworden ist.

Ist es nicht merkwürdig, daß die Ahnmutter des hessischen Fürstenhauses die heilige Elisabeth, die Landgräfin von Thüringen ist, die als Ideal der höchsten Liebe zum Volke und der Barmherzigkeit durch sechs Jahrhunderte wie ein heller Stern glänzt, und die das schöne herzliche Wort sprach: „Wir müssen die Menschen fröhlich machen, damit sie gut werden“? Und wirklich hat der Segen dieser echten Volksmutter ein halbes Jahrtausend auf ihrer fürstlichen Nachkommenschaft geruht und reiche Blüthen und Früchte gezeugt, aber seit anderthalb Jahrhunderten ist dieser Segen abhanden gekommen, seit ein Nachkomme dieser barmherzigen Volksfürstin, die dem Volke Alles gab und in freiwilliger Armuth lebte, die Söhne dieses Volkes zur Gewinnung eines schnöden Luxus und genußsüchtiger Ueppigkeit wie Viehherden verkaufte, damit sie sich für ihnen ganz fremde Interessen abschlachten ließen.

Das hessische Landgrafenhaus hat einst eine nicht geringe Anzahl ausgezeichneter und trefflicher Regenten gehabt, ja es war geradezu berühmt wegen der hohen Bildung und Humanität derselben.

Wenn Philipp I., der Großmüthige, der Ahn der noch bestehenden hessischen Fürstenhäuser, auch in Folge seiner derbsinnlichen Natur zu seiner fürstlichen Gemahlin noch eine „Zufrau“ nahm und durch solche Bigamie der Sache der Reformation, die er mit Wort und That so feurig unterstützte, merklich schadete, so war er doch als Fürst ein tüchtiger Mensch und tapferer Krieger, mit scharfem Verstand und Ehrlichkeit stets bereit, für das, was er als recht und gut erkannt, Leib und Leben einzusetzen. Ein Volksfreund ward er vom Volke hochgehalten, und Luther sagt mit Recht von ihm: „Er hat den gemeinen Mann an sich hangen.

In anderm Sinne war sein Sohn und Nachfolger, der Landgraf Wilhelm IV., der Weise, ein höchst achtbarer Fürst. Für seine Zeit (er regierte von 1567 bis 1592) ein hochgebildeter, ja sogar gelehrter Herr, war er dabei bieder, wohlwollend, menschenfreundlich, kräftig in der Ausführung seiner volksbeglückenden Pläne, mild, tolerant und einfach, wie wenig Fürsten seiner Zeit.

Noch ausgezeichneter tritt sein Sohn und Nachfolger, Landgraf Moritz der Gelehrte auf (1592–1627), unstreitig der gelehrteste Fürst, der gelebt hat, dabei einer der charaktertüchtigsten und wohlwollendsten, überhaupt von Kopf und Herzen ein sehr ausgezeichneter Mensch. Er bereitete nicht nur Arzneien, Oele und Essenzen, er schrieb auch gute Bücher (seine lateinische Prosodie erlebte sieben Auflagen); ebenso componirte er Musikstücke und Kirchenlieder und übte die Musik mit Leidenschaft.

Sein Plan war, nach dem Tode des Kaisers Matthias (1619) einen evangelischen Fürsten auf den Kaiserthron zu bringen und selbstverständlich Deutschland von Rom loszureißen. Jedenfalls wäre Moritz selbst, der sich zum einfachen Calvinismus bekannte, der würdigste deutsche Kaiser gewesen, und wahrscheinlich dachte er auch daran. Welch einem Flor wäre Deutschland unter ihm entgegengegangen! Zuerst wäre der unselige dreißigjährige Krieg vermieden worden, dieser vernichtende Orkan im Garten des deutschen Gemüths- und Geisteslebens. Nicht ohne den tiefsten Schmerz kann man daran denken, daß statt des genialen, gebildeten, hochsinnigen Moritz der beschränkte, bigotte, kleinliche Ferdinand von Oesterreich gewählt und der Landgraf das Opfer seiner deutschen Idee wurde. Mit allen ihm zu Gebot stehenden Mitteln unterstützte er die aufständischen Böhmen und deren jugendlichen König Friedrich, und selbst nach der unseligen Schlacht am weißen Berge, die Deutschland Jahrhunderte in der Entwicklung zurückwarf, machte Moritz die kräftigsten Anstalten, sich dem siegreichen Kaiser zu widersetzen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_089.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2018)