Seite:Die Gartenlaube (1863) 092.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Eine Muster-Orgel.


„Ist die Orgel von Silbermann?“ Diese Frage ist im Sachsenlande, dem Hauptwirkungskreise des Meisters, und auch wohl in weiteren Kreisen mit ziemlicher Gewißheit aus dem Munde von Laien zu erwarten, sobald das Gespräch auf eine ältere Orgel kommt, die irgend etwas Gutes aufzuweisen hat, sei es auch nur eine stattliche Außenseite. – Das Sprüchwort: „Kleider machen Leute“, ist auch auf Orgeln bezogen zum Wahrwort geworden, und noch heute, in der Zeit der höchsten musikalischen Kultur, in voller Kraft. Ein schmuckes Gehäuse mit vergoldeten Arabesken und wohlgenährten Posaunenengelchen nach dem Geschmack des vorigen Jahrhunderts ist ausreichend, ein solches Werk unserm obigen Altmeister zuzuschreiben, gleichviel, ob der Kern, den eine solche Decoration verbirgt, zu Silbermann’s Orgeln im grellsten Gegensatze steht, im Werthe zu seinen Werken sich verhält wie Blei zu Silber.

Es ist eine höchst merkwürdige Erscheinung, die mir in meiner Praxis oft begegnete, daß Orgeln, die ein entsetzliches Gewimmer erhoben, in den Kirchen noch lange geduldet und nicht selten sogar für Silbermann’sche Orgeln gehalten wurden. Die allgemeinere Kritik auf diesem Gebiete steckt bei aller musikalischen Ruhmredigkeit unserer Tage noch völlig in den Kinderschuhen.

Tausende von Werken aus dem vorigen Jahrhundert geben Zeugniß davon, daß Silbermann in weitem Kreise der einzige tüchtige Orgelbauer unter einem Heer von Pfuschern war. Als er seine ruhmvolle Bahn betrat, sagte ihm sein Verstand, daß ein Kunstwerk dieser Art nur aus den vorzüglichsten Materialien geschaffen werden müsse, wenn es Bestand haben soll. Seine scharfe Beobachtungsgabe ließ ihn bald die einfachsten Strukturen finden. Seiner unermüdlichen Energie gelang es, den Orgeln eine für jene Zeit musterhafte Intonation (Reinheit und Klangfarbe) zu geben. So lag es eigentlich mit in den damaligen Zeitverhältnissen, daß sein Ruhm sich schnell über ganz Deutschland und weiter noch verbreitete und sein Name als Orgelbauer eine fast beispiellose Popularität erlangte. Sein Verdienst ist in der That auch groß, allein sein Ruhm ist noch größer.

Silbermann wurde am. 4. August 1753 in der Orgel der katholischen Hofkirche zu Dresden, mit deren Intonation er soeben beschäftigt gewesen, vom Schlage getroffen todt gefunden.

Hundert Jahre später, 1857, ebenfalls im August, war in dem alten ehrwürdigen Dome zu Merseburg, über den stillen Gräbern einer langen Reihe von Bischöfen und regierenden Herzögen des ehemaligen Stiftes, ein unruhiges Treiben und Schaffen. Das freundliche Gotteshaus hatte ein unheimliches Aussehen angenommen. Wo das Auge den schönsten Schmuck der Kirche, den reichen Orgelprospect zu finden gewohnt war, traf es auf hohle, finstere Räume; die glänzende Außenseite dieses Werkes glich einem Skelet. Die Scene hatte wohl etwas ungewöhnlich Ernstes. Der Mann, welcher es so eben unternommen hatte, hier ein Kunstwerk von ungewöhnlichem Umfange aufzurichten, war noch jung und fast unbekannt, dabei so still und bescheiden, daß manches Haupt bedenklich geschüttelt wurde über das kühne Vertrauen, das man dem Werkmeister Friedrich Ladegast geschenkt hatte.

Kurz nach meiner Anstellung in Merseburg, Ostern 1848, hatte ich einen jungen Orgelbauer, Namens Ladegast, hier kennen gelernt. Er war gekommen, mir seine Noth zu klagen. Er hoffte durch mich als königl. Orgelrevisor ein Wort der Empfehlung zu erlangen, um das er früher vergeblich sich beworben. Seit Jahren in Weißenfels ansässig, war es seinen angestrengtesten Bemühungen nicht gelungen, einen Orgelbau zu bekommen. Die traurigsten Pfuscher waren ihm vorgezogen worden. – Sein fast jungfräulich schüchternes Auftreten, sein grundehrliches Gesicht mit dem intelligenten Auge, in das sich ein feuchter Glanz drängte, während er mir mit bebender Stimme sein Herz öffnete, weckten zwar meine Theilnahme, allein Hülfe konnte ich ja auch nicht gleich bieten. Welcher Sterbliche vermöchte denn das immer beim besten Willen? Es verging auch noch ein volles Jahr, ehe es sich fügte, daß der Graf Zech-Burkersrode ihm in dem Dorfe Geusa bei Merseburg den ersten kleinen Orgelbau anvertraute. – Die am 9. September 1849 stattgehabte Abnahme dieser Orgel erregte mein höchstes Entzücken. Ich fand ein in jeder Beziehung reizendes Werkchen. Und was für Opfer hatte Ladegast aus reinster Liebe zur Sache gebracht! Ein ganzes Clavier hatte er von seinen früheren Ersparnissen als Gehülfe hinzugefügt.

Dies Opfer sollte indeß bald gute Früchte tragen. Eine schnelle Folge von weiteren Orgelbauten überzeugte mich, daß Ladegast die Fähigkeit besaß, den höchsten Anforderungen der Kunst in zeitgemäßer Weise zu genügen. Die hiesige Königl. Regierung schenke dem jungen Meister ihr Vertrauen, das er denn auch durch die Vollendung der einundachtzigstimmigen Domorgel zu Merseburg auf die glänzendste Weise rechtfertigte.

An einem freundlichen Herbsttage, den 26 September 1855, füllten sich die Hallen des Domes mit einem Kreise von Kunstfreunden, die zum Theil aus weiter Ferne herbei gekommen waren, dem ersten großen Coucert auf dem nunmehr vollendeten Werke beizuwohnen. An der Ausführung desselben betheiligten sich eine Reihe der namhaftesten Künstler aus dem benachbarten Leipzig und Weimar, unter ihnen der gefeierte Meister Liszt, welcher dem der Vollendung entgegenreifenden Kunstbau schon längere Zeit hindurch mit dem lebhaftesten Interesse gefolgt war, mit einer Composition, die den Reichthum neuer, wunderbar schöner Klangfarben der Orgel in ein glänzendes Licht hob. Es stellte sich während des Musikfestes – denn zu einem solchen war die Feier durch die überraschend große Theilnahme gediehen – unter den vielen anwesenden Künstlern sehr schnell das allgemeine Urtheil dahin fest, daß hier wirklich neue Bahnen geöffnet, die alte Starrheit des Orgeltons, die der Herrschaft des Papstthums ähnlich, hier völlig gebrochen, an seine Stelle die anschmiegende Weichheit, welche bis dahin nur dem Orchester eigen gewesen, getreten war. Dies trat besonders zu Tage in der Verbindung der Orgel mit der Zaubergeige Eduard Singer’s, in dem Vortrage geistlicher Sologesänge, zu deren Begleitung der Orgelton bisher so ungelenk war, in der spätern Verbindung des Werkes mit Violoncell und Waldhorn, in dem glänzenden Ensemble von Sopran-Solo, Cello, Orgel und Harfe etc., und endlich in der majestätischen Totalwirkung des vollen Werkes, das bei aller Großartigkeit und Fülle des Tons den höchsten Adel bewährt und nie betäubend wirkt.

Diese Eigenschaften der Intonation sind es denn auch hauptsächlich, die den bedeutenden Fortschritt der auf Silbermann’schen Principien ruhenden Ladegast’schen Orgelbaukunst kennzeichnen. Bei aller Hochachtung für den Altmeister Silbermann und seine zum Theil noch in Jugendfrische erklingenden Werke muß es doch gesagt sein, daß keine Kunst der Registratur im Stande ist, ihnen eine solche Fülle wahrhaft poetischer und musikalisch durchaus neuer Klangfarben abzugewinnen, als hier geboten werden. Und diese Eigenschaften der Merseburger Domorgel haben denn auch ihre Anziehungskraft dauernd bewährt. Während Orgelvirtuosen in der Regel vor leeren Bänken oder einem keinen Kreise eingeladener Kunstfreunde spielen, sind die seit acht Jahren fortgesetzten Merseburger Orgelconcerte im eigentlichen Sinne des Wortes populär geworden. Die ersten Virtuosen und Sänger haben sich gern daran betheiligt. Sie sowohl als das kunstliebende Publicum kamen von nah und fern herbei, und gaben den Concerten stets einen festlichen Charakter.

Wichtiger jedoch als das ist die Bedeutung, welche die Ladegast’schen Orgeln für den Gottesdienst haben. Ein Geistlicher verglich einmal in einer Weihrede die Bestimmung der Orgel im Gottesdienste mit der bahnmachenden Thätigkeit des Täufers Johannes, der da spricht: „Bereitet dem Herrn den Weg! machet seine Stege richtig.“ –

Unsers Meisters Werke erfüllen diesen Beruf; sie können, durch den rechten Geist des Organisten beseelt, mehr sein als ein „tönendes Erz und eine kingende Schelle“; sie können in ihrer geheimnißvollen Sprache predigen, den Sturm des Herzens beschwichtigen, ihm Trost und Ruhe geben, sie können dem Worte Gottes den „Weg bereiten“. – Auch ist der gute Einfluß dieser Werke auf das Streben der Kunstgenossen des Meisters, der sich in hiesiger Gegend zeigt, ganz unverkennbar. – Sachsen ist seit Silbermann immer das gelobte Land der Orgeln gewesen. Diesen alten Ruhm scheint es zur Zeit erneuern und auch für die Zukunft befestigen zu wollen. Es kann kaum in irgend einem Theile Deutschlands jetzt ein so rühriges Leben in Beschaffung guter

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_092.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2017)