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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

hätten erzählen können. „„Wissen Sie schon, der Professor Kinkel hat sich in Spandau so aufsätzig betragen, daß er nach dem Zuchthausreglement mit Rohrhieben hat gezüchtigt werden müssen? Es thut uns wirklich leid um den Mann.““ Ich nahm meine ganze Kraft zusammen. Meine Hände rieben sich wund und bluteten. Trotz der wüthendsten Schmerzen spulte ich fort. Meine Energie siegte. Als der Herr Director meine Arbeit am Ende der Woche nachsah, war er erstaunt über meine Leistung. Ich hatte, was wenigen Zuchthaussträflingen im Anfange gelingt, das volle Pensum fertig gebracht. Allmählich heilten die Wunden, und an die Stelle derselben bildete sich eine unempfindliche harte Hornhaut. Ich erlangte eine solche Fertigkeit im Spulen, daß ich mehr als das Pensum zu leisten vermochte. Dafür empfing ich reglementsmäßig eine kleine baare Vergütung, und mit dieser verschaffte ich mir wöchentlich einige Loth Butter, so daß ich an Sonntagen mein Brod nicht trocken zu essen brauchte.“

„Hatten Sie denn gar keine geistige Nahrung?“

„Außer der Bibel hatte ich kein Buch. Und bei dem gänzlichen Mangel geistiger Thätigkeit war die körperliche Arbeit eine wahre Barmherzigkeit. Ohne diese hätte mich die Isolirhaft zum Wahnsinn geführt.“

„Weg mit den traurigen Bildern der Vergangenheit!“ rief Schurz. „Wir wollen uns an die Gegenwart halten und der schönen Aussicht uns erfreuen, daß wir bald aus dem Bereiche unserer Feinde sein werden.“

„Du hast Recht,“ erwiderte Kinkel. „Ist mir doch seit Kurzem so viel Liebes widerfahren und eine solche Aufopferung entgegengetreten, daß vor solchem Glanze die düsteren Schatten vergangener Leiden verschwinden müssen. Dürfen wir nicht mit Vertrauen dem dereinstigen Siege unserer Sache entgegensehen, wenn die Aufopferungsfähigkeit unserer Partei in so hellem Glanze strahlt? Der Demokratie ein Hoch!“

„Die Demokratie soll leben!“ riefen wir begeistert und leerten unsere Gläser.

„Allens kloar, Harr Wiegerts,“ rief der Warnemünder Lootse, dessen Boot ich zu halb vier Uhr bestellt hatte, mit rauher Seemannsstimme in die geöffnete Thür hinein.

Wir brachen auf und stiegen in die an der „Wöhlert’schen Wäsche“ bereit liegende Jölle. Der Nordoststurm hatte noch nicht nachgelassen. Das Boot war mit starkem Ballast versehen. Nur ein Segel war beigesetzt und dies noch dazu eingerefft. Unser Lootse nahm die Schoten[1] in die Hand, um im Nothfalle das Segel fallen lassen zu können. „Ick will up de Schoten passen,“ sagte er zu mir, „und Se sünd wol so god und stiern (steuern) ’n bäten, Harr Wiegerts.“ –

„Ja, wenn Se nich vör mi bang sünd.“ –

„O wie führn jo hüt nich tom iersten Mal mitenander, Harr Wiegerts, ick wet jo, dat Se stiern könen.“ –

Ich setzte mich ans Steuerruder. Wir stießen ab, und vorwärts schoß das Boot wie ein Pfeil. Und als das Boot so dahin flog, mit seinem spitzen Vordertheil das Wasser schaumspritzend zertheilend, und sich dann und wann so auf die Seite legte, daß das Wasser über Bord lief, da hätte man glauben sollen, wir müßten uns in den Grund segeln. Aber die Warnemünder Jöllen liegen wie die Enten auf dem Wasser, ihr scharfer Kiel schützt sie vor dem Umfallen, und wenn nur gut aufgepaßt wird, so segelt man mit ihnen ohne Gefahr. Unsere beiden Freunde freuten sich des ungewohnten Schauspiels. Als wir auf den sogenannten Breitling kamen, wo der Wind so recht ansetzte und die Wellen über unser Boot hinüberschlugen, brachen sie in laute Rufe der Bewunderung aus. In weniger als einer halben Stunde waren wir fast eine Meile die Warnow hinaufgesegelt. Hinter dem Holze am rechten Warnowufer schwenke ich das Steuerruder rechts, und das Boot stieß ans Ufer. Wir stiegen ans Land. Ich drückte unserem Lootsen ein gutes Fährgeld in die Hand und sagte zu ihm:

„Wenn Se to Huus kamen und tofällig fragt werden söllen, wo Se uns henführt hadden, denn bruken Se se dat ja grar nich to seggen.“ –

„Sihr woll, Harr Wiegerts,“ erwiderte er und nickte bejahend, indem er die Hand an seinen „Südwester“ legte und damit Abschied nahm.

Wir gingen den am Holze sich hinziehenden Weg hinan und wandten uns nach dem auf der Anhöhe liegenden Dorfe Krummendorf, dem Stelldichein, welches ich mit Ernst Brockelmann verabredet hatte. Fast gleichzeitig mit uns traf dieser dort ein; er war seinem Wagen voraufgegangen. Brockelmann umarmte die beiden Flüchtlinge und drückte ihnen in herzlicher Weise seine Freude darüber aus, daß ihm ein Antheil an dem Gelingen ihrer Flucht reservirt sei. „Sie werden nun zu mir kommen und für eine kurze Zeit sich gefallen lassen müssen, meine Gäste zu sein,“ fuhr er fort. „In Rostock giebt es keinen Platz, wo Sie sicherer wären, als bei mir. Mein Haus hat Ausgänge und Schlupfwinkel die Menge, und es würde schon einer ansehnlichen Polizeimacht bedürfen, um Ihnen die Flucht von dort abzuschneiden. Ueberdies ist es nichts Ungewöhnliches, daß Fremde, mit denen ich in Geschäftsverbindungen stehe, bei mir logiren. Es hat daher Ihr Aufenthalt in meinem Hause nichts Auffälliges. Inzwischen werde ich die Vorbereitungen treffen, damit Sie baldmöglichst nach England kommen können. Haben Sie Vertrauen zu mir. Mit Gottes Hülfe wird Alles wohl gelingen.“

Der Wagen war inzwischen herangekommen. Die beiden Flüchtlinge stiegen mit Ernst Brockelmann hinein. Ich selbst zog es vor, mit N. zu Fuß nach der „Fähre“, einem am rechten Warnowufer der Stadt gegenüberliegenden Vergnügungsort, zu gehen und mich von dort mit einem Boot nach der Stadt übersetzen zu lassen. Um von Krummendorf zu Wagen nach Rostock zu gelangen, bedarf es eines längeren Weges, der nach der Petrivorstadt und über die Petri-Warnowbrücke in die Stadt führt. Auf diesem Wege gelangten die Freunde in die Stadt. Ernst Brockelmann fuhr mit den beiden Flüchtlingen nach seinem Hause, in welchem sie als zwei so eben mit dem Eisenbahnzuge angelangte fremde Kaufleute, mit Namen Kaiser und Hensel, vorgestellt wurden.


3.

Johanna Kinkel, die hochherzige deutsche Frau, hat zuerst den Plan zur Flucht ihres Mannes gefaßt. Carl Schurz, mit der Kinkel’schen Familie eng befreundet und ein begeisterter Schüler und Verehrer Kinkel’s, sagte bereitwilligst seine Unterstützung zu. In der badischen Revolutionsarmee hatte er, ein Jüngling von 20 Jahren, als Officier und Adjutant im Stabe Tiedemann’s, des Commandanten von Rastadt, gedient, während sein Lehrer Kinkel, der damals 32 Jahre alt war, sich als Gemeiner hatte einrangiren lassen. Ungeachtet schon die Preußen in Rastadt eingezogen waren, hatte er doch durch die Flucht, deren Ausführung seiner Entschlossenheit und Klugheit ein glänzendes Zeugniß ausstellt, seinen Verfolgern sich zu entziehen und nach der Schweiz zu entkommen gewußt. Dies sichere Asyl verließ er, der steckbrieflich Verfolgte, um in Bonn, wo sein Vater Gastwirth war und wo Jedermann ihn kannte, mit Frau Kinkel das Nähere wegen der Flucht ihres Mannes zu verabreden. Der Dr. Falkenthal, später durch den „Berliner Hochverrathsproceß“, welcher ihm das Leben kostete, bekannt geworden, ward von ihr, nachdem er, wie der Staatsanwalt Nörner behauptet, im Juni 1850 von ihren Intentionen durch den Assessor Bergeroth unterrichtet und für den Plan gewonnen war, brieflich ersucht, die Zelle ihres Mannes nach einer gelieferten Beschreibung zu ermitteln. Derselbe entsprach diesem Wunsche, begab sich zu diesem Behufe nach Spandau, erforschte die Zelle und theilte das Resultat seiner Forschungen an Frau Kinkel mit. Nachdem Carl Schurz im Juli 1850 der politischen Versammlung in Braunschweig, wo ich seine Bekanntschaft gemacht, beigewohnt und sogar an der Debatte sich betheiligt hatte, ging er nach Bonn zurück. Demnächst machte er sich auf den Weg nach Berlin, um persönlich bei der Befreiung mitzuwirken, weil, wie er nach Aussage des Staatsanwalts Nörner einem Freunde mitgetheilt hat, die bisher mit der Ausführung derselben betrauten Personen kein hinreichendes Geschick und keine hinreichende Thatkraft besäßen, und traf dort am 11. August ein. Er nahm seine Wohnung in der Markgrafenstraße Nro. 26 bei Rhodes und Müller. Gleich am anderen Tage verletzte er sich beim Baden die linke Hüfte so erheblich, daß er durch drei Herren in seine Wohnung geschafft werden mußte. Hier wurde er zuerst von dem Dr. Lapierre und später von dem Dr. Tendering, seinem Universitätsfreunde, behandelt. Dieser Unglücksfall unterbrach nicht allein die Ausführung seines Planes, sondern setzte ihn auch der Gefahr der Entdeckung aus. Schurz war aber nicht der Mann

  1. „Schoten“ ist ein Kunstausdruck für die Taue am unteren Ende des Segels, mit welchen dieses am Boote befestigt wird.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)