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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

natürlich nicht umsonst, die üblichen gedruckten Zettel, aus denen der Empfänger mit Erstaunen ersieht, daß ihm schon einiges Unangenehme passirt ist, daß er sich vor einigen Menschen zu hüten, aber auch etwas Angenehmes zu erwarten hat.

Auf das dringende Verlangen des Publicums nach der so pomphaft angekündigten Thierbändigung durch ein vierjähriges Mädchen erschien endlich das Wunderkind, welches sich bis dahin auf der Straße herumgetrieben, aber offenbar keine Zeit gehabt hatte, sich zu waschen. Sie wurde in den von Bretern gebildeten furchtbaren Zwinger gehoben, setzte sich auf die Hyäne, die sich aber in ihrem Schlaf nicht stören ließ, gab dem Wolf einen Klaps, und aus war die Vorstellung.

Konnte man für einen Neugroschen mehr verlangen? Und doch waren Manche unzufrieden und sprachen von Schwindel; die anspruchsvollen Menschen!

Es würde jedenfalls viel zu weit führen, wollte ich nun in gleicher Weise noch alle übrigen derartigen Künstler schildern, denn sie sind in ihrer Verschiedenheit außerordentlich zahlreich. Doch eine weitere Art davon kann ich nicht ganz übergehen. Es sind die Wahrsager von Profession, nämlich die, welche blos wahrsagen. Versteht ein solcher seine Kunst recht, d. h. kann er, natürlich immer mit dem nöthigen Ernst, wo möglich immer etwas Anderes sagen, und versteht er aus dem äußern Ansehen der betreffenden zukunftsbedürftigen Person einige Schlüsse zu machen, so kann ihm eine gute Einnahme nicht fehlen, selbst wenn er es nicht lassen kann, mitunter einen Witz, natürlich auch nur mit ernster Miene, dazu zu machen. Einer dieser Straßenpropheten unterließ es fast nie, seine Prophezeiung mit den Worten zu schließen: „Kinder bekommen Sie mehr, als Sie brauchen“, oder auch: „Kinder bekommen Sie, drei Knaben und zwei Mädchen für einen Neugroschen“ (so viel betrug die Bezahlung für die enthüllte Zukunft). Seine moralische Gesinnung bewies dieser Prophet auch dadurch, daß er junge Mädchen, bei denen er dies für nöthig hielt, häufig warnte, sich ja nicht, d. h. zum Bösen, verführen zu lassen.

Für ein wesentliches Erforderniß eines erfolgreichen Kunstbetriebs werden von den reisenden Künstlern stets gute Schilder, d. h. außen aufgehangene Gemälde, gehalten, an denen sie es denn auch fast nie fehlen lassen. Denn selbst wenn sich der von ihnen gezeigte Gegenstand gar nicht dazu eignet, bildlich als Lockmittel zu dienen, wie z. B. Stereoskopen, die ja eben blos Bilder sind, so wird doch irgend ein fesselndes Bild, gleichviel welcher Stoff, außen aufgehangen. Besonders sind dazu orientalische oder antikclassische Seenen beliebt. Freilich versteigt sich aber auch die Kenntniß der Malerei bei unsern Künstlern meist nicht über den Horizont eben der Schilder. Als ich einst bei einer reisenden Bärenführergesellschaft ein Kameel zeichnete, hörte ich Jemand hinter mir fragen: „Zu was macht denn der Mann das?“ „Nun,“ antwortete der Sohn der Besitzerin, welcher außerdem auch noch der „Bärenbändiger“ war, „wenn er emal ens uf e Schild zu malen hat, da hat er’s doch gleich.“

Wie schnell übrigens das Malen dieser Schilder von Statten geht, glaubt man kaum. Ich habe eigentlich noch nie den Entstehungsort derselben kennen lernen, und solche Orte muß es doch irgendwo geben, aber zufällig sah ich einst in einer Menagerie ein solches Bild, eine große Eisbärenjagd à la Biard malen. Der Künstler war wahrscheinlich verschrieben worden; er malte das große nach Ellen messende Bild in zwei Tagen, sang dabei vortreffliche Arien und schien nie in Zweifel über die zu wählenden Farbentöne zu sein, so schnell wurde die Arbeit gefördert.

Etwas Rührendes hat es, wenn man auf diesen Schildern manchmal längst vergessene Compositionen von eigener Hand wieder auftauchen sieht, denn die betreffenden Künstler sind da gar nicht heikel, sie fragen nicht nach Eigenthumsrecht u. dgl., was ihnen gedruckt vorliegt, gilt für vogelfrei, und der Trost, daß die Schöpfung populär geworden, mag den ursprünglichen Schöpfer dafür entschädigen, daß sie, wenn auch vergrößert, doch nicht verbessert wurde.

Das Aushängen von Schildern und das energische Ausrufen sind es aber keineswegs allein, was zum Anlocken der Besucher dient; da giebt es noch allerlei Nebenmittel. Bei einer Menagerie werden natürlich möglichste Massen des zu verschlingenden Fleisches ausgelegt, nebst angeketteten Affen, Papageien u. dgl., während sich Gymnastiker und ähnliche Künstler gewöhnlich erst selbst dem Publicum noch vor der Vorstellung zeigen. Manchmal passirt den Leuten das Unglück, daß sie als Lockmittel, welches doch auf viel Schöneres schließen lassen soll, gerade das Interessanteste am Eingange ausstellen. So war auf der letzten Leipziger Messe von einer Thiergesellschaft, aus einem jungen noch kindlichen Bären, einer alten blinden Hyäne, zwei alten Affen und einem jetzt überall gezeigten Maskenschwein bestehend, gerade der lebenslustige Bär außen angebunden (hoffentlich nicht als üble Bedeutung), und drinnen war die ganze Neuigkeit, daß man erfuhr, die Hyänen wachsen bis zum zwölften Jahre und werden dann blind.

Auch manche Kunstreitergesellschaften lassen ihre activen Mitglieder vor der Vorstellung dem Publicum sich zeigen, wie dies z. B. die Gesellschaft Reimschüssel that. Bei dieser Gesellschaft habe ich mir übrigens einst ein nicht ganz geringes Verdienst erworben. Es war gerade in der ersten Zeit des russisch-türkischen Krieges, als dieselbe ihre Vorstellungen in Leipzig gab. Da mir die Vorstellungen zu wenig Abwechselung zu haben schienen, so gab ich einem der Chefs den Rath, er solle doch eine Episode aus besagtem Kriege darstellen. Die Niederlage der Russen an der Donau war damals noch in frischem Andenken, ich schlug als Einleitung eine Haremsscene vor, welche dann durch Russen, die die Odalisken begehrten, gestört werden sollte, und woraus sich endlich der allgemeine Krieg mit schließlicher Niederlage der Russen zu entwickeln hatte. Leider wurde der erste Theil des Vorschlags nicht acceptirt, immerhin sah ich aber noch zu meiner großen Genugtuung, wie trotzdem das neue Stück fast täglich vor zahlreichem Publicum gegeben wurde, wobei denn die neugebackenen Türken nie versäumten, sich vor der Massacrirung der Russen dem außenstehenden Publicum zu zeigen.

Ein nicht zu verachtendes Hülfsmittel, um die Leute anzulocken, ist es auch, aus dem Innern der Bude oder des Zeltes fabelhafte Töne erklingen zu lassen. Das Blasen auf Muscheln ist schon etwas zu abgedroschen, es will nicht mehr ziehen. In einer Menagerie ist es deswegen sehr wichtig, wenn die Löwen das Brüllen recht verstehen, es lockt das oft mehr als alles Anpreisen. In einer jüngst in Leipzig gewesenen Menagerie mußte daher ein Bär die Stelle des gerade fehlenden Löwen vertreten, es wurde ihm, wenn außerhalb der Bude sich Publicum versammelt hatte, so lange mit einer eisernen Stange zugeredet, bis er endlich den Zweck seines Daseins erfüllte und durch schmähliches Brüllen die Leute draußen von seinem wirklichen Dasein überzeugte. Es liegt darin ein tiefer Sinn. Denn man kann es Niemandem verdenken, wenn er auf die außen gemalten Jagden und auf die unendliche Aufzählung der drinnen zu schauenden Thiere Nichts mehr giebt; das gläubige Gemüth ist zu oft angeführt worden, es will also ein sicheres Zeichen, und als das kann immerhin noch das Brüllen eines Thieres angesehen werden.

Eine schlimme Situation für die Betheiligten ist es übrigens, wenn, was gar nicht selten vorkommt, dieselbe Kunstbranche oder derselbe Gegenstand zu gleicher Zeit von Mehreren gezeigt wird, und wenn vollends solche Concurrenten durch die Tücke des Schicksals, welche sich da gern hinter die Behörden steckt, nebeneinander placirt werden. Ein solcher Fall kam kürzlich vor. Drei Riesinnen, darunter sogar eine schwarze, waren unmittelbar nebeneinander aufgestellt, und natürlich blieb nur die eine die Siegerin. Auch ich saß zu ihren Füßen und staunte. Daß sie, wie selbstverständlich, auch somnambülte, erwähne ich nur als Beispiel, daß dazu keineswegs eine schwächliche Natur und ein langes Kleid unumgänglich nöthig sind. Die Hauptsache blieb immer ihre imposante Erscheinung, die einen Herrn sogar so weit hinriß, daß ihn seine Stimmung die Bank, auf der er saß, noch nicht niedrig genug finden ließ. Eine andere Riesin, welche übrigens nicht mehr zu jung war, tanzte sogar, und als liberale Französin erlaubte sie den Zweifelnden, sich durch das Gefühl zu überzeugen, daß sie nicht ausgestopft sei.

Bei der großen Concurrenz auch unter den wandernden Künstlern ist natürlich immer der im Vortheil, welcher „Etwas noch nicht Dagewesenes“ bringt. Als daher in Leipzig von der Schauspielergesellschaft Magnus „der geschundene Raubritter“ aufgeführt wurde, wobei dem Publicum erlaubt war, hineinzureden und die Schauspieler während ihres gewiß anstrengenden Spieles mit Bier, Apfelsinen, Würstchen und dergleichen zu erquicken, so war dies in der That etwas ganz Neues, und der Zulauf, aber auch in Folge davon der Scandal so ungeheuer, daß die Wiederkehr von den Vätern der Stadt untersagt zu sein scheint.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_127.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)