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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

an den aufsteigenden. Gleich nach der Erscheinung wechselten Regen, Hagel und Schnee mit einander ab, begleitet von einem orkanähnlichen Sturme und den heftigsten Blitz- und Donnerschlagen.

Herr Theodor Dyrssen, Landmann aus Strübbel in Norderditmarschen, schreibt, daß er an dem in Rede stehenden Tage Abends mit einem Freunde, beide beritten, von dem neuen Wesselburener Koog (etwa 7–8 Meilen nordwestlich von Brockdorf) zurückgekehrt sei, dem äußersten Marschlande, welches erst im vorigen Jahre der Nordsee in der Eidermündung durch Eindeichen abgewonnen ist und gleich die furchtbaren Sturmfluthen dieses Winters zu bestehen hat. Der Nordwestwind, schreibt er, welcher schon einige Zeit dauerte, nahm gegen Abend an Heftigkeit zu und war begleitet von Regen, Schnee und Hagelschauern, auch Blitzen, aber ohne vernehmbaren Donner. Plötzlich sahen beide Reiter an den Ohren ihrer Pferde und auf ihren eigenen Köpfen Feuerflammen, ebenso an der Mündung einer geladenen Flinte, die der Eine auf dem Rücken hängen hatte. Eine freilich unbegründete, aber bei der unheimlichen Natur der seltenen Erscheiuung sehr erklärliche Furcht vor Entladung, welche dadurch gesteigert wurde, daß Beide ein Knistern der Flammen wie von einem wirklichen Brennen vernahmen, veranlaßte denselben, das Gewehr von sich zu werfen, und die große Unruhe der Pferde nöthigte Beide abzusteigen, bis nach etwa 10 Minuten mit dem Unwetter auch die Lichterscheinung verschwand.

Aus Lunden, einem kleinen Flecken abermals 1½ Meilen nördlicher belegen auf einem langgestreckten niedrigen Geestrücken inmitten der horizontalen Marsch-, und Moorfläche, schreibt Herr J. H. Arnold, welcher dem Kirchthurme gegenüber wohnt und an dessen Spitze schon zu verschiedenen Malen während gelegentlicher Sommergewitter solche Feuer gesehen hat, daß am 20. Januar der Sturm mit Regen, Hagel und finsteren, ohne eigentlichen Blitz doch aufleuchtenden Wolken längere Zeit geweht habe. Um 6½ Uhr endlich sei eine Wolke ohne Regen grade über den Kirchthurm hingezogen, und sofort sei die Thurmspitze in starkes Leuchten gerathen, welches von ihm und seinen sämmtlichen Hausgenossen längere Zeit beobachtet worden.

Der Zimmermeister Johann Christian Johannsen aus Garding in der schleswigschen Landschaft Eiderstedt, etwa 2 Meilen westlich von Lunden und ebenso wie dieses auf einem Geestrücken inmitten der Marsch belegen, befand sich zwischen 7 und 8 Uhr des genannten Tages aus dem Wege zwischen Hülkenbüll und Garding und schreibt mir, wie folgt: „Es wehte ein heftiger Sturm aus Südwest begleitet von einem starken Hagelschauer, dann und wann mit furchtbaren Blitzen und Donnerschlägen. Endlich ward der Sturm zum Orkan, so daß ich mich kaum aufrecht erhalten konnte. Auf einmal gewahrte ich an den Fingerspitzen meiner Handschuhe Feuer, und zwar so, daß bei dem Reiben der Hände es förmlich herabzurollen schien. Auch mein wollenes Tuch, das ich der Kälte wegen ziemlich dicht vor den Mund gezogen, hatte, leuchtete auf, so daß ich anfangs glaubte, Tuch und Handschuhe seien mit dem Phosphor von Zündhölzern in Berührung gewesen. Als ich aber auch meinen Speichel wie flüssiges Feuer leuchten sah und nach etwa zehn Minuten die ganze Erscheinung ohne jede Spur von Wiederkehr verschwunden war, da hatte ich sofort die Ueberzeugung, daß ich eine elektrische Erscheinung gesehen.“ –

Im mittleren Holstein ist Nortorf, an der Rendsburg-Neumünsterschen Bahn belegen, der nördlichste Punkt, von wo mir Nachricht geworden. Sehr interessant namentlich in Betreff der Intensität und der Localisirung des Leuchtens ist, was Herr Dr. Dose von da beobachtete.

„Es wird Sie interessiren,“ schreibt der genannte Arzt, „daß die am 20. dieses Monats Abends zwischen 6 und 7 von Ihnen wahrgenommene elektrische Erscheinung auch in hiesiger Gegend nicht unbemerkt geblieben ist. Großartiger und prächtiger noch sah ich das St. Elmsfeuer einige Stunden später auf einer Tour nach Böken. Auffallend war es, daß gerade während eines Schneegestöbers das Leuchten am deutlichsten erschien. Auch sah man gleichzeitig solche Gegenstände, auf welchen der Hagel vorzugsweise haftete, besonders stark phosphoresciren. So schienen der Rock meines Kutschers, die Mähne und der Schweif der Pferde eine Flamme zu sein, während Gegenstände, von denen der Hagel abprallte, z. B. das Pferdegeschirr, der Wagen u. s. w., nicht im Mindesten leuchteten.

Streifte man die Hagelkörner von der Kleidung ab, so leuchtete die Hand so lange, bis der Hagel geschmolzen war; fuhr man mit der Peitsche durch die Luft, so sah man ähnlich phosphorescirende Streifen, wie man sie auf dem vom Schiffskiel durchschnittenen Wasserspiegel des Kieler Hafens im Frühling und Herbste bemerkt. Die Beobachtung dauerte ungefähr ¼ Stunde bis gegen 10 Uhr.“

Der Großherzoglich Oldenburgische Wegeinspector des Fürstenthums Lübeck, Herr Bruhns, in Eutin schreibt mir die Mittheilung eines Postillons, den er gleich nach dem Gewitter befragt hatte, wie es ihm während desselben ergangen sei. Zusammengehalten mit den Erzählungen eines vorurtheilsfreien und aufmerksamen Arztes, welche ich eben geben konnte und welche unbedingten Glauben verdient, wird die Schilderung des Postillons, welche, wenn man sie zuerst liest, unter dem Einflusse einer aufgeregten Phantasie entstanden zu sein scheint, zum nüchternen Berichte der Wirklichkeit.

„Am 20. dieses Monats,“ so erzählte der Postillon, „fuhr ich von Eutin nach Waltersmühle. Gegen 7 Uhr Abends wurde ich auf der Höhe des Sandweges zwischen der Ottersbrücke und dem Pepersee von einem heftigen Graupelschauer überrascht, so daß ich buchstäblich keine Hand vor Augen sehen konnte. Gleichzeitig brach ein Sturm los, wie ich ihn nie zuvor erlebte. Im Kampfe mit Sturm und Hagel wendete ich mein Gesicht nach der Windseite und erschrak nicht wenig, als ich plötzlich alle Spitzen des mir zur Rechten liegenden Knicks in hellen Funken glänzen sah, die etwa die Größe von kleinen Wachsstocklichtern hatten. Einzelne derselben hoben sich von dem Knick ab und zogen mit dem Winde quer über den Weg; diese hatten eine birnenförmige Gestalt und die Spitze war nach unten gekehrt. Die Erscheinung begleitete mich auf einer Wegestrecke von etwa 100 Ruthen Länge, da aber hatte mich Wind und Wetter mit meinem Fuhrwerk in den Befriedigungsgraben geworfen. Ich suchte im Innern des geschlossenen Wagens die Laternen, welche der Sturm gleich Anfangs ausgelöscht hatte, wieder anzuzünden und das Fuhrwerk auf den Weg zu bringen; als mir beides endlich gelungen war, hatte das Wetter sich aufgeklärt, und von der Erscheinung war keine Spur mehr zu sehen.“

Herr Wegeinspector Bruhns, ein höchst aufmerksamer Naturforscher, schreibt ferner, daß um 3½ Uhr in Eutin während eines heftigen Sturmes mit Graupeln sich ein Blitz und ein Donnerschlag gleichzeitig aus der dunkeln Wolke wahrnehmen ließen. Von mehreren glaubwürdigen Zeugen wurde dabei beobachtet, daß der Blitz vom Thurme hinuntergegangen und am untern Dache nach einer Theilung erloschen sei, während weder am Blitzableiter selbst noch an dem Thurme nachträgliche Spuren des Ereignisses hatten wahrgenommen werden können. In einem späteren Briefe schreibt aber Herr Bruhns: „Fast glaube ich jetzt annehmen zu müssen, daß der Blitz, der unseren Thurm getroffen haben soll, auch St. Elmsfeuer gewesen,“ und daraus würde dann hervorgehen, daß, wie Dr. Dose um 10 Uhr, Herr Bruhns um 3 Uhr, der Eine vor, der Andere nach dem Hauptereigniß, durch vereinzelte Wolken mit entsprechenden Windbahnen veranlaßt, die Spuren der beginnenden und erlöschenden Spannung gesehen haben, während sonst die Gleichzeitigkeit des Ereignisses auf so ausgedehnten Flächen wie das ganze Herzogthum Holstein sammt einem Theile von Schleswig im hohen Grade merkwürdig ist.

Niemand bezweifelt bei dem jetzigen Stande der Meteorologie, daß die Ursache eines solchen Gewitters das Einfallen des Nordstromes in den herrschenden Südstrom oder des Südstromes in den herrschenden Nordstrom sei; niemand bezweifelt, daß entweder direct vorhandene verschiedene elektrische Spannungen oder dergleichen hervorgerufen durch die zusammenstoßenden Wärmeunterschiede und differenten Dampfspannungen alle elektrischen Meteore hervorrufen können, welche überhaupt bereits durch Ueberlieferung bekannt sind; aber fast ganz anschaulich wird es in diesem Falle, wie der jetzt in den oberen Regionen herrschende Nordstrom in den seit so langer Zeit wehenden warmen Südstrom vor und nach dem Hauptereigniß sich an vereinzelten Stellen ein Loch bis auf die Erdoberfläche herabgebohrt hat und dann zwischen 6 und 7 Uhr auf einer sehr großen Fläche gleichzeitig, also nicht von der Stätte des ersten Herabkommens weiter vordringend, sondern auf der ganzen Fläche senkrecht von oben herunter eingebrochen ist, um sofort wieder zu verschwinden, so daß der Südweststurm nur eine kleine Drehung nach Nordwest annehmen konnte, ohne Norden und Osten zu erreichen, und dann gleich wieder in seine alte Bahn zurückfiel, die Möglichkeit einer baldigen Wiederholung des Phänomens eröffnend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_139.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2017)