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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

dem Lernen ging es ihm später auch mit dem Dichten, weshalb er eigentlich sehr wenig fruchtbar war.

Mit einem ziemlich geschmolzenen Vermögen, das Lenau von seinen Großeltern geerbt hatte, begann nun jenes ruhelose Wanderleben zwischen Wien und Stuttgart, wo er bald mit den „Besten“ der schwäbischen Dichterschule, an ihrer Spitze Altmeister Uhland, in herzlichste Verbindung trat. Männer wie Carl Mayer, Graf Alexander von Würtemberg, Justinus Kerner und Gustav Schwab kamen ihm mit jener Gastfreundschaft und Werthschätzung entgegen, die diesen Kreis vorzüglicher Menschen kennzeichneten und den einer solchen Aufnahme bedürftigen Fremdling auf’s Wohltuendste berührten. Gustav Schwab war es, der Lenau in dieser seiner zweiten Heimath zuerst als Dichter einführte, indem kurz nach seiner Ankunft „die Haidebilder“, „die Werbung“, „der Schiffsknecht“ und „der Invalide“ im Stuttgarter Morgenblatte erschienen, dessen poetischen Theil Schwab redigirte.

Die Fülle poetischer Kraft und Originalität, welche diese Gedichte in sich tragen, das Fremdartige, Ungewohnte des Gebiets, auf dem sie sich bewegen, der tiefe, melancholische Ernst, der das Ganze durchweht, und was so mächtig anzieht und gefangen hält, diese so bedeutenden als charakteristischen Züge in Lenau’s Poesie verfehlten auch hier ihren magischen Reflex nicht und rissen zur lautesten Bewunderung hin. So kam es, daß der Vertrag mit der Cotta’schen Verlagsbuchhandlung bereits 1831 abgeschlossen wurde, und der Name „Lenau“ bald als ein Meteor erster Größe am Dichterhimmel Deutschlands glänzen sollte. Ueber des Dichters damaliges Aeußere theilt uns sein Schwestermann und Biograph, der treffliche Anton Schurz (dessen bereits angeführtem Werke wir die interessantesten Notizen verdanken), Folgendes mit: „Lenau war reich mit Körperkräften ausgestattet – und wie tollkühn er war, wie heiß das kriegerische Blut seiner Ahnen ihm durch die Adern rollte, beweist sein wiederholter Ausspruch: daß er „die Freuden des Schlachtfeldes“ über alle anderen stellte.

„Drei Dinge hätt’ ich gern vollbracht:
Gestanden einmal in der Schlacht,
Ein holdes Weib als Braut errungen,
Ein Söhnlein froh im Arm geschwungen.“

„Eher klein als groß, aber stämmig, um die Schultern breit, von vortrefflicher Lunge und Brust, mit sehnigen Armen und Beinen, dazu voll Muth und Verwegenheit und stets gewaltiger Herr des Worts – wäre er ein vortrefflicher Husarenoberst gewesen. Sein sehr großer Schädel zeigt die Hülfsmittel des Dichters in höchster Ausbildung; das Haupthaar auf dem gedankenvollen Scheitel etwas dünn, Backen- und Schnurrbart dunkelbraun; die Stirne besonders breit, über der kräftigen, sanftgeschwungenen Nase sich gern stark faltend; die Brauen, wie bei Vieldenkern, oft sich zusammenziehend, die Backenknochen, wie bei Slaven, wie denn überhaupt Lenau’s Gesicht an einen edlen Serben mahnte, etwas hervorragend; die unaufgeworfenen schmalen Lippen energisch geschlossen; das Kinn wie abgehackt; endlich in den Augen zwei unergründliche Brunnen von Geist, Tiefsinn und Schwermuth … welch ein herrliches Gesicht! Hand und Fuß aristokratisch fein und klein; die Haltung ein gemächliches Sichgehenlassen; meist gebeugt sitzend oder bequem liegend; auf gebogenen Knieen sich schwingender Gang; in Kleidung gewählt und zierlich fast, stets rein behandschuht und auf das Aeußere mehr haltend, als man gewöhnlich bei Dichtern trifft: so, so war Lenau zu jener Zeit, als sein Name zuerst durch die Welt flog.“

Von nun an sehen wir den Dichter im lebhaftesten Verkehr mit den vorzüglichsten Geistern Wiens und Stuttgarts. In Wien war es vor Anderen der edle Anastasius Grün, welcher sich in einer an Pietät grenzenden Weise von Lenau’s Genius angezogen fühlte. Diese Pietät, die durch Nichts abgeschwächt werden konnte, fand später ihren schönsten Ausdruck in dem „Vorworte“, welches Anastasius Grün dem dichterischen Nachlasse des verewigten Freundes widmete. In Stuttgart waren es, wie schon früher angedeutet, Uhland, Schwab, Mayer und Kerner, die dem Geistesgenossen brüderlich die Hand reichten und ihre gastlichen Häuser in echt patriarchalischer Weise öffneten. In Kerner’s freundlichem Asyl bei Weinsberg verlebte Lenau Stunden des reinsten, harmlosesten Glücks, während die romantische Lage des Orts seine ohnehin schon ungeheuere Einbildungskraft noch steigerte. In jenem uralten Thurme, der einst zur Befestigung der Stadt gehörte, und in dessen unterstem Raume, nach Zerstörung der Burg, deren unglücklicher Vertheidiger, Graf von Helfenstein, gefangen saß, schrieb Lenau 1834 einen bedeutenden Theil seines „Faust“. Manchen Abend, oft bis tief in die Nacht, stand er auf der Zinne des alten Gemäuers, und schaute nach den dunkeln Umrissen der alten Veste „Weibertreue“, aus deren Trümmern die Aeolsharfen herüberklangen, die der phantastische Kerner dort angebracht hatte. Und streifte das Mondlicht jene Gegend, wo die „Seherin von Prevorst“ begraben liegt, über deren Hügel jenes riesige goldene Kreuz schimmert, so griff der einsame Dichter zu seiner Geige, die er so meisterhaft spielte, und entlockte ihren Saiten die schwermüthigsten Töne, die nicht selten in die wilden, kriegerischen Klänge des „Rakoczy“ übergingen. „Denn,“ sagt Kerner, „tiefe Melancholie wechselte bei ihm sehr oft mit ausgelassenem Lustigsein – eine Dissonanz, die ich oft mit geheimer Sorge beobachtete.“

Wenn Lenau’s Persönlichkeit die Männerwelt so unwiderstehlich anzog, ja beherrschte, so ist es nicht zu verwundern, wenn diese Persönlichkeit einen mindestens gleich mächtigen Zauber auf das andere Geschlecht übte. Die hervorragendsten Frauen jenes auserwählten Kreises, obenan die Damen Graf Alexander’s von Würtemberg, kamen dem Dichter mit unbefangenster Verehrung entgegen, die ihn mit freudiger Genugthuung erfüllte, weil er sie der Reinheit und Keuschheit seiner Muse zuschreiben durfte. „Wenn Gräfin Marie sein innigstes Lied: „Weil’ auf mir, du dunkles Auge!“ mit tiefer Empfindung vortrug, sah man das seinige in freudigem Strahle erglühen. Doch dieses Erglühen, dieses Lächeln erschien immer wie die auf Augenblicke zwischen düsterem Gewölk hervortretende Sonne.“

Aber trotz dieser vielseitigen Gunst und Verehrung, die dem Dichter von den edelsten Frauen ward, sollte es ihm nicht vergönnt sein, eine Gefährtin zu finden, an deren Seite er beglückt durch’s Leben gehen durfte. Einmal hielten ihn materielle Bedenklichkeiten von einem Ehebündniß zurück – ein anderes Mal körperliche und – geistige Leiden – noch früher ein böser Zufall, der ihn immer „zu spät“ kommen ließ. Jene „Sophie“, an welche Lenau bis zu seiner großen Krankheit die zärtlichsten, vertrautesten, aber auch verzweiflungsvollsten Briefe richtete, wurde die Gattin eines Anderen. Ihr galten die Strophen:

„Ach, wärst Du mein, es wär’ ein schönes Leben,
So aber ist’s Entsetzen nur und Trauern!“

Von einer wahrhaft dämonischen Unruhe getrieben, faßte er zu jener Zeit den Entschluß, nach Amerika zu gehen, um dort Ländereien zu kaufen, die er dann verpachten wollte. Jemehr die Freunde zu diesem abenteuerlichen Entschluß die Köpfe schüttelten, je dringlicher sie ihm davon abredeten, desto beharrlicher wurde Lenau und ließ sich nur das Versprechen abnöthigen, nach Jahresfrist wieder heimzukehren. Im August 1832 schiffte er sich ein – und nach Jahresfrist betrat er auch wieder den heimischen Boden – wie vorauszusehen war, das Herz voll von Enttäuschungen.

„Mein Aufenthalt in der neuen Welt,“ sagte er später, „hat mich von der Chimäre von Freiheit und Unabhängigkeit, für die ich mit jugendlicher Begeisterung schwärmte, geheilt. Ich habe mich dort überzeugt, daß die wahre Freiheit nur in unserer eigenen Brust, in unserem Wollen und Denken, Fühlen und Handeln ruht.“ – Enttäuschungen also dort wie hier! – Dazu leidige Geldsorgen, die ein empfindliches Gemüth, wie das Lenau’s, doppelt schwer treffen und seine natürliche Mißstimmung ungemein steigern mußten. „Um sich ihrer möglichst zu entschlagen, und auch um eine entschiedenere Stellung in der Gesellschaft zu gewinnen, bereitete er sich damals ernstlich für die ästhetische Professur an der theresianischen Ritterakademie zu Wien vor, die ihm vielleicht nur darum nicht wirklich zu Theil ward, weil er es unter seiner Würde hielt, sich um dieselbe auf dem allgemein vorgeschriebenen Wege zu bewerben.“

Diese Existenzsorgen, die ihn wie Gespenster verfolgten, veranlaßten ihn auch mit Baron Cotta einen Vertrag abzuschließen (wonach er ihm gegen ein Honorar von 20,000 Gulden seine literarischen Erzeugnisse überließ), als ihm in der Person einer jungen Frankfurter Dame das Glück noch einmal zu lächeln schien. Wir wissen nicht, wollen auch nicht entscheiden, ob dieses Verhältniß, welches die Ehe sanctioniren sollte, von Seiten Lenau’s aus wahrem Herzensbedürfniß angeknüpft wurde – es ist uns nur bekannt, daß seine Brautfahrt nach Frankfurt eine glückliche war – daß er freudestrahlend zu seinen Freunden nach Stuttgart zurückkehrte und wieder Hoffnung schöpfte für eine noch glücklich werdende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_167.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)