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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


Thür noch verschlossen. Der Marschall Duroc und Küster Geim bemühten sich, die seit vielen Jahren nicht geöffnet gewesene Thür aufzuriegeln, und als es gelungen war, stand plötzlich der Kaiser hinter Geim und sagte: „Laissez donc!“ Während der Kaiser in der Thurmhalle wartete, hatte sich das durch die andere Thür eingetretene Gefolge an dem Altar, der damals noch nicht an seiner jetzigen Stelle, sondern in der Mitte des Raumes zwischen der Kanzel und der königlichen Loge stand, ehrerbietig in einem Halbkreise geordnet. Geim führte nun den Kaiser durch den schmalen Gang zwischen dem Grabgewölbe und dem breiten Tragepfeiler bis vor den schon geöffneten Eingang zur Gruft, an welchen sich zwei Gensd’armes d’élite mit aufgepflanztem Bajonnet gestellt hatten. Der Leibmameluk Rustan folgte dem Kaiser unmittelbar und hinter diesem noch zwei Gensd’armes d’élite. Bei dem Hervortreten des Kaisers aus der schmalen Passage in den freien Raum nahmen alle versammelten Generäle und Militärpersonen eine ehrfurchtsvolle Haltung an, und der Kaiser schritt nun mit seinem Bruder Jerôme unmittelbar hinter Geim her in die Gruft, stand einige Zeit in tiefer Betrachtung an dem Sarge des großen Königs, auf welchen Geim zeigte, und sagte dann: „Sic transit gloria mundi,“ worauf er einen Wink gab, ihn allein zu lassen.

Prinz Jerôme trat ebenfalls in den Vorraum, und der Kaiser verweilte wohl zehn Minuten allein an dem Sarge, Allen sichtbar, da die Thüren offen blieben.

Als er wieder herausgetreten war, zeigte er auf den Altartisch und fragte den Küster, was der Tisch da bedeute, worauf Geim erwiderte: „Er wird zu Taufen und bei der Abendmahlsfeier gebraucht.“

„Wo sind die Gefäße für den Gottesdienst?“ fragte Napoleon weiter.

„Sie werden in der Sacristei bis zu dem jedesmaligen Gebrauch verschlossen aufbewahrt.“

„Was bedeuten die Figuren?“ Dabei zeigte der Kaiser auf die beiden Statuen des Mars und der Minerva, welche damals rechts und links von der Kanzel auf Postamenten standen und später auf Veranlassung des Dr. Eylert in das königliche Stadtschloß in den Treppenraum gebracht wurden, welcher vom Hofe aus durch das Mittel-Risalit in den Kurfürstensaal führt, wo dieselben noch jetzt stehen.

„Es sind allegorische Figuren, welche König Friedrich I. hier aufstellen ließ, um die Kirche als eine Garnisonkirche zu bezeichnen.“

„Bah!“

Indem sich der Kaiser nach diesem Ausruf, der theils seine Verwunderung, theils seine Mißbilligung ausdrückte, zum Weggehen wandte, befahl er dem Marschall Duroc, daß die Garnisonkirche nicht, wie die andern Kirchen der Stadt, zu militärischen Zwecken (als Magazin, Lazareth, Stall etc.) gebraucht werden sollte, da sie unter seinem unmittelbaren kaiserlichen Schutz stände.

Vor dem Verlassen der Kirche sagte der Kaiser noch: „Où est le pasteur?“ Der Prediger war aber noch nicht da, sondern kam erst, als Alles vorüber war. Der Kaiser wartete auch die Antwort gar nicht ab, sondern verließ die Kirche ohne eine weitere Aeußerung.“

Seltsamer Wechsel des Schicksals! „Die Kirche mit der Gruft Friedrich’s des Großen stehen unter meinem persönlichen Schutz,“ sagte damals der französische Kaiser; jetzt sind es die kaiserlichen Adler, die der welterschütternde Eroberer so oft siegreich in’s Feld führte, welche zu beiden Seiten des Eingangs in die Gruft, in malerische Gruppen geordnet, den hehren Todten gleichsam bewachen und Zeugniß ablegen von der noch ungebrochenen Kraft des einst von ihm beherrschten Volkes.

Ueber die Kuppeln seines Lieblingsschlosses Sanssouci aber ragt hinaus, als Denkmal seiner Gerechtigkeit, der er mit Freuden die eigenen Neigungen opferte, die von seinen Nachfolgern in hohen Ehren gehaltene historische Windmühle.

M.


Eine Nacht in Missouri.
Erinnerung eines amerikanischen Freiwilligen.


Es war zu Anfange des jetzigen amerikanischen Bürgerkriegs, dessen erste Schlachten im westlichen Missouri, kaum weit von der Indianergrenze, geschlagen wurden. Was von den jüngern Deutschen in St. Louis ein Gewehr tragen konnte und nicht unabweislich an die Stadt gefesselt war, hatte sich in die aufgerufenen Freiwilligen-Regimenter einreihen lassen, um dem Gelüste des Gouverneurs, den Staat von der Union loszureißen und dem eben entstandenen Südbunde anzuschließen, entgegen zu treten. Das Verbleiben Missouri’s in der Union war für das deutsche Element im Staate nicht nur eine politische, sondern eine völlige Lebensfrage; die Deutschen waren von jeher die schärfsten Gegner der in Missouri am wenigsten gerechtfertigten Sclaverei gewesen, hatten es sogar endlich zu einer mächtigen Partei gegen das sclaverei-freundliche Amerikanerthum gebracht und wären unter der Herrschaft der südlichen Baumwollenbarone zu rechtlosen Parias gemacht worden. Nebenbei lagen unter der politischen Aufregung alle Geschäfte so gänzlich nieder, herrschte eine so drückende Geld- und Arbeitsnoth, daß Viele nach dem Gewehr griffen, um wenigstens der schweren Sorge für den täglichen Unterhalt enthoben zu sein. Indessen betrug die ganze Macht, womit der Höchst-Commandirende, General Lyons, seinen ersten Feldzug in das Innere des Staats unternahm, doch kaum über 7- oder 8000 Mann, von denen eigentlich nur die Officiere richtig uniformirt waren – das nothwendigste Exercitium aber hatte sich unter dem Drange des Augenblicks wunderbar schnell gelernt. Ich selbst, als gedienter preußischer Soldat, war gleich anfangs zum Lieutenant gewählt und bestätigt worden – kurze Zeit darauf aber nahm mich der General, theilweise wohl mit meines fertigen Englisch und meiner Schreibgeläufigkeit wegen, in seinen Stab auf.

Es war ein drückend warmer Abend, und das Haupt-Corps unserer kleinen Armee lagerte vor einem hügeligen, waldigen Terrain, um das Heranstoßen eines kleinern Corps unter Oberst Sigel zu erwarten. Vom Feinde hatten wir nur die unbestimmtesten Nachrichten; wir wußten, daß der Gouverneur Jackson die ganze amerikanische männliche Bevölkerung in dieser Gegend zu den Waffen gerufen und sie der Hauptmacht der Rebellen unter General Price zugeführt hatte; wie weit aber diese Macht stand und wie stark sie überhaupt sei, waren Fragen, die sich trotz aller eingezogener Erkundigungen noch nicht hatten beantworten lassen. Der ganze Landstrich, in welchem wir uns befanden, hing dem Südbunde an; gewöhnlich hatten wir auf den Farmen, denen wir uns genähert, nicht ein einziges weißes Gesicht, sondern nur grinsende und mit Verwunderung auf uns starrende Negersclaven angetroffen; wo wir aber auch einmal eines Amerikaners oder einer Farmersfrau habhaft geworden, hatten wir nichts als eine anscheinende völlige Unwissenheit über unsere Gegner getroffen; seit längerer Zeit wollte Niemand von ihnen etwas gesehen noch gehört haben, und selbst die Schwarzen, welche zuletzt zum Sprechen gebracht werden sollten, schienen mit ihren Herren im völligen Einverständniß zu handeln.

Ich lag vor dem Zelte des Generals im Grase, den leisen, kühlen Luftzug, welcher aus den Bergen vor uns kam, genießend und den Gesängen, welche aus der Mitte der lagernden Truppen ertönten, horchend. Wir hatten ganze Sängervereine unter uns, die trotz aller Ermüdung vom Marsche keinen Abend ohne den prächtigsten Quartettgesang vorübergehen ließen. Seit wir ausgerückt waren, war es hauptsächlich ein Lied im Marschtakt, welches für die Missourier Freiwilligen besonders geschrieben war, das mich vor Allen ansprach und das verdient hätte die Marseillaise aller Deutschen in dem sich entspinnenden Kampfe zu werden. Wenigstens dachte ich damals so, wo mich noch die ganze Begeisterung für unsere Sache, die ganze Romantik und Poesie des ersten Anfanges unseres „heiligen Kriegs“ umspann – heute, wo man einen zehnfachen Katzenjammer für den damaligen Rausch durchzumachen gehabt, wo gerade unsere Deutschen unter dem Betrugssystem der Verpflegungsbeamten und der Unfähigkeit sogenannter Generale immer bei Zehntausenden haben zu Grunde gehen müssen, klingt besagtes Lied freilich wie ein lebendiger Hohn. Es verherrlichte in zwei Anfangsversen die Union als neue Mutter und Ernährerin der herübergeflüchteten Deutschen und schloß dann:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_173.jpg&oldid=- (Version vom 6.2.2020)