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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Almenrausch und Edelweiß.
Aus dem bairischen Hochgebirge.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


3. Vater und Sohn.

Frisch und scharf kam der Morgen in die Ramsau heruntergestiegen; die Häupter und Rücken der Berge waren mit grauem Gewölk bedeckt, aber es brach hie und da hell und sonnig durch die Massen und verkündete, daß der Nebel sich heben und das schöne Wetter des Spätherbstes beständig bleiben werde. Das Gewölke gerieth in Bewegung, wie ein weites wehendes Tuch; es wallte und stieg und stieg und zerriß und verflatterte zuletzt in kleine krause Wellen und Flocken, die glänzend und weiß im sonnigen Morgenhimmel dahin schwammen. Auf den Bergen selbst hatte sich ein anderer Bote beständiger Witterung eingefunden: es hatte angeschneit, und der Watzmann streckte sein silberglänzendes Horn über den breiten Rücken des Steinbergs herein, auf welchem hie und da ebenfalls die weiße Decke gebreitet lag und sich wie flatternde unregelmäßige Bänder in den Felsklüften und Steinrissen streifenweise gegen das Thal niedersenkte. Auch gegenüber auf der Sonnenseite war es winterlich geworden, und weiß schimmernder Reif hing an den starren Halmen auf den Wiesen und Bergweiden des Lattenbergs. Oben am Schwarzeck, wo sich eine Schaar Häuser in den Schutz des Tannenwaldes einschmiegt wie eine Heerde an einen windfreien Abhang, war Alles schon rührig und geschäftig, und die Arbeiten des Vorwinters hatten begonnen. Aus den Städeln tönten in abwechselndem vieltheiligem Takte die Schläge der Drischeln, während vor den Häusern die Flachsbrech’ klappte, und hie und da die Schafe blökten, die auf den überfrorenen Hängen genügsam herumgras’ten. Anderwärts waren Leute beschäftigt, einen Rest Grummet, der noch im Freien geblieben, an die Heuhütten heran zu bringen, die, auf schmalem Unterbau stehend, sich nach oben gleichmäßig erweitern und ausladen, daß sie das Aussehen haben, als wären es kleine, von einer ungeheueren Fluth auf den Bergrücken zurückgelassene Fahrzeuge; wieder an anderen Orten war man emsig daran, Dünger auf die Rasenhänge zu breiten, wenn sie auch mitunter so steil sich absenkten, daß es der Steigeisen bedurfte, um sich daran zu erhalten.

Im Hause des Bühelbauern am Schwarzeck war die erste Lege von Getreid’ durchgedroschen und die Ehhalten saßen in der schönen geräumigen Wohnstube um den mit grobem Linnen gedeckten Tisch, auf welchem die Schüssel mit Milchsuppe dampfte. Knechte und Mägde saßen durcheinander auf den Bänken und führten tapfer die Blechlöffel zu Schüssel und Mund, unter Späßen, Gelächter und Neckereien, wie die Arbeiten des Tages, Jahreszeit und Persönlichkeiten Anlaß gaben. Auch Evi war unter den Mägden, aber sie mischte sich nicht in das Gespräch und warf besorgte Blicke auf das Gesicht der Bäuerin, welche wohl mit am Tische saß, aber nach den ersten Bissen den Löffel weggelegt hatte, weil ihr gar so letz (übel) sei. Dann sah sie noch befremdeter nach dem Platze des Bauern, der ganz gegen seine Gewohnheit an der Morgensuppe nicht Theil nahm.

Auch ihr gegenüber war eine Lücke in der fröhlichen Reihe; sie vermißte Mentel’s dunkle Augen, die ihr sonst mit fragenden und betheuernden Blicken gar viel zu schaffen machten.

Die Bauerin war ein kleines, schwächlich aussehendes Weibchen; sie war, wie man das so häufig an Bauersfrauen findet, vor der Zeit gealtert; sie hatte das Aussehen, als habe sie sich überarbeitet und ausgearbeitet und als sei keine Kraft mehr zurückgeblieben, um den Körper frisch und rege zu erhalten für die Zeit, wo Ruhe Bedürfniß und Belohnung zu werden beginnt. Das schmale Gesicht war blaß und faltenreich und von grauschimmernden Haaren umgeben; es trug das Gepräge der Schlaffheit und der Ermüdung – nur in den blauen Augen glänzte ein Frauengemüth, dessen Reichthum an Liebe und Güte unversehrt geblieben war.

Ein Bild von ganz anderer Art bot der Bühelbauer, eine große und doch gedrungene Gestalt, welcher das Alter wohl äußerlich seine Spuren aufgedrückt, innerlich aber dessen Kraft höchstens starrer gemacht, doch nicht gebeugt und gebrochen zu haben schien. Wenn man sich die breite, vortretende und kahle Stirne statt des schmalen Silberkränzchens mit Mentel’s krausem, dunklem Gelock umgeben dachte, so hatte man in dem Vater das nur wenig gealterte, nur leicht verschärfte Ebenbild des Sohnes vor sich. Er saß seitwärts an einem kleinen in die Ecke geschobenen Tischchen, das zum Schreiben eingerichtet war; ein gläsernes Schreibzeug, einige langbärtige Federn und einige Bogen Papier zeugten ebenso davon, als das darüber angebrachte weißgehobelte Bretchen, auf welchem Bücher lagen und unter einigen Schreibereien sogar ein Stängen Siegellack hervorsah. Der Alte hatte einen Bogen Papier in der Hand, welchen die Form und das Siegel daran als einen landgerichtlichen Erlaß bezeichneten, aber obwohl er den Blick fest auf die Schrift richtete, waren seine Gedanken doch mit anderen Dingen beschäftigt; vergaß er doch, seine Nasenbrille aufzusetzen, ohne welche er nur höchst schwer und unvollständig zu sehen und zu lesen vermochte.

„Solltest dich auch hersetzen und einen Löffel Suppe mitessen,“ sagte die Bäuerin und unterbrach den Knecht, der eben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_209.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)