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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Nachdem ich Garibaldi auf sein Zimmer gebracht, holte ich ihm verschiedene Sachen zum Vorlesen herunter. Zuerst die Antwort an die Leipziger, die er, sowie verschiedene zu Andenken an Freunde bestimmte Photographien, unterschrieb. Nachher las ich ihm eine wörtliche prosaische Uebersetzung des Aspromontegedichtes von Georg Herwegh vor, die ich selbst angefertigt; eine italienische Uebersetzung in Versen hatte ich noch nicht erlangen können. Garibaldi bedauerte, nach meiner schlechten Version die dichterischen Schönheiten des Originales nicht vollständig genießen zu können. Ganz außerordentlich aber sprach ihn die Einleitung zu der bei F. Streit in Coburg erschienenen Uebersetzung der „Stimme aus dem Gefängnisse“ an. Bei deren Vorlesung unterbrach mich Garibaldi mehrere Male durch lebhafte Bravos.

Nach dem Essen machte ich zuerst unter Führung Fruscianti’s einen Besuch in dem Stallgebäude, welches das Oratorium genannt wird. Auf der Nordgrenze des Hofraums, dessen ganze Westseite das Hauptgebäude einnimmt, liegt außer dem Stalle, zwischen ihm und dem Wohngebäude, ein kleines eisernes Haus, aus England gesendet, in welchem jetzt Bassi sein Bureau und seine Wohnung aufgeschlagen hat. Dieses eiserne Haus war der nächste Vorläufer des älteren Steinhauses, aber schon der dritte Bau auf dem Gebiete Garibaldi’s; voraus ging ihm ein kleines hölzernes Haus, welches auf der Südgrenze des Hofraumes noch steht, durch den Garten und ein Stück Hof von dem großen Wohngebäude getrennt. An derselben Stelle stand vor diesem Holzbau der erste Bau des garibaldischen Caprera, ein Zelt. Den östlichen Abschluß des Hofes, parallel dem Wohngebäude, bilden wieder Mauern und Zäune.

Nach meinem Besuche im Oratorium verließ ich mit Bruzzesi, Albanese und Fasoli, sowie einem der Jagdhunde den Hof durch das südliche Thor zwischen dem Garten und dem Holzhause, um einen weiteren Spaziergang durch die Insel anzutreten.

Wir kamen zuerst auf die Wiese, welche südlich an den Hofraum anstößt und auf welcher die beiden gegenwärtig allein auf der Insel befindlichen Pferde sich vergnügten, die Marsala, welche der General bei Calatasimi ritt, und deren Sproß, das Füllen Caprera, auf der Insel selbst geboren, ein allerliebstes Thier, welches sofort eine intime Bekanntschaft mit mir schloß, mich küßte und mir, als wir weitergingen, folgte, um mir den Hut vom Kopf zu stoßen.

Als wir ostwärts zwischen den Büschen die nächste Felsrippe überstiegen hatten, bemerkten wir die von einigen Rübenfeldern eingefaßte Hütte eines der Einwohner Capreras, welche vor der Ansiedelung des Generals sich dort niedergelassen, Ferracciuolo; die Signora Ferracciuolo war beschäftigt Wasser zu schöpfen.

Die Passage der Hütte Ferracciuolo’s gab Veranlassung zur Entwicklung der Bevölkerungsstatistik von Caprera, von welcher ich das Wesentlichste erfuhr. Außer Garibaldi und den Seinen und den Ferracciuolo bewohnen Caprera noch drei Familien oder einzelne Männer, die Familie Sonza, der Isolano und il Pastore, der Hirt einer englischen Dame, welche früherhin den größten Theil Capreras besaß und von der auch Garibaldi seinen Theil erworben hat. Die Dame wohnt gegenwärtig Caprera gegenüber auf Maddalena. Der älteste Bewohner der Insel zählt 98 Jahre; gestorben ist, soviel man weiß, auf der Insel noch kein Mensch.

Als wir zurückkehrten, fanden wir einen Maler, Stefani, und eine von den Mailänder Damen für den General bestimmte Haushälterin vor, welche auf der Sardegna gestern mit uns angekommen und nun bei dem ruhiger gewordenen Wetter von Maddalena herüber gefahren waren. Herr Stefani, von einem Engländer mit der Aufnahme verschiedener Ansichten der Insel beauftragt, suchte sich sofort Aussichten und Standpunkte, und auch die Haushälterin war schon bei ihrem Werke. Sie kramte in den Wäscheschränken. Die Bewohner des Palazzo Garibaldi schienen mir von dem vermutheten Wirken der Haushälterin nicht besonders erbaut. Die Betten, meinten sie, machten sie sich selber, ebenso könnten sie die Wäsche besorgen; wenn etwas zu flicken wäre, so sei Fasoli da, und zu plätten gäbe es nichts. Wozu also diese Unruhe in’s Haus bringen? – Die Glücklichen!

Wir mochten unsern Spaziergang durch die Insel um halb zwei Uhr angetreten haben, und bald nach vier Uhr waren wir zurück. Da erst um sechs Uhr das Essen zu erwarten war, ermunterte ich Fasoli, mich noch auf einem kleinen Spaziergange an die Küste zu begleiten. Wir folgten der großen „Fahrstraße“, welche vom Palazzo Garibaldi in nördlicher Richtung an die Küste führt und zwar zu dem sogenannten Hafen, einer Bucht, welche die Verlängerung einer Schlucht ist, in der ein Gebirgswasser – wenn es Regen giebt, hinabfließt. Seitwärts der Fahrstraße liegen einige Stücke Land, welche der General eingehegt und in Cultur genommen hat. Am Wege steht eine Doppelreihe junger Cypressen, welche Garibaldi hier angepflanzt. Am Hafen steht ein kleines Gebäude, welches das Seearsenal der Insel bildet und zur Aufbewahrung des Segelwerks und der sonstigen Ausrüstung der verschiedenen Boote und Barken dient, aus denen die Flotte von Caprera besteht. Ich zählte deren augenblicklich vier, unter denen sich das große und vortreffliche Boot Menotti’s auszeichnet.

Am 17. Morgens eröffneten wir nach dem Kaffee trinken unsern Tag mit Ackerbauarbeiten. Ich machte mich mit Fasoli und Bruzzesi an das Umhacken des Gartens, die Andern, außer Fruscianti, der im Seearsenal zu thun hatte, und Bassi, der mit der Abfassung zum großen Theil für mich bestimmter Depeschen beschäftigt war, zogen auf eines der Feldstücke gegen die Nordküste hin, um dort dieselbe Arbeit vorzunehmen, welche wir im Garten betrieben. Herr Stefani zeichnete. Ich machte zwischendurch noch einen Spaziergang an den Strand. Am Mittag setzten wir unsere Arbeiten fort, diesmal im Beisein des Generals, der sich draußen in den freundlichen und warmen Sonnenschein setzte, in Gesellschaft des arbeitsunfähigen Sgranalini, der nun auch herübergekommen war. Unter Andern verpflanzten wir heute, an der Fastnacht, einen Mandarinen- und einen Orangenbaum aus den Töpfen, in denen sie bisher gestanden, in den Garten; für den ersteren bereitete ich die Erde nach der Art zu, wie man den Plackboden bereitet. Garibaldi machte mir über meine agronomische Thätigkeit Complimente.

Bei dieser Gelegenheit muß ich bemerken, daß er über die Wetter- und Temperaturverhältnisse der Insel Buch führt. Aus seinen Aufzeichnungen ergab sich, daß die Nacht vom 16. auf den 17. Februar im bisherigen Verlauf des Jahres 1863 die kälteste gewesen war. Das Thermometer hatte + 10 Grad Celsius gezeigt.

Am Nachmittage stattete Capitain Cuneo, ein Freund Garibaldi’s, ihm einen Besuch ab und lud ganz Caprera zu einer Fastnachtssoirée ein. Da das Wetter viel ruhiger geworden war, so stand zu erwarten, daß die Sardegna am Mittwoch Morgen von Porto Torres zurückkehren werde, und da ich keine Zeit zu verlieren hatte, so ward beschlossen, daß ich noch diesen Abend nach Maddalena hinübergehen sollte. Ich packte demnach meine kleine Bagage zusammen, empfing meine verschiedenen Aufträge von allen Seiten und nahm herzlichen Abschied vom General. Dann schiffte ich mich mit Menotti, Bedeschini und Pastoris nach Maddalena ein, und so war mein Besuch auf Caprera beendet.




Die Uhr von Goethe.

Ein halbes Jahrhundert war verflossen, seitdem Wolfgang Goethe in Weimar wohnte, wohin Karl August ihn 1775 aus Frankfurt entführt hatte. Das glücklichste Leben eines Weisen und Dichters neigte sich bereits seinem Untergange zu, in ruhiger Pracht, wie die Sonne am reinen Horizont niedersinkt. Fünfzig Jahre waren es her, daß die Dichtungen des „Götz von Berlichingen“ und des Werther die Stirn des deutschen Apoll mit Lorbeeren bekränzt hatten, die in unvergänglicher Frische erhalten und mit zahlreichen neuen Blättern vermehrt waren. So lange der brave thüringische Herzog sein kleines, liebliches Land beherrschte, so lange war sein Freund, mit dem er als Jüngling getollt und gereist und mit dem er als Mann gedacht und regiert, der unbestrittene Gebieter der mit ihm erstandenen glänzenden Republik der deutschen Literatur. Goethe, im weimar’schen Ländchen als der mächtigste Herr außer dem geborenen Fürsten betrachtet, war in ganz Deutschland und weit darüber hinaus als der vornehmste und erste der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_238.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)