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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Vergebens sann er darüber nach. War es das Wiedersehen der lieben langentbehrten Bergwelt, die den warmherzigen Verehrer und Freund geistig in die Arme preßte? – War es das Wiederfinden jenes eigenthümlichen Mädchens, der Sennerin vom Scharten-Kaser, deren liebliche Züge ihm selbst in den Zerstreuungen der Stadt nicht wieder aus der Seele geschwunden waren? Hatte ihn das Schicksal des armen Burschen so sehr erweicht, mit dem er den heitern Abend in der Almhütte verlebt hatte? Er fand es nicht aus und war eben wieder in der Nähe des Wirthshauses am Stein angekommen, als er an der gegen die Wiesen gewendeten freien Seite desselben eine Gestalt in weißen Hemdärmeln bemerke, in welcher er Evi zu erkennen glaubte. Rasch schlug er den schmalen Wiesenpfad ein und stand, ehe er bemerkt worden war, neben dem Mädchen, das vor einem kleinen Bildstöckchen kniete. Der Stock trug ein roh gemaltes, kaum mehr kenntliches Bild der armen Seelen, die in den Flammen des Fegefeuers sitzend dem Verübergehenden die gerungenen Hände entgegen strecken, um ein Vaterunser zu erbitten als Labsal in ihrer Feuerpein und ihm zum Dank dafür das darunter um einen Todtenkopf angemalte Sprüchlein zuzurufen:

„Ich bin einmal gewesen das, was Du heute bist;
Was ich bin, wirst Du werden – geh’ zu, mein lieber Christ!“

„Grüß Gott, Evi!“ sagte Reinthaler herzlich, während sie sich erhob und mit niedergeschlagenen Augen und beklommener Stimme den Gruß erwiderte. „Ich wollte Dich schon vorhin anreden,“ fuhr er fort, „aber ich habe die Wirthin nach Dir rufen und zanken gehört, und da ich weiß, daß sie ein strenges Commando führt, unterließ ich es, um Dir nicht Verdruß zu bereiten. …“

„Ich bin jetzt fertig mit der Arbeit,“ erwiderte sie, „es ist einen Augenblick Ruh’, d’rum bin ich da heraus und hab’ frische Luft geschöpft. …“

„Und für die armen Seelen gebetet – nicht wahr?“

„Ja wohl,“ rief sie mit ausbrechenden Thränen, „für eine gar arme, arme Seel’! O mein Herr Reinthaler, was ist der Mensch für ein heutiges Geschöpf. … Sie sollten ein Bild malen davon! Wie kurz ist die Zeit, seit Sie bei mir ein’kehrt sind im Scharten-Kaser, und wie hat sich Alles verändert seitdem!“

„Leider ich habe davon gehört. Und auch Dich treffe ich hier, in beschränkten, offenbar nicht angenehmen Verhältnissen und nicht als frische Sennerin auf frischer, grüner Alm?“

„Das ist wohl vorbei für alle Zeit,“ sagte sie traurig. „Ich werd’ wohl da auch nit bleiben und den Weg wieder unter die Füß’ nehmen … vielleicht find’ ich in der Stadt einen Platz, ich hab’ ein weitschichtiges Basl in München. …“

„Und glaubst Du Dir dort zu behagen?“ fragte der Maler, indem er neben Evi dem Hause zuschritt. „Ich hab’ es ganz anders im Sinn. Ich habe bisher das ganze Jahr in der Stadt gelebt; der Besuch der Kunstsammlungen, die Anregung des Umgangs mit Freunden schien mir unentbehrlich, und nur einige Monate brachte ich auf dem Lande zu, meine Naturstudien zu machen. Jetzt habe ich es gerade umgekehrt vor: ich will von nun an ganz auf dem Lande wohnen und bleiben und nur im Winter einige Wochen in die Stadt gehen zu Gallerien und Genossen – ich will mich ganz der Natur an’s Herz werfen, in diesen Bergen leben und mich in ihnen begraben lassen…“

„Da wird’s viel schöne Gemäl’ geben,“ meinte Evi.

„Gott geb’ es. Eines liegt mir sehr am Herzen – es ist der hohe Göll mit diesem Thal bei Sonnenuntergang. Das Bild ist schon fast fertig und ist schuld, daß ich heuer etwas früher kam, als sonst; ich wollte dem großen Künstler da oben erst noch einige Farbentöne ablauschen.“

„Es ist schad’, daß unser Eins das nit zu seh’n bekommt!“

„O, Du kannst es seh’n, Evi! Ich wohne keine Viertelstunde weit, drüben in der Schönau, wo ich mir ein Bauergütchen gekauft habe und mir ein recht freundliches Heim bereiten will. Komm’ nur und besuche mich – ich möchte Dich ohnehin gern malen und Deinen Kopf für ein Bild benützen.“

Evi erwiderte nichts, aber sie schritt hastiger vorwärts. „Du sagst nichts?“ fragte er. „Ich verstehe Dich – mein Antrag hat Dich verletzt; aber sei unbesorgt, Du kannst ohne Scheu zu mir kommen – ich werde heirathen…“

„Da thun Sie Recht daran – ich wünsch’ alles Glück. …“

„Ich glaub’ es und danke Dir. Und Du fragst nicht einmal, wen ich heiraten will?“

„Ich werd’ die Fräule doch nit kennen…“

„Doch – Du kennst sie; es ist kein Fräulein. Ich will auf dem Lande und nur der Natur leben, die ich nachzubilden trachte – in so einfache Verhältnisse paßt keine Städterin mit ihren Ansprüchen. Ich habe mir ein Landmädchen ausgesucht – kurz, ich will Dich heiraten, Evi – wenn Du mich willst!“

Sie blieb stehen und schlug die mächtigen blauen Augen fest zu ihm auf. „Sie sind kein Solcher,“ sagte sie schmerzlich, „der eine Fopperei treibt mit einer so ernsthaften Sach’ … für was soll ich also eine solche Red’ nehmen? Ich bin eine ungelehrte Bauerndirn’, arm wie eine Kirchenmaus, – die man nur so aus Gottes Gnad’ und Barmherzigkeit mit fortkommen laßt … die gar nichts hat, gar nichts – nit einmal ein’ ehrlichen Namen!“

„Dein Stand, Deine einfache Natürlichkeit ist es, was mich zu Dir führt,“ erwiderte Reinthaler. „Deine Armuth kommt nicht in Betracht; was ich verdiene und habe, genügt für Beide … das Andere – was man Dir nachredet, habe ich wohl gehört – aber es stört mich nicht, denn ich glaube es nicht.“

„Ist das wahr?“ rief Evi mit einem Tone, der aus dem tiefsten Herzen kam, und hatte im Augenblick seine beiden Hände zwischen die ihrigen gefaßt. „Ist das wirklich wahr?“

„Gewiß – Deine Augen, Deine Stirne können nicht täuschen und ein beflecktes Bewußtsein bergen! Du selbst bist mir Bürge für Dich! Zeitlebens bin ich bestrebt, die Geheimschrift zu enträthseln, die Gott in seiner ewig herrlichen Natur geschrieben hat, und sollte diese wenigen durchsichtig klaren Züge mißverstehen?“

„O, das thut wohl … das ist wie ein frischer Trunk Wasser …“ stammelte Evi und beugte die weinenden Augen auf die Hände des Malers.

„Und Du willigst ein?“ sagte er, indem er sie sanft an sich zog und einen leichten Kuß auf ihre Stirne drückte. „Du sagst Ja?“

Sie wehrte ihn ab, richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „Nein, Herr Reinthaler,“ sagte sie fest, „es wär’ wohl ein großes Glück für mich, ein Glück, wie ich’s gar nit werth bin, – aber ich will gar nit heirathen – ich will ledig bleiben. …“

„Du bist nicht klug,“ erwiderte Reinthaler lächelnd. „Welchen Grund hättest Du dazu? Glaube mir, ich verlange nicht, daß Du gleich Feuer und Flamme sein sollst für mich – aber ich meine, Du sollst gut fahren mit mir und mich lieb gewinnen, wenn Du mich nur erst näher kennst und wenn … das ist allerdings ein bedenkliches Wenn! – wenn Du nicht schon einen Andern lieb hast. … Sei aufrichtig, Mädchen – ist das der Grund?“

„Ich will’s sein,“ sagte sie fest. – „Sie haben’s errathen. …“

„Und dieser Andere? Wirst Du ihm je angehören können? Wirst Du ihn heirathen?“

Evi schüttelte nur den Kopf; reden konnte sie nicht.

„Und dennoch?“

„– Er ist im Elend … er kann mich vielleicht noch einmal brauchen – ich will aushalten bei ihm!“

„Ich verstehe Dich,“ sagte Reinthaler weich, „und danke Dir dafür. …“

„– Und Sie sind mir nit bös derentwegen?“ flüsterte sie durch Thränen.

„Wie könnt’ ich! Ich ehre das schlichte Herz, das zart genug ist, den einen Eindruck, dem es sich geöffnet, für immer zu bewahren. … Komme, was da will, – sei überzeugt, Du wirst immer einen treuen, brüderlichen Freund an mir haben! …“

Schweigend und Hand in Hand erreichten sie das Haus, aus welchem ihnen die Töne eines neubeginnenden Ländlers entgegen schallten. „Wir wollen für heut’ von etwas Anderem, von heitern Dingen reden,“ unterbrach Reinthaler die Stille. „Warum tanzest Du nicht, Evi? Ist das auch gegen die Treue für Deinen unglücklichen Schatz?“

„Mir ist nit tanzerisch,“ sagte sie, „und wenn’s wär’, von den Burschen tanzt Keiner mit mir … Sie wissen ja warum!“

„Dann tanze ich mit Dir.“ rief der Maler, „sie sollen es Alle sehen und sich schämen! Gieb mir Deine Hand, Evi – wenn auch für’s Leben, aber für den Tanz darfst Du sie mir so wenig verweigern, als damals auf dem Scharten-Kaser!“

Mit einem Anfluge seiner sonstigen freundlichen Laune führte er das nur schwach widerstrebende Mädchen die halbdunkle Stiege hinauf in den großen Vorplatz, der trotz holperigen Bodens und niedriger Decke zum Tanzsaale diente. An den weißen Kalkwänden

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