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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Lauter Witz, Leben, Scharfsinn, substantiellste, mir ganz neue, bezaubernde Wissenschaft, welche ganze Welten von Vorurtheilen und Staatsdoctrinen zertrümmerte und ein Völkerleben des Friedens, der Freiheit, des Wohlstandes und der Bildung eröffnete, wie es keine politische Partei je zu hoffen und zu versprechen gewagt. Und aus diesem Vereine gingen die Zeitungsartikel und Broschüren hervor, welche wirklich und wahrhaftig den Grund zu der volkswirthschaftlichen Massenbildung legten, die jetzt anfängt, Staaten zu regieren und alle schöpferischen Kräfte der Völker für einander zu erlösen.

Es waren die glücklichsten Abende meines Lebens. Die ganze Welt wurde mir neu geschaffen und jedes Ding darin in einem neuen, schöneren, kosmopolitischen Lichte gezeigt. Ich erwähne das, weil ich weiß, daß es den Meisten, die sich um Volkswirthschaft nicht sonderlich gekümmert haben und Faucher zum ersten Male reden hören, wie dies neuerdings Tausenden passirt sein muß, ganz ebenso geht. Es sagen zwar hinterher Manche, es war Schwindel, Sophistik mit viel Phantasie und kecker Behauptung, aber sie werden’s nicht wieder los und bemühen sich hernach vergebens, in den gemüthlichen Zustand ihrer Froschperspective zurück zu sinken.

Faucher und der dicke Stein schrieben damals besonders für den „Altvater“ der Handelsfreiheit, die Börsen-Nachrichten der Ostsee. Aber das war Alles nichts gegen das lebendige Wort. Faucher ist seitdem immer Journalist gewesen. Aber Faucher ist weniger Schriftsteller. Faucher muß reden. Dann ist er immer ein Gott, der um und um beschwingte Gott Mercur, dem Minerva und die Musen willig dienen und vor welchem sogar der ungeschlachte Schlachtengott Mars die Honneurs macht und hinter dem abgenommenen Helme flucht, daß er nichts Gescheidtes gelernt habe, um sich davon, wie andere anständige Leute, selbst nähren zu können.

Wir wollen die schriftstellerischen Verdienste Faucher’s durchaus nicht über die Achsel ansehen, sondern meinen nur, daß sie gegen sein lebendiges Wort zurücktreten. Als Redacteur der Stettiner Börsen-Nachrichten von 1846 an wurde er mit seiner Feder allerdings bedeutend genug: er fegte damit ganz Norddeutschland rein von den Ueberresten schutzzöllnerischer Feiglinge und Bettler, die nicht „bestehen“ zu können vorgeben, wenn der Staat keine Armeen an den Grenzen zum Schutze gegen bessere und billigere Waare des Auslandes aufstellt und alle Inländer zwingt, die schlechtere Waare allein zu kaufen und mit jeder Elle Kattun, jedem Viertelpfund Zucker etc. ein Almosen an die Fabrikanten zu zahlen.

Aber er fegte mit der Feder nur in bereits volkswirthschaftlich gebildeten Köpfen. Er kann oder will nicht populär schreiben. Dagegen giebt es nichts Faßlicheres und Fesselnderes als sein lebendig Wort. Er fängt ganz ungenirt und ohne Phrase, ganz leicht und spielend mit irgend einem alltäglichen Dinge an, das Jedem vor der Nase liegt und bekannt ist. Mit einem Satze, einem Blitze zeigt er dann eine allgemein gültige, volkswirthschaftliche Wahrheit ganz handgreiflich, und Jeder wundert sich, daß er sie bisher nie sah. Nun sieht’s auf einmal Jeder, nun packt er’s und ist ganz glücklich darüber und horcht mit gespanntester Aufmerksamkeit, wie der Redner, wie der kecke, gedrungene, flinke Sprecher ohne alle Rednerei spielend, mit dünner, etwas heiserer, nicht einmal wohlklingender Stimme allen Rednerpomp Lügen straft und in ganz gemeinen, kleinen Alltäglichkeiten Gesetze und Wahrheiten nachweist, die sich unerbittlich über die ganze Erde hinweg geltend machen und Jeden bestrafen, der sie verletzt, und Jedem wohlthun, der sie frei walten läßt. In dieser eigensten Specialität macht’s ihm Keiner nach, obwohl wir die jahrelang fortgesetzte, auf einem bestimmten Gebiete verharrende, jetzt mit jedem Tage siegreichere praktische und volksrednerische Thätigkeit eines Schulze-Delitzsch viel höher stellen. Faucher wirke auch in Stettin durch das lebendige Wort im Freihandels-Verein und in Privatkreisen viel rascher und durchgreifender, als mit der Feder. Stettin ist eine bombenfeste Freihandelsstadt geworden.

Die politischen Kämpfe von 1848 scheinen ihn wenig oder nur unangenehm berührt zu haben: politisches Parteigezänk hatte keine Ohren für die staatswirthschaftlichen Bedingungen wahrer und wirklicher Freiheit für alle Menschen über politische Grenzen des „Zwangsstaates“ hinaus. Er ging in die Paulskirche, nicht um einen Kaiser machen zu helfen, sondern die „Tariffragen“ zu bewachen. Später finden wir ihn thätig, um einen Kongreß der Handelsstädte für Vertretung volkswirthschaftlicher Bildung zu Stande zu bringen. Er agitirte dafür in Hamburg und Bremen und vertrat auf dem Kongreß selbst Elbing.

Als der militärische „Zwangsstaat“ in Berlin und Frankfurt aller Volksvertretung und Volkswirthschaft mit Säbeln und Bajonneten ein Ende gemacht und den noch nicht beendeten Bürgerkrieg gegen Natur- und Menschenrechte als „Staatsrettung“ gegen die Interessen, von denen dieser Staat lebt, begonnen hatte, kam Faucher nach Berlin zurück und erklärte dem ganzen Principe des „Zwangsstaates“ den Krieg durch Gründung der „Berliner Abend-Post“. Auch die größten Feinde dieser radicalsten und zugleich friedlichsten aller Zeitungen, die je in der Welt erschienen sind, können, wenn sie sonst nur gebildete Menschen sind, ebenso stolz auf diese Erscheinung sein, wie auf deren philosophischen Vorgänger, die Halleschen und Deutschen Jahrbücher von A. Ruge. So etwas war eben nur auf Grund der abseitigsten und tiefsten wissenschaftlichen Bildung und Kritik möglich, und die Abend-Post nur in Berlin, wo die absolute Kritik dem absoluten Zwangsstaate in’s Gesicht ihre Feste und Siege gefeiert hatte und nun durch die Abend-Post alle Positionen in allen Stadien der alltäglichen Wirklichkeit zergliedert und zersetzt wurden.

Wir widerstehen der Versuchung, diesen kritisch-volkswirthschaftlichen Radicalismus hier erklären zu wollen. Nur so viel, daß er nichts weiter verlangte, als ehrliche, volle Freiheit in Angebot und Nachfrage, in Production und Verwerthung aller Bedürfnisse und Lebensbefriedigungsmittel, also z. B. in Bezug auf den Staat selbst und seine Zwangsmittel für Selbsterhaltung, daß nur der für den „Staat“ bezahle, der ihn brauche, und je nach Leistung und Gegenleistung, und nur der zum Militärbudget beitrage, der für geleistete Soldatendienste nach dem Marktpreise etwas schuldig geworden sei. Man müsse sich Staat, Soldaten etc. je nach Bedürfniß kaufen können, etwa von Compagnien, die uns ja auch je nach Bedürfniß mit Gas, Wasser, Kohlen etc. versorgen.

Dies sieht, so plötzlich in den Zwangsstaat hineingestellt, mehr komisch als gefährlich aus; aber es ist weder das Eine, noch das Andere, wie wir das Princip in einzelnen praktischen Richtungen ja bereits in England sehr ruhig, wohlthätig und großartig wirken sehen. –

Die Abend-Post wird als besonderes Organ des volkswirthschaftlichen Radicalismus und somit als eine vorher kaum geahnte, geschweige versuchte wissenschaftliche Schöpfung eine ewige Merkwürdigkeit bleiben, wenn auch nur als Curiosität der Presse, wiewohl ich für meinen Theil immer noch hoffe, daß er später einmal die Menschheit wirklich von aller „Zwangsstaaterei“ erlösen werde. Die Abend-Post erschien im „Bullenwinkel“, dicht am Hausvoigtei-Platz, wo die Redacteurs und Mitarbeiter Abends „kneipten“. Das waren glückliche, geniale Abende, obgleich bald Dieser, bald Jener vermißt und als ausgewiesen oder eingesteckt gemeldet ward. Dabei fürchteten wir uns weder vor Hinckeldey, noch Manteuffel und meinten, wir würden sie unbedingt überleben, wie’s denn auch wirklich gekommen ist. Verbot, Confiscation, Postdebits-Entziehung, Ausweisung, Preß-Processe, Gefängniß – darauf waren stets Alle gefaßt, und namentlich mich empfingen sie Abends oft mit Vorwürfen, daß ich noch nicht eingesteckt oder über die Grenze gebracht sei. Aber ich kam nur einige Monate später in England an, als die beiden Abend-Postillons Faucher und Meyen.

Sie waren wegen Postdebits-Entziehung und mehrerer eingeleiteten Preß-Processe 1850 hinübergegangen. Ich folgte ihnen im Mai 1851 auf einem Hamburger Schiffe, wo die damals österreichische Polizei in Hamburg mich und zwei ungarische Officiere vergebens gesucht hatte, da wir zwischen zwei Schafheerden auf dem Deck unter Stroh staken.

Der Erste, der mir in London von alten Berliner Leidens- und Freudensgenossen entgegenkam, war Faucher. „Kommen Sie morgen früh nur gleich in die Redaction und fangen Sie an!“ sagte er. „Vorläufig giebt’s nur 25 Schillinge wöchentlich, aber Sie können leicht mehr verdienen.“

Er saß schon mitten in der gewaltigsten Arbeit als Berichterstatter über das damalige Weltereigniß, den ersten kosmopolitischen Tempel der volkswirthschaftlichen Religion, die große Ausstellung. Dazu hatte er eine deutsche Ausgabe der „Illustrated London News“ begründet und alle möglichen literarischen Kräfte dafür engagirt. Unter diese führte er mich gleich den folgenden Morgen ein. Leider wurde sie durch das Ungeschick eines ganz unfähigen Redacteurs noch vor Beendigung der Ausstellung verdorben.

Wir kletterten an diesem ersten Tage in London auf den „Top“ eines Omnibus und fuhren nach seiner Privatwohnung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_268.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)