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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

gegen Quasi laut, denn es ging von Mund zu Mund, wie Niemand Anderer den Tod des Mädchens auf dem Gewissen habe und wie wohl er thue, sich nirgends sehen zu lassen, denn von Seite des Volkes wenigstens würde ihm die Vergeltung nicht ausgeblieben sein.

– Schon waren die Worte und Gebräuche der Aussegnung vorüber und man wollte eben aufbrechen, als eine Bewegung in der Menge entstand und der alte Müller, der zu Hause entronnen war, sich gewaltsam durchdrängte und heulend über den Sarg warf … „Kordel …“ schrie er mit herzzerreißender Stimme, und die unsägliche Gewalt seines Schmerzes gab ihm sogar für einige Augenblicke die Fähigkeit, sich frei zu bewegen und aufzurichten, wieder. „Kordel mein! Komm wieder … ich laß Dich nit her … o Kordel … mein Kind …“ Alle standen erschüttert und bemühten sich vergebens, den Unglücklichen zu beruhigen oder zu entfernen; es gelang erst, als die gewaltsame Anspannung der Leidenschaft nachließ und er wieder in den frühern Zustand blöder Gleichgültigkeit versank und sich ohne Widerstreben wegbringen ließ.

Der kleine Friedhof der Ramsauer Kirche war zu eng, in seiner Ummauerung den ganzen Zug der Leidtragenden aufzunehmen. Evi ging hinter dem Sarge, als erste Klägerin; sie hatte sich ausgeweint und brachte nichts mit an das offene Grab der Freundin, als ein stummes im Leide fast brechendes Herz. Die Mutter lag krank in der Ledermühle und unfähig sich zu erheben. Auch Mentel’s Vater, der strenge Bühelbauer, fehlte nicht unter dem Todtengeleite; ihm zur Seite ging der Brigadier in straffer soldatischer Haltung, aber die Oberlippe mit dem mächtigen Schnurbart verrieth durch ihr Zucken seine innere Bewegung. Unter lautem Schluchzen wurde der Sarg versenkt, und die Thränen der Weiber und Mädchen flossen noch reichlicher, als der Vicar seine Anrede begann und die Trauernden zum Trost und zur Erhebung ermahnte und ihnen verkündete, daß die Berge um sie herum nicht fester ständen, als das Wort des Herrn, der versprochen habe, daß ohne sein Wissen kein Haar vom Haupte des Menschen fallen solle! Jedes Einzelne trat dann hinzu, um der Begrabenen mit einer Schaufel voll Erde den Wunsch ewiger Ruhe hinabzuschicken; dann ward das Grab eingefüllt, der Hügel leicht geformt und das Kreuz auf denselben gesteckt. Es trug Namen, Alter und Sterbetag, und erzählte in schlichten Worten die Todesart; über dem Weihbrunnkesselchen war noch ein besonderes Schildchen angebracht; der Lehrer, der in der Reimerei so wohl bewandert war, als im Malerhandwerk, hatte es eigens selbst gefertigt und hinzugefügt. Auf dem Schildchen war eine schöne blühende Rose gemalt, deren Stengel geknickt war, daß sie den Kopf zur Erde senkte. Darunter stand die Inschrift:

„Wie schön ist nicht die Rosenblüh’,
Stell’ Dich nur vor mich her,
Denn kommst Du wieder morgen früh
– Leicht findst Du mich nit mehr!“

Nach und nach ward es stiller und leer auf dem Kirchhof – nur die Mauer entlang schlichen noch ein paar Mütterchen, um nach Gräbern umzusehen, an deren Bewohner niemand mehr gedachte, als sie. Der Brigadier verweilte noch vor Kordel’s Grab, und nebenan bei einem auch erst unlängst aufgeschütteten Hügel stand der Bühelbauer, bleich und mit kummergebeugtem Nacken, und schien sein Weib um die sorgenlose Ruhe da drunten zu beneiden. Sie war mit den Blättern im Herbste gefallen, wie sie geahnt hatte – aber sanft und schmerzlos, denn Evi’s Botschaft vom Sohne hatte sie getröstet.

Auch Evi war noch in der Nähe und schritt der kleinen Capelle zu, die an der Mauer gegen die Kirche hin erbaut ist und damals zum Beinhause diente, denn unter dem Altare waren in einem vergitterten Behältniß Knochen und Schädel aufbewahrt, deren einstige Namen auf den unkenntlich gewordenen Stirnen beschrieben standen. Es war Evi nicht entgangen, daß, während die Aufmerksamkeit Aller auf Grab und Begräbniß gerichtet war, in der Capelle ein Männerkopf mit wüstem dunklem Haar sichtbar geworden, den sie nur zu wohl erkannte. Der Bursche wagte sich offenbar nicht aus seinem Versteck hervor und wollte doch Zeuge der traurigen Handlung sein; darüber tauchte in Evi’s Gemüth ein so tiefes inniges Mitleiden auf, und so abgeneigt sie ihm war, als demjenigen, der alles Leidwesen und selbst den Tod der Freundin verschuldet hatte, vermochte sie es doch nicht, so ganz gleichgültig und theilnahmlos an ihm und seiner Verlassenheit vorüberzugehen.

„Versteck’ Dich nit, Quasi,“ sagte sie, in die Kapelle eintretend, „ich hab’ Dich schon gesehen und es ist nur Deinetwegen, daß ich komm’ …“

Er hatte sich in den hintersten Winkel auf eine Betbank gekauert. „Laß mich gehen,“ murrte er. „Was willst von mir? Du kannst mir doch nit helfen …“

„Wer weiß!“ sagte sie nähertretend und herzlich. „Man muß niemals nit verzweifeln!“

„Für mich giebt’s nur noch Eins auf der Welt,“ erwiderte er dumpf. „Ich will warten, bis Niemand mehr draußen ist bei dem Grab – dann will ich auch hin und will ein Wörtl reden mit der, die drunten liegt … dann will ich schauen, wo der Hintersee am tiefsten ist!“

„Nein, Quasi, das ist’s nicht, was Du noch zu thun hast auf der Welt! Willst Du zu dem fremden Leben auch noch Dein eigenes auf Dein Gewissen nehmen? Mach das Gewicht lieber leichter als schwerer … Du kannst gar wohl noch was Andres thun auf der Welt!“

„Und was wär’ denn das?“

„Du kannst wieder gut machen …“

Quasi lachte wild auf. „Gutmachen?“ rief er, „kann ich den armen Wurm wieder lebendig machen, der durch mich so elend hat zu Grund geh’n müssen? Ja, ja … durch mich! Ich hab’ sie umgebracht – ich, der ich sie lieber auf den Händen getragen hätt’ – der … Aber ich mag nit reden davon, es glaubt mir’s doch kein Mensch, wenn ich sag’, wie gern ich sie gehabt hab’ …“

„Zeig’s, daß man Dir’s glauben kann,“ erwiderte Evi eifrig. „Du kannst sie freilich nit mehr lebendig machen, aber Du kannst thun, was sie verlangt hat von Dir …“

„Ja, ja,“ sagte der Bursche, finster vor sich hinstarrend. „Ueberlaß unserm lieben Herrgott, wann und wo wir wieder zusammen kommen, aber wann und wo’s geschieht, will ich Dich fragen, ob Du Wort gehalten hast …“

„Was meinst?“ fragte Evi verwundert. „Was ist das?“

„Das war ihre letzte Red’, wie ich von ihr ’gangen bin …“

„Und Du besinnst Dich noch, was Du zu thun hast? Werd’ ein ordentlicher Mensch, Quasi – kehr’ um auf Deinem schlechten Weg, bereu’ und geh’ in Dich – damit Du ihr einmal Antwort geben kannst auf die Frag’ …“

„Es ist unmöglich,“ entgegnete er fast tonlos, „einmal hab’ ich’s auch geglaubt, daß ich mich wieder heraus heben könnt’ ... ich hab’s erfahren, daß es nimmer geht; die Bürd’, die auf mir liegt, druckt mich hinunter … auf dem Grund, in der tiefsten Tiefen vom Hintersee, da ist mein Platz!“

„Nein, Quasi – die Kordel schaut Dir zu; sie langt Dir die Hand vom Himmel hinunter und hilft Dich hinauf ziehen, wenn Du nur willst!“

Er schwieg einen Augenblick wie nachsinnend. „Es geht nicht mehr,“ sagte er dann finster, „ich kann kein ordentlicher Mensch mehr werden – ich kann nit mehr gut machen, und wenn ich’s wollt … dann ist’s aus mit mir, dann hab’ ich meinen geweisten (gewiesenen) Weg!“

Evi ward aufmerksam. „Wie ist das?“ sagte sie. „So ist’s die Kordel nit allein … Du hast noch was Andres auf dem Gewissen? Vielleicht gar noch was Schwereres?“

„Mein Platz ist schon hergericht’,“ erwiderte er grinsend, „es darf nur ein Anderer aufstehen und mich hineinlassen … in’s Zuchthaus …“

„Wie ist das zu nehmen?“ rief Evi noch eifriger. „Hast Du was gethan, was eine so schwere Straf’ verdient, und ein Andrer muß sie aussteh’n statt Deiner?“

Quasi schwieg und sah vor sich nieder.

„Wenn Du’s mit der armen Kordel nur eine einzige Minuten aufrichtig gemeint hast,“ fuhr das Mädchen in steigender Aufregung fort, „so red’ jetzt und sag’ die Wahrheit … Am End’ bist Du’s gewesen, der den Jäger gestochen hat …“

Quasi schwieg, wie zuvor.

„Du bist es gewesen – sonst könntest Du nit schweigen auf diese Frag’. Und Du kannst es über’s Herz bringen, daß ein braver ordentlicher Bursch statt Deiner unschuldiger Weis’ im Zuchthaus sitzt? daß seine Mutter sich zu Tod gekränkt hat und der Vater auch nit mehr weit hin hat bis zu der Gruben? … O Quasi, Quasi … was hast Du Alles liegen auf Deiner Seel’ … und Du kannst nur einen Augenblick fragen, was Du zu thun hast? Geh’ hin zum Landgericht, sag’ die Wahrheit, mach’ daß der Lebendige wenigstens wieder frei und froh werden kann, wenn Du auch die Todten nimmer aufwecken kannst!“

„Das Zuchthaus,“ sagte der Bursche schaudernd und halblaut … „das Zuchthaus ist ein schreckliches Wort! Und für wen soll ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_278.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)