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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

an denselben ebenso eifrig Christus und den Heiligen, wie ehedem Wodan und seinen Asen dienen mochten; die Donars-Eiche zu Geismar ward von Bonifacius gefällt, aber nicht verbrannt, sondern daraus ein christliches Bethaus an derselben Stelle erbaut. So duldete die Kirche nach wie vor die alten Umzüge, Spiele, Feste, nur trat die Mutter Gottes an die Stelle der Liebesgöttin, Petrus an die Stelle des Schwertgotts, das Fest der auferstehenden Natur ward nun als das Fest der Auferstehung Christi gefeiert. So erhielten sich bei diesen ganz oder halb christianisirten Gebräuchen noch zahlreiche Spuren ihrer ursprünglichen heidnischen Bedeutung, und die alten Götter konnten um so weniger aus dem Gedächtniß der Deutschen schwinden, als ja die Kirche selbst keineswegs die Existenz und die Macht jener Gottheiten leugnete, sondern sie als dämonische teuflische Gewalten fürchtete und bekämpfte. So wurde aus Donar und Wodan der Teufel des Mittelalters, aus den lieblichen Waldgöttinnen (hage-disin) die häßlichen Hexen, und die ganze Walhalla mit ihren mächtigen, wohlthätigen, strahlenden Gestalten ward in christlicher Umgestaltung beibehalten, nur daß diese sich gefallen lassen mußten, je nach Umständen nunmehr als Heilige des Himmels oder als Dämonen der Hölle in den Gedanken der Menschen umzugehen. Daher rief man denn jetzt einen Heiligen oder, wenn man verwegen genug war, auch wohl einen Teufel in den Krankheiten, Nöthen und Gefahren an, in welchen man ehedem zu einem Gott gebetet und ihm geopfert hatte. Der heidnische Glaube barg sich unter christlichen Aberglauben, und es ist daher ganz begreiflich, daß heutzutage die deutsche Wissenschaft aus dem heiligen Florian und dem heiligen Ruprecht wieder die großen Götter Donar und Wodan herausschälen konnte.

Von den angegebenen Gesichtspunkten aus wollen wir eine Reihe der abergläubischen Meinungen und Gebräuche betrachten, welche sich in Ober- und Niederbaiern bis auf diesen Tag im Volke lebendig erhalten haben; wir werden viele unschädliche und schöne Auffassungen der Volkspoesie kennen lernen, welche in zahlreichen Fällen noch deutlich ihren Zusammenhang mit dem Götterglauben unserer Vorzeit erkennen lassen.

Vor Allem tritt uns als eine auffallende Erscheinung der sogenannte „Bauernkalender“ entgegen, d. h. ein Inbegriff von altherkömmlichen Regeln, welche jede wichtigere Vornahme des Bauernlebens, wie sie in dem Wechsel der Jahreszeiten wiederkehrt, an gewisse Tage bindet; nur wenn sie an dem von der Uebung geheiligten Tage vorgenommen werden, haben diese Handlungen Segen und Gedeihen zu erwarten. In sehr vielen Fällen liegen hier nicht mythologische Beziehungen, sondern einfache Natur-Beobachtungen zu Grunde, „Wetterregeln“, welche die Erfahrung scheinbar oder in der That, zufällig oder aus guten Gründen bestätigt hat. Dies gilt namentlich bei den wichtigsten Maßregeln und Unternehmungen des Ackerbaus und der Oekonomie: wenn z. B. für Klee, Weizen, Gerste, Roggen, Hafer bestimmte Saattage hergebracht sind, so beruht dies auf der Annahme, daß die fragliche Monatszeit für diese Fruchtarten die günstigste Witterung zu bringen pflegt. Zahlreiche andere Gewohnheiten aber sind nicht zu erklären aus rein physikalischen Wahrnehmungen; bei manchen liegt der mythologische Sinn klar vor Augen, bei sehr vielen aber entzieht sich der Grund ihrer Entstehung und die Bedeutung vollständig unserem Verständniß.

Wenden wir uns nun zu dem Detail dieses Bauernkalenders und schalten wir in diesen Rahmen auch jene Gebräuche und Gepflogenheiten ein, welche nicht gerade nothwendig nach „Tagwählerei“ bestimmt sind. –

Die Sylvesternacht gehört mit der Nacht des Thomastages (21. December), des Weihnachtvorabends und des Tages der heiligen drei Könige (6. Januar) zu den sogenannten „vier Rauchnächten“, welche nicht nur von oberdeutschen Stämmen, sondern auch von Sachsen und Franken, von Angeln in England, von Schweden und Norwegern gefeiert werden und unerachtet mancher Modificationen im Einzelnen aus einer gemeinsamen germanischen Uebung beruhen. In jenen Winternächten nämlich, welche erst nachträglich ihre kirchliche Bedeutung erhalten haben – es ist die Zeit der Wintersonnenwende – sind die Mächte des Lichtes und der Finsterniß, des Segens und des Verderbens, des Lebens und des Todes, des Frühlings und des winterlichen Erstarrens, um deren natürlichen und geistigen Gegensatz sich die Angel der deutschen Mythologie überhaupt bewegt, im lebhaftesten Kampf. Die Riesen der Kälte, der Finsterniß, des Winters bieten ihre letzten Kräfte auf, die Herrschaft zu behaupten und schädlichen Einfluß auf den verhaßten Menschen und sein Hauswesen und seine Kultur zu üben; es sind die kürzesten Tage, die Natur ruht in tiefer Todeserstarrung, Krankheit und Tod schweben über den Betten der Menschen, durch den Stall des Viehes. Deshalb müssen in dieser Zeit die schützenden, wohlthätigen Gewalten der lichten Götter angerufen werden. Der Bauer nimmt von dem Hauptbalken des Dachfirstes die an jenem geheiligten Ort das Jahr über wohl verwahrten geweihten Kräuterbüschel herab, die sogenannten „Sangen“, Gräser, Blumen, Halme, Blätter, Zweige von gewissen, den guten Göttern heiligen Pflanzen, welche mitten im Sommer, in der Zeit, da alle wohlthätigen Dinge am kräftigsten sind, in der vollen Herrschaft des Lichts, an einem Fest der Liebes- und Sommergöttin Freya waren mit symbolischen Handlungen gepflückt worden – die Kirche hat aus jenem Fest die Himmelfahrt Mariä gemacht – und streut die getrockneten Blätter mit anderm Räucherwerk, namentlich der tief in den Götterglauben und Göttercult verflochtenen Wachholder-Beere („Kranewit“) auf die eiserne Gluthpfanne mit Kohlen, welche er in der Linken trägt. Frau und Kinder schreiten, Licht, Schlüssel und, wo möglich, eine Hand voll Schnee tragend, vor ihm her, in der Rechten führt der Hausherr den Stock (ursprünglich vielleicht das Schwert), und nun durchwandert er betend und räuchernd alle Gelasse seines Hauses und namentlich auch den Stall und die Scheune; dadurch wird die Einwirkung aller schädlichen Gewalten, Krankheit, Hexerei, Schwinden von Menschen, Vieh und Vorräthen abgewendet.

Offenbar war diese Handlung ursprünglich ein Opfer und ein Anrufen der Segensgötter, ein Austreiben schädlicher Gewalten durch den Räucherduft der den guten Mächten geheiligten und sie herbeiziehenden Pflanzen.

Am Dreikönigstag werden überdies die Anfangsbuchstaben der Namen der heiligen drei Weisen aus Morgenland mit dazwischen geschriebenen Kreuzen an alle Thüren gezeichnet: C † M † B; es wäre sehr interessant, den Zusammenhang des Cultus dieser drei sonderbaren Heiligen (Caspar, Melchior, Balthasar) mit Gestalten des alten Heidenthums zu ergründen. Die Kreide, mit welcher diese Inschrift gezeichnet wird, ist am Vorabend des Festes in der Kirche geweiht worden, ebenso Salz und Wasser, aus welchen dann der segenreiche „Salzstein“ (viereckige Salzstücke) gebildet wird. Körnchen von diesem Salzstein wirft man erkranktem Vieh ins Futter, und auch der wegfertige Mann, der von Hause wandert, nimmt ein Paar Stücke des heimischen Salzes in der Wandertasche mit. Dieser sinnige Zug der Weihe der Elemente und der wichtigsten Nahrungsmittel kehrt in dem deutschen Heidenthum häufig wieder. Man glaubte, die wohlthätige Segenswirkung von Feuer, Wasser, Salz, Brod, Fleisch etc. nutze sich im Laufe des Jahres ab, bei Beginn eines neuen Jahres sollen auch ihre Kräfte erneuert werden. Deshalb müssen z. B. an bestimmten Tagen alle Feuer im Dorfe gelöscht werden, keine Hausfrau darf von dem Heerd der andern, wie sonst im Jahr, die Gluth übertragen, sondern in feierlichem Zug gehen die Nachbarn in den Wald, und dort wird mit vielfachem Ceremoniell und allerhand Symbolik ein sogenanntes „Nothfeuer“ oder „Wildfeuer“ gerieben, d. h. zwei Personen, häufig zwei reine Knaben oder auch ein Liebespaar, reiben unter geheimen Sprüchen und Liedern zwei trockene Hölzer so lange, bis sie in Brand gerathen. An dieser heiligen Flamme, welche also das Element frisch und unprofanirt aus dem geheimen Schooße der Natur gewährt hat, entzündet nun jeder Hausvater seinen Spahn und trägt so das neue Feuer für das neue Jahr nach Hause. Noch charakteristischer ist, daß in manchen Gegenden, wenn der Blitz einen Baum im Wald entzündet hat, alle Heerdfeuer gelöscht werden und man an jener unmittelbar von den Göttern gesendeten Flamme, dem echten Wildfeuer, die Spähne entzündet. Analog wird in manchen Thälern das Wasser erneuert: zu Johanni etwa oder am ersten Mai läuft die Dorfjugend durch alle Häuser, stürzt alle Wassereimer um und holt frisches Wasser von dem geweihten Quell im Walde. Freilich sind diese Gebräuche wie in ganz Deutschland auch in Baiern in starker Abnahme, und die Wasser-Erneuerung wird wohl überall nur noch erzählt, nicht mehr geübt.

Auch jene Verwendung des geweihten Salzsteines beim Wandern in die Fremde hat manche Analogien: wie der Wanderer, der im Ausland von Krankheit oder auch von Heimweh befallen wird, ein Paar Körner des mitgenommenen Salzes genießt, so schabt er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_298.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)