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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

die Legitimation persönlich entgegen zu nehmen und sein Geheimniß zu wahren und zu schützen, wenn es zu verantworten sei. Der Graf erklärte jedoch entschieden: „daß seine Papiere bereit lägen, daß er aber, wenn er gezwungen werden sollte, sie vorzulegen, sofort das Land verlassen werde, um in einem anderen Winkel der Welt unbekannt zu leben.“ Da ließ die Regierung ihre Forderung fallen, in edler Rücksicht auf das Hildburghäuser Land, das soeben den Verlust seines Herzogshauses erfahren hatte und durch den Abzug des Grafen in neuen materiellen Verlust gekommen wäre. So war auch diese Gefahr vorüber gegangen. Die Stadt Hildburghausen erfreute in Folge davon den Grafen mit ihrem Ehrenbürgerrecht, und dieser kaufte deshalb jenes Haus mit dem Garten, in welchem die Begegnung der Gräfin und des jungen Schmidt stattfand; später kaufte er noch ein Haus mit Gärtchen im nahen Dörfchen Walrabs und endlich das schöne Gartenhaus mit dem Garten hoch am Stadtberg, der nun das Grab der armen Gräfin birgt.

Der Graf machte mit der Gräfin in diesen neuen Wohnstätten jährlich einige Besuche, und zwar in einem eleganten, aus Frankfurt a. M. angekommenen Wagen und stets mit vier Postpferden von Hildburghausen. Er vermied gern die Stadt und fuhr auf der sogenannten Marienstraße abseits von ihr zu seinen Besitzungen. Auf einer solchen Fahrt begegnete ihm auf einer Stelle, wo der Wagen langsam fahren mußte, ein Mann (Geheimrath B. aus Meiningen), welcher die französische Königsfamilie genau gekannt. Als dieser die Dame erblickte, war er betroffen von der auffallenden Aehnlichkeit ihrer Züge mit der charakteristischen Gesichtsbildung der bourbonischen Familienglieder.

Im Herbste des Jahres 1837 erwähnte der Graf in seinen Briefen an seine Correspondentin, die Wittwe des Pfarrers, die nach dessen Tod nach Hildburghausen gezogen war, zum ersten Male „seine Lebensgefährtin“. Er sprach von der raschen Abnahme ihrer Kräfte und wollte offenbar auf den Todesfall vorbereiten. Wirklich starb die Gräfin am 25. November. Kein Arzt war an ihr Krankenbett getreten, kein Priester hatte ihr Worte ihres Glaubens zugesprochen, kein liebendes Auge ist ihrem letzten Blick begegnet, keine liebende Hand hat ihr das gebrochene Auge zugedrückt. Sie kam zum ersten Male unter Menschen, als sie todt war, ein zahlreiches Geleite Theilnehmender folgte ihr zur neuen Einsamkeit ihrer Grabesstätte.

Bis zu diesem Augenblick stand es noch als allgemeine Annahme fest, daß die Dame vielleicht von höherer Abkunft als der Graf, aber die Gemahlin desselben und darum gezwungen gewesen sei, sein Einsiedlerleben zu theilen, denn viele von den äußersten Vorsichtsmaßregeln zur Verbergung ihrer Person waren damals noch nicht bekannt geworden. Ihr Alter glaubte man nicht höher als zu 45 Jahren annehmen zu dürfen. Wie groß war daher das Erstaunen, als der Graf auf die Anfrage der Geistlichkeit nach den Personalien „seiner verstorbenen Gemahlin“ antwortete: „Die Verstorbene war nicht meine Gemahlin; ich habe sie nie dafür ausgegeben!“ Seine Mittheilung über sie bestand in den Worten: „Sophie Botta, ledig, bürgerlichen Standes, aus Westphalen, 58 Jahre alt.“

Diesmal glaubte das Gericht, den Schleier des Geheimnisses nicht länger schonen zu dürfen Man schritt zur Versiegelung des Nachlasses der Verstorbenen. Die seit 30 Jahren jedem Auge verborgenen Gemächer thaten sich auf. Man fand indeß in den Zimmern der „Gräfin“ außer einer reichen Garderobe und vielen in allen Winkeln herumliegenden Beutelchen mit Goldstücken gar nichts, was Aufschlüsse über ihre Person hätte geben können; letztere verweigerte der Graf aber so entschieden, daß er erklärte: „keine Gewalt der Erde werde diese ihm entreißen.“ Und so schloß denn abermals die Verhandlung mit dem Siege des Geheimnisses: „der Graf hinterlegte den Schätzungswerth des Nachlasses der Verstorbenen im Betrag von 1470 Gulden, und diese Summe wurde bis auf Weiteres, d. h. bis zum Tode des Grafen, gerichtlich deponirt.“ Der nunmehr siebzigjährige Greis sollte für den Rest seiner Tage in Friede bleiben. Allgemein sprach sich auch noch in dieser Zeit die öffentliche Theilnahme für den Mann aus, von dem man nur Gutes kannte und hinter dessen Geheimniß Niemand ein Verbrechen sah.

Wie kräftig auch der Geist sich gegen den Andrang des Alters wehrte, der Körper gab nach, und das Gefühl der Vereinsamung drückte schwerer auf den alten Herrn. Wichtig aus dieser Zeit ist eine Unterredung des Grafen mit dem auch als Schriftsteller bekannten Obermedicinalrath Hohnbaum, auf das wir noch zurückkommen werden. Der uns für diesmal zugewiesene Raum heißt uns zum Ende eilen. Der Graf starb im Jahre 1845 und wurde in Eishausen neben seinen Freund, den Pfarrer, begraben. Aber die Enthüllung seines Geheimnisses ward selbst nach seinem Tode und aus den mancherlei Papieren seines Nachlasses nicht gefunden, und auch die gerichtlichen Ermittelungen, welche in dem Grafen Vavel de Versay einen Leonardus Cornelius van der Valck erkannten, haben zu keiner vollständigen Aufklärung geführt, obwohl einem „Verwandten dieses van der Valck“, welcher sich in Folge der gerichtlichen Edictalladung als solcher legitimirte, der Nachlaß des Grafen von 15,000 Gulden rhn. ausgehändigt worden ist.

Die Quelle der Einnahme des Grafen ist damit nicht ermittelt und ebensowenig erklärt, wer das unglückliche Weib gewesen, für dessen Verbergen vor der Welt wohl eine halbe Million Gulden aufgewendet worden ist. Und der Graf selbst starb nicht mit leichtem Gewissen. Er hatte in den letzten Jahren den einen Sohn seines alten Boten Schmidt und dessen Gattin mit ihren zwei Kindern in’s Schloß zu seiner Pflege berufen. Diese Frau ist noch Besitzerin des Berggartens, in welchem das Grab der Gräfin ist, und in ihrem großen Berggartenhaus wohnte ich mehrere Jahre. Sie war die Pflegerin des alten Grafen in der letzten Krankheit, mit ihr sprach ich viel und oft über die arme Gräfin, deren Grab nur wenige Schritte von meiner Schlafkammer entfernt war, sie zeigte mir mancherlei Spielzeug derselben, und sie war es auch, die mir den letzten schweren Kampf des Grafen mit seinem Gewissen schilderte, wie oft er die Boten zum Gericht und zum Geistlichen abgehen und wieder zurückrufen ließ, wie er immer für sich und in fremden Sprachen redete und immer tiefer aufseufzte, bis ihm endlich die Kraft zum Entschluß gebrach und er sein Geheimniß mit in die Gruft nehmen mußte.

Diese Umstände und die vielen neuen Andeutungen, namentlich über den früheren Aufenthalt des Grafen mit der verschleierten Dame und demselben schweigsamen Kammerdiener in Ingelfingen, von wo das Schicksal des Herzogs von Enghien sie vertrieben zu haben schien, ferner Winke aus französischen Blättern, Hypothesen geistreicher Männer, die nach des Grafen Tod in der Presse laut wurden, sind wichtig genug, um uns nicht von diesem Gegenstand hier für immer scheiden zu lassen. Vielleicht gelingt es der „Gartenlaube“, bis zu Personen vorzudringen, welche weitere Aufschlüsse über dieses unheimliche Geheimniß nunmehr geben können. Für alle Fälle verspreche ich, in einem nachträglichen Artikel alles bis jetzt Ermittelte treulich zu berichten.




Die deutschen Juden in London.
Der Berliner – Der Frankfurter – Der „eigentliche“ Jude.

Unter der ausländischen Bevölkerung Londons, zu der wohl alle Nationen der Welt ihre Contingente geliefert haben und die in runder Zahl auf 150,000 veranschlagt wird, dürfte es kaum eine interessantere, charakteristischer in sich abgeschlossene Individualität geben, als die des deutschen Juden. Die Classe ist sehr zahlreich, da alle nicht portugiesischen Juden, namentlich die holländischen und polnischen, dazu gerechnet werden und sich selbst dazu rechnen. Gleichwohl ordnen sich alle diese verschiedenartigen Elemente einem weiten, leicht zu definirenden und in seinen charakteristischen Zügen unverkennbaren Gattungsbegriff unter, der sich eine Lorgnette in das Auge klemmen und im modischen Frack auf der Straße herumlaufen oder in Kaftan und Synagogenbart hinter der Trödelbude stehen mag, aber in allen Lagen, in allen Trachten und in allen Sprachen seine bezeichnenden Eigenschaften bewahrt. Der Begriff ist weit und deckt daher die mannigfaltigsten Abstufungen von Respectabilität, Laster und Verbrechen, aber im Ganzen muß man gestehen, daß der deutsche Jude in London nicht zu der am wenigsten beachteten Classe der Fremdenbevölkerung gehört. Der ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_312.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)