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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

abfallenden Berge. Je höher wir kommen, desto prächtiger wird die Aussicht, doch unbeschreiblich großartig ist das Panorama, das sich vor unsern Augen entrollt, sobald wir die Gotzenalp und zumal den noch ein wenig höher gelegenen Feuerpalfen (4000 Fuß ü. M.) nach dreistündigem Steigen glücklich erreicht haben. Von allen Seiten umstarren uns da die eisgepanzerten und wildzerklüfteten Bergkolosse von acht- bis neuntausend Fuß Höhe. Den Süden beherrscht die Gletscherwelt des steinernen Meeres, aus welchem die übergossene Alm, das Teufelshorn, die Schönfeldspitze und mehr nach vornan die Simetspitze in die Lüfte emporragen; an diese reiht sich im Westen, uns gerade gegenüber, der Watzmann mit seinen ausgezackten Hörnern. In nördlicher Richtung erblicken wir links den Dreisesselkopf und das Thal von Reichenhall, rechts den sagenreichen Untersberg und davor die malerischen Häusergruppen

Der Königssee.

von Berchtesgaden; östlich zwischen dem Untersberg und dem hohen Göll taucht über Hallein hinweg die Gegend von Salzburg mit dem Gaisberg auf. Am Dachstein vorbei zeigen sich weiter im Osten die dunklen Höhen des Hagengebirges, und dahinter, am äußersten Horizonte, verdämmern die Bergkuppen des Tännengebirgs. Tief unten am Fuße der jähen Felswand, auf der wir stehen, schimmert der ruhige, spiegelglatte See, und drüben auf der lieblichen Au prangt das einsame Forsthaus mit dem Wallfahrtskirchlein zu St. Barthelmä.

Welch mächtigen Eindruck übt so eine Bergwelt auf unser Gemüth! Sobald sich das Auge an dem unvergleichlichen Bilde gesättigt hat, überwältigt uns eine ernste, feierliche Stimmung. Wir glauben uns in solch großer, erhabener Natur dem Allmächtigen viel näher gerückt und bewundern mit Ehrfurcht diese kühnen Werke der Schöpfung, die Zeugen der Macht und Herrlichkeit Gottes. Doch fühlen wir uns bald verlassen in dieser schauerlich wilden Umgebung und sehnen uns zurück unter die Menschen und auf die Scholle Erde, an die wir so fest gekettet sind. Und so ging es auch mir, nachdem ich mich da oben eine Weile in stille Betrachtung vertieft hatte; eine unerklärliche Sehnsucht bemächtigte sich meiner und trieb mich wider Willen fort von jener Stelle, fort nach den Sennhütten der Gotzenalp zurück, die mich jetzt ganz anheimelten.

In dem Waser-Kaser, einer der größeren Hütten, hieß mich eine freundliche Sennerin willkommen und bewirthete mich reichlich mit dem Wenigen, was sie hatte, mit Roggenbrod, Butter und Käse. Das Maidi war zudem von recht sauberem Aussehen, und sein Feiertagsgewand – rothes Mieder mit weißem Vorhemd, kurzer, schwarzwollener Rock und grüngestickte Strümpfe – stand ihm ausnehmend gut. Sie hatte sich aber, wie es schien, nur ihrem „Bua“ zulieb so festlich aufgeputzt. Dieser, ein flotter Bursche, war heute zum Besuche aus dem Thale heraufgestiegen, um sich nach seinem „Deandl“[1] umzuschauen und ihm etwas von daheim zu erzählen. Resei[2] klagte dann über das einsame und langweilige Leben, das sie hier oben auf der Alm führe, worauf sie der Toni[3] mit der baldigen Heimkehr tröstete und wieder aufzuheitern versuchte, was ihm auch bald gelang. Mittlerweile ließ ich mir mein frugales Mahl wacker schmecken – denn die Bergluft würzt ungemein den Appetit – und betrachtete mit wahrem Vergnügen die beiden schlichten Naturkinder, welche sich im Uebermuthe der Jugend und der Liebe bald singend, bald scherzend neckten und kosten, und dabei in der armseligen Hütte glücklicher schienen, als manches Fürstenpaar im stolzen Palaste. Schade, daß ich kein Zeichner bin; das hätte eine prächtige Skizze für mein Reisetagebuch gegeben!

Nach einem freundlichen Abschiede von den muntern Leutchen machte ich mich wieder auf den Rückweg und fand, unten am See angelangt, gleich ein Boot, dessen Fährmann mich nach St. Barthelmä hinüber bringen mußte. St. Barthelmä wird das alte, 1732 erbaute Jagdschloß mit der dabei stehenden Wallfahrtskapelle genannt, die sich auf grüner Matte fast an das Gebirge lehnen.

  1. Deandl; baierisch statt Mädchen.
  2. Resei s. v. a. Therese.
  3. Toni s. v. a. Anton.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_316.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)