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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

einer vermoderten deutschen diplomatischen Kunst, diesen Brennpunkt zu vertuschen, sondern er geht festen Auges und sicheren Schrittes auf ihn zu. So ferne ihm der Gedanke eines das selbständige Leben des Einzelstaatwesens vernichtenden Einheitsstaates liegt, so klar ist ihm doch andererseits der Gedanke des Opfers „aller Staatsfunctionen, durch welche politische Macht im Verkehr mit fremden Staaten entwickelt und bethätigt wird.“ Was der Einzelstaat hergiebt, das sei dann aber auch völlig einer einheitlichen Bundesgewalt unterworfen. Der Einzelstaat muß den Gedanken des Aufgebens dieser Rechte völlig in sich aufnehmen; kein kleinlicher Ehrgeiz wird ihn dann antreiben, sein Staatsinteresse durch Theilnahme an der Centralgewalt und damit durch Zersplitterung derselben bethätigen zu wollen. Der Centralregierung muß die vollständige gesammelte Energie der Entschließung bleiben, aber die Einwirkung der Einzelregierung müßte gewahrt sein durch eine Vertretung derselben, die allen berechtigten Interessen Rechnung trägt, ohne einer kleinlichen für das Gesammtwohl zweck- und machtlosen Eitelkeit zu fröhnen.

Zu dieser Politik des Opfermuthes bedarf es freilich anderer und werkthätigerer Tugenden, als die landläufige „conservative“ Reformpolitik aufzuweisen vermag. Es bedarf dazu eines Fürsten, der einen hohen Geist und ein warmes Herz dem Verlangen seines Volkes entgegenträgt, und es bedarf eines Ministeriums, das sprechen kann, wie Roggenbach für sich und seine Collegen ausrief: „Wenn ein deutscher Minister den Verrath nicht begehen wollte, seinen Fürsten zu Opfern an seiner Souverainetät zu veranlassen, so werden wir den größeren Verrath nicht begehen, ihm zu rathen, er solle zurückstehen hinter seinem Volke an Patriotismus und Hingebung!

Eine dem sittlichen Bewußtsein des Volkes so greifbar entwachsene Ueberzeugung besitzt ihren eigenen, keiner Einschüchterung zugänglichen Muth. Sie begreift in ihrem vollsten Umfange die Hindernisse, die sich ihrem hohen Ziele entgegenstemmen, aber sie sind, wie Roggenbach so oft wiederholt, nur eben so viele Gründe ungebeugter Ausdauer und machtvoller Kraftanstrengung. Mit fester Hand und unerschrockenem Muthe trennt Roggenbach die badische Handelspolitik von den Bahnen seiner süddeutschen Nachbarn und erklärt, im äußersten Nothfalle ein badisches Freihandelsgebiet gründen zu wollen. Die Energie, wie sie in diesem von dem politischen Glauben seines Volkes erfüllten Staatsmanne lebt, ist eben die treue Begleiterin einer gesunden sittlichen Ueberzeugung und die Mutter jener edlen, feinfühligen Bescheidenheit, die jedes laute Lob von sich weist, so lange das ersehnte Ziel noch so ferne steht. Hat auch die badische Bevölkerung in drei Bezirken Roggenbach zum Abgeordneten gewählt, das ist dem bescheidenen Manne kein Anlaß zu befriedigter Eigenliebe; es ist ihm nur ein neuer, mächtiger Sporn, solch reiches Vertrauen fort und fort durch die That und durch den Erfolg zu verdienen. Und so steht an einem Wendpunke deutscher Geschichte Baden wiederum glänzend vor den Augen von Deutschland und Europa. Wieder ist es die volksthümliche Opposition, durch die das herrliche kleine Land die Blicke auf sich lenkt; aber es ist nicht mehr die Opposition der badischen Kammer gegen die badische Regierung, es ist die volksthümliche Opposition der badischen Regierung gegen die Bundestagspolitik und ihre souverainen Vertreter. Die volksthümliche Opposition ist von der Straße hinweggenommen und hinaufgehoben in die organische Gewalt. Ja, ihr Männer von Würzburg, ihr habt ganz Recht: Baden ist isolirt – in der Liebe und in dem Vertrauen des deutschen Volkes!

Wie bezeichnend ist der grimmige Haß der „conservativen“ Parteien gegen Baden und seine Regierung! Er entsprang vollständig der schlagähnlichen Ueberraschung, die politische Ueberzeugung, die politische Sehnsucht, das politische Recht des Volkes von einer deutschen Regierung vertreten zu sehen. Und die feinen Politiker des Würzburger Lagers begreifen nicht, welches vernichtende Zeugniß ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft sie sich schon durch die nackte Thatsache dieser Ueberraschung ausstellen, in der die weite, tiefe Kluft zwischen Volksbewußtsein und deutscher Regierungspolitik mit schreckensvoller Deutlichkeit zur Erkenntniß kommt? Freilich mit dieser Diplomatie des souverainen, selbstvergötternden Egoismus kann Franz von Roggenbach nicht in Mitwerbung treten. Er ist ein hochgesinnter, edeldenkender, von Vaterlandsliebe erfüllter deutscher Mann, der in dem Herzen seines Volkes den tödtlichen Zwiespalt zwischen idealem Kraftbewußtsein und realer Thatunfähigkeit aus mangelnder politischer Sammlung mit allen Fibern seines Wesens nachzufühlen versteht. Und das ist die Bürgschaft einer großen, einer goldenen Zukunft für das deutsche Volk, daß das Licht froher Hoffnung und erhebenden Vertrauens mächtig emporstrahlte, sobald das Blut, das in unsern Adern pulsirt, einströmte in das Wesen und die Gesinnung auch nur einer deutschen Regierungsgewalt. Daß er ein deutscher Mann ist in des Wortes vollster Bedeutung und daß er es geblieben ist auf dem Posten des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten eines deutschen Mittelstaates, getragen von dem Vertrauen eines Volkes, festgehalten durch das Vertrauen seines Fürsten – dies hier ausgesprochen zu haben, sei unsere ganze Verherrlichung des Namens Franz von Roggenbach. Er hat es ausgesprochen und bethätigt im Namen seines Fürsten, daß es eine Versöhnung giebt zwischen Fürstenrecht und Volksrecht auf dem Boden der echten Vaterlandsliebe und in der gemeinsamen Hingebung an die Idee der deutschen Einheit.




Die deutsche Strafrechtspflege sonst und jetzt.
(Schluß.)


Fehden und Faustrecht – Die heilige Vehme – Das römische und canonische Recht – Die Carolina – Der Inquisitionspoceß – Folter und Hexenprocesse – Humanere Zeit der Zucht- und Arbeitshäuser – Verdacht – Ueberzeugung – Oeffentliches und mündliches Verfahren.

Das Fehderecht des Mittelalters war eine Folge der heillosen Verwirrung und Anarchie, die vom 12. Jahrhundert an im deutschen Reiche herrschte. Die Wirksamkeit der Gerichte war so schlaff, die Polizei so mangelhaft, daß oft die größten Verbrechen ungestraft begangen wurden. Selbst in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wurde dem Verletzten häufig zu seinem Recht nicht verholfen. Abhülfe mußte geschehen, sie geschah auch, aber – in welcher Weise! Wer durch ein Verbrechen oder in seinen Privatrechten verletzt war, wurde auf die Selbsthülfe, Fehde angewiesen, in welcher Mord, Raub, Brand, überhaupt jede erdenkliche Schandthat gegen den Befehdeten begangen werden durfte. Ohne alle Beschränkung konnte freilich dieses Fehderecht gesetzlich nicht anerkannt werden. Es wurde nur für den Fall der Noth gestattet, d. h. wenn durch die Gerichte Rechtshülfe nicht zu erlangen war, auch mußte die Fehde drei Tage zuvor angekündigt werden, was in der Regel mittelst eines „Fehdebriefes“ geschah. In dem Landfrieden vom Jahre 1235 heißt es: „Was auch Jemandem widerfahre, daß er das nicht räche! Er klag es seinem Richter! es sei denn, daß er sich zur Noth muß wehren seines Leibes und seines Gutes. Wer seine Klage aber anbringt, wird ihm nicht gerichtet und muß er durch Noth seinen Feinden widersagen, das soll er thun bei Tage, und von dem Tage an bis an den vierten Tag soll er ihm keinen Schaden thun, weder an Leib noch an Gut, so hat er drei Tage Frieden.“

Da die Fehden oft zu den blutigsten Kriegen führten und meist Leben und Eigenthum der Unschuldigen gefährdet wurde, verordneten die Reichsgesetze, daß bei Strafe des Landfriedensbruches Geistliche, Kranke, Wöchnerinnen, Kinder, Fuhrleute mit ihren Gütern und namentlich Kirchen nicht verletzt werden dürften. Eine fernere Beschränkung führte die Geistlichkeit durch den „Gottesfrieden“ ein, indem sie bei Strafe des Kirchenbannes die Fehde für alle Festtage und vier Tage in der Woche untersagte. Doch alle diese Beschränkungen wurden nur zu häufig außer Acht gelassen. Kein Wunder daher, daß das Fehderecht zu dem zügellosesten Faustrecht ausartete und zu den brutalsten Räubereien, namentlich von dem kriegerischen Adel, den „Raubrittern“ benutzt wurde. Ein Markgraf von Brandenburg hat in seinen Fehden nicht weniger als 170 Dörfer in Asche gelegt!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_334.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)