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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Wachskerzen.
Ein Stück Geschichte von George Hiltl.

In der kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt Wien herrschte große Aufregung. Schon seit Wochen waren starke Transporte gefangener Ungarn, Männer theils hohen, theils niederen Ranges, durch die Straßen der Kaiserstadt gebracht und in verschiedenen Häusern eingekerkert worden. Jene Verschwörung, in der Geschichte unter dem Namen Zriny-Nadasdy’sche Verschwörung bekannt, war zum Ausbruch gekommen, hatte eine Zeit lang die Gemüther erregt, war mißglückt, verrathen und verkauft und wurde zuletzt ertränkt in dem Blute der Edlen, welche ihr Leben für eine schon bei ihrem Beginnen verlorene Sache eingesetzt hatten. Die Kerker faßten nicht mehr die große Anzahl der Compromittirten, man mußte sie in Privathäusern einquartieren, deren Fenster in der Eile vergittert wurden und die mit Wachen angefüllt, kleinen Citadellen glichen.

Die beunruhigendsten Gerüchte durchkreuzten sich. Der Kaiser Leopold I. war schwer erkrankt, es schien fast, als wolle die Vorsehung seine Hand nicht mehr zum Unterschreiben der Menge von Todesurtheilen brauchen, die voraussichtlich mit dem kaiserlichen Namenszug versehen werden mußten. Dazu regte sich mächtig der Feind jenseits des Rheines, der allgewaltige Ludwig XIV., seine diplomatischen Netze mit bewunderungswürdiger Schlauheit auswerfend, die Höfe mit gleißnerischer Freundlichkeit umnebelnd, bis zuletzt ein Blitzstrahl das Gewölk zerriß und die Kriegsfurie mit gezücktem Schwert heraustrat. Jetzt beschäftigte den französischen Herrscher lebhafter als je sein lange gehegter Plan: die Nachfolge auf den Thron der spanischen Habsburger an das Haus Bourbon zu bringen. Günstiger war nie ein Zeitpunkt für die Intriguen Ludwig’s gewesen.

Leopold war ohne männliche Nachkommen. Sein jüngerer Bruder, Carl Joseph, war 1664 bereits gestorben. Starb der Kaiser, so war ein Erbfolgekrieg wohl unausbleiblich[1], und wer hätte dem mächtigen Ludwig widerstehen können, der, mit England durch Carl’s II. Schwäche, mit Schweden und den bedeutendsten Reichsfürsten alliirt, außer den Generalstaaten keinen Feind von Bedeutung gegenüber sah? vor dessen Heeren Feldherren wie Turenne und Condé zogen, denen man damals noch keinen Eugen oder Marlborough entgegenstellen konnte? –

Das Haus Oesterreich wankte. – Zweihundertundfunfzig Streiter befanden sich zu jener Zeit in Wien. Es waren Streiter ad majorem Dei gloriam! die Patres der Gesellschaft Jesu. Sie hatten den Kaiser ganz in ihrer Gewalt, nannten ihn ihren „Leopoldus Magnus“, erhielten tausendfache Gnadenbeweise von ihm und – bereiteten durch ihre fanatische Bekehrungssucht die Empörung in Ungarn vor, die durch Ludwig XIV. unterstützt wurde. Die Magyaren mußten nun die Sündenböcke für alles Hochverrätherische und Treulose sein, was am kaiserlichen Hofe im Dunkeln sich ausbreitete. Auf ihre Rechnung arbeiteten die Väter, welche bereits seit dem Jahre 1668 im Dienste Ludwig’s XIV. standen, dessen wachsender Macht sie vor der bedrohten des Habsburgers den Vorzug gaben.

Leopold I. mußte beten – viel, sehr viel beten, und er betete gern. In jener Zeit, die allerdings mehr als jede andere den bedrängten Herrscher aufforderte, sein Gemüth zu Gott zu erheben, machten seine Gewissensräthe – die Jesuiten – Politik durch die Religion. Der Kaiser hörte knieend drei Mal des Tages die Messe. Der Pater Müller lieh ihm sein Ohr in der Beichte. Religiöse Gespräche bildeten den Haupttheil der Tagesunterhaltung. Alle Gegenstände, deren der Kaiser sich bediente, mußten durch Priesterhand geweiht sein.

Am 22. März 1670 erschien, als es bereits dunkelte, ein Mann, der einen kleinen Handwagen zog, vor dem Oekonomie-Gebäude der kaiserlichen Burg zu Wien. Die Küchenbeamten nahmen seine für den Haushalt bestimmte Ladung sofort in Empfang. Dieselbe bestand in zwei ziemlich bedeutenden Kisten. Die Begleiter des kleinen Handwagens und seines Führers waren für eine zur kaiserlichen Haushaltung gehörige Lieferung sonderbar genug. Es waren nämlich zwei in die Tracht der Jünger der Gesellschaft Jesu gekleidete Männer. Der herbeigerufene Haushofmeister verbeugte sich tief. Einer der schwarzen Herren war der Pater-Procurator, der Andere ein minder hohes Werkzeug des Ordens. Geschäftig wollten die Küchendiener sich der vom Wagen herabgenommenen Kisten bemächtigen, als der Pater sie mit sanfter Stimme zurückhielt.

„Meine Freunde,“ sprach er, „wisset Ihr auch, daß diese Kästlein mit Zartheit behandelt sein wollen? Traget sie leise in die Vorzimmer, damit ihr Inhalt nicht verderbe oder unwürdig aufgeschichtet werde.“

„Hochwürden werden mich sehr verbinden, wenn Sie mir mittheilen, was die beiden Kästchen Herrliches enthalten, damit ich meine Maßregeln zu ihrer Sicherung treffen kann, bis ich sie in die Hand des dienstthuenden Kammerherrn abgeliefert habe,“ sagte der Haushofmeister, die beiden Kasten mit ehrfurchtsvollen Blicken betrachtend.

  1. Die Ansprüche der einjährigen Tochter Leopold’s, Marie Antoinie, stießen zusammen mit denen seiner Schwestern, Marie Anna von Spanien und Eleonore, Gemahlin des Polenkönigs Michael Wisniowiecki.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_353.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)