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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Eine dunkele That.
Erzählung von Otto Ruppius.

Es war ein lauschiges, mit dem modernen Luxus ausgestattetes Parterrezimmer, in welchem ein junges Paar saß. Sie hatte den Sitz neben einem der hohen Fenster inne und blickte, das Kinn leicht in die weißen Finger gestützt, über die dem Blicke sich bietenden Wiesen und Felder nach dem Walde hinüber, in welchem die goldigen Lichter der untergehenden Sonne zu spielen begannen. Er hatte sich auf einem Stuhle unweit von ihr leicht zurückgelehnt und schien mit halb zusammengezogenen Augenbrauen ihre Züge zu beobachten. Sie ließ in ihrer äußeren eleganten Erscheinung die Herrin des Hauses errathen, während dennoch das weiche, von einem Reichthum blonder Haare umrahmte Gesicht kaum zum Befehlen geschaffen schien und bisweilen sogar, wie ihre Gedanken kamen und gingen, einen leisen Zug von Gedrücktheit zeigte. Er verrieth in seiner Kleidung den Oekonomen, aber die fehlende Eleganz ersetzte eine untadelhafte Sauberkeit; seine Hände sprachen von eigener Arbeit, aber waren verhältnißmäßig kein, und in dem sonnengebräunten Gesichte standen ein Paar dunkele, glänzende Augen.

„Du sprichst heute so wenig – hast Du Verdruß gehabt, Fritz?“ wandte sie, wie sich ihren Gedanken entreißend, sich mit einem Versuche zu lächeln nach ihm.

„Es wird gut sein, Anna, Du hörst mich gar nicht mehr sprechen!“ erwiderte er langsam, ohne seine Stellung zu ändern.

Sie hob aufmerksam den Kopf, und ein leichter Farbenwechsel belebte einen Moment ihre bleichen Züge. „Warum, Fritz?“

„Weil die Leute über meine Besuche hier reden und ich nicht die Schuld an einer einzigen trüben Stunde für Dich haben mag.“ Er erhob sich rasch, fuhr mit der Hand über seine Stirn und wollte nach seinem bei Seite gestellten Hute greifen, aber ihre Entgegnung schnitt seine Bewegung ab.

„Warte einen Moment!“ sagte sie, wie fast erschrocken über seine Aeußerung ihren Sitz verlassend, „was können die Leute reden?“

Er schüttelte langsam den Kopf, ohne sie anzublicken. „Laß es, Anna,“ erwiderte er, „sie werden keine Ursache mehr dazu finden.“

„Aber ich muß wissen, was sie sagen, Fritz,“ drängte sie, während ein leichtes Roth in ihre Wangen stieg, „halbe Worte sind eine Qual, und ich sehe keinen Grund, der mich um die freundliche Stunde bringen könnte, die mir Deine Anwesenheit schafft. Wir sind Nachbarskinder und mit einander aufgewachsen – was können die Leute reden, Fritz?“

Er hob langsam den Blick, ihn zwei Minuten schweigend in dem ihrigen haltend, und der Ausdruck desselben schien plötzlich eine Ahnung in ihrer Seele zu wecken – ihr klares, blaues Auge ward dunkler und unsicher, und das Roth in ihren Wangen stieg höher. „Sie sagen,“ begann er mit einer leichten Dämpfung seiner Stimme, als traue er deren Festigkeit nicht, „daß ich Dir als Mädchen nachgegangen sei, und daß es wohl auch zu Weiterem zwischen uns gekommen wäre, wenn nicht meiner Mutter Bruder mich so schnell zu sich gerufen hätte. Nun, da ich Dich verheirathet wiedergefunden, könne die fernere genane Bekanntsehaft kaum zu etwas Gutem führen – und ich denke selbst,“ setzte er mit seiner sinkenden Stimme hinzu, „sie haben Recht, so weit es wenigstens mich angeht!“

„Aber es ist nicht wahr, Fritz!“ erwiderte hastig die junge Frau, aus deren Zügen plötzlich jede Spur von Roth gewichen war, während in ihrem Auge ein Ausdruck von Aengstlichkeit aufstieg.

„Was ist nicht wahr, Anna?“

„Daß Du mir jemals ein Wort gesagt hättest, was über unsere Kinderfreundschaft hinausgegangen wäre!“ Ihr Auge ruhte in eigenthümlicher Spannung in dem seinen, und er senkte den Blick.

„Ich war eben zu feig dazu, Anna,“ erwiderte er halblaut, „ich wollte noch in der letzten Stunde, als ich weg mußte, zu Dir reden, und vermochte es doch nicht! Aber es wäre ja auch umsonst gewesen,“ fuhr er aufblickend fort, während es wie eine aufsteigende Erregung in seinem Tone zitterte, „Du hättest ja das, was fremde Leute sahen, am ersten fühlen und die wenigen Monate auf mich warten müssen, wenn ich ein Recht zu einer Hoffnung gehabt. Ich habe mir das gesagt, als ich zurückkam, und gemeint, wenigstens das frühere Kinderverhältniß zwischen uns herstellen zu können; aber das ist für die Menschen vorüber, wie für mich auch, und darum laß mich gehen, Anna – sprechen aber mußte ich noch einmal zu Dir, damit Du mich verstandest!“

Sie stand vor ihm, mit großen, starr gewordenen Augen, mit bleichen, regungslosen Zügen, und als er jetzt die Hand zum Abschied nach ihr ausstreckte, zuckte es nur wie eine plötzliche Schmerz-Empfindung um ihren Mund und das weiche Kinn. Dann aber drehte sie sich hastig weg und trat an’s Fenster. Er blickte ihr befremdet nach; in der nächsten Minute aber ging ein Zug von Bitterkeit über sein Gesicht. „Ich hätte auch das nicht aussprechen sollen, und jetzt am wenigsten, nicht wahr?“ sagte er „aber es ist ja damit auch Alles vorbei, soweit es Dich betrifft und darum darfst Du mir schon noch einmal Deine Hand geben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_369.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)