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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

wäre: wozu Prämien, da sich die Seefischerei bei einigermaßen richtiger und großgeschäftlicher Ausführung und praktischem Betriebe ganz von selbst lohnen muß? Als in England die Seefischerei-Ausfuhr mit Staatsprämien unterstützt ward, brachte man’s bis auf 180,000 Faß jährlich. Seit mehr als 30 Jahren hat diese Ausfuhrprämie aufgehört, und seit dieser Zeit ist die Ausfuhr von 180,000 auf 600,000 Faß jährlich gestiegen. Das führt Sturz selbst an, um die Vortrefflichkeit der Prämie zu beweisen.

Die andern von Sturz angeführten Mittel zur Ausdehnung des deutschen Seefischerei-Betriebes verstehen sich von selbst, da es das Geschäft aus eigener Nothwendigkeit so mit sich bringen wird. Er sagt: „Organisation eines planmäßigen Vertriebs von Seefischen nach dem Binnenlande“ sei das zweite Mittel. Nun ja, das ist’s, aber wohl nicht ein Mittel, sondern der Vertrieb, die Ausdehnung des Vertriebs, das Geschäft selbst. Dieser Vertrieb „muß“ organisirt werden. Er muß? Wer soll ihn zwingen? Die Polizei? Der Staat? Schafft nur Schiffe und Fischer, dann macht sich’s von selbst. Man denke sich mehrere Schiffsladungen frischer Seefische in Hamburg. Dort würden sie spottbillig, in Berlin aber theuer sein. Die Fische würden dann jedenfalls so schnell wie möglich nach Berlin kommen und hier viel Geld einbringen. Damit ist die Sache schon „organisirt“ und würde sich sehr schnell zu einem planmäßigen Vertriebe ausbilden. Dafür sorgen die Eisenbahnnetze, die Eisenbahn-Compagnien, die Leute, welche Fische verkaufen, und die Leute, welche Fische kaufen wollen, ganz von selbst. Jeder verfolgt sein Interesse, seinen Gewinn, und das giebt dann den „planmäßigen Vertrieb“, die „Organisation“.

Alles in Allem, das A und O der ganzen Sache ist: eine oder mehrere Gesellschaften, Associationen oder Compagnien zur Ausdehnung und Vergrößerung des Geldes, das sie haben, vermittelst der Ausdehnung und Vergrößerung unserer Seefischerei. Man muß Geist und Geld auf den Punkt richten, einsehen und zeigen, daß hier viel Geld zu machen ist, mehr Geld, als durch andere Unternehmungen, dann Geld dazu sammeln, zeichnen lassen und entsprechende Seeschiffe bauen. Es sind nicht gleich 200 nöthig. Man kann sehr klein mit zwei anfangen, dann je nach dem Erfolge fortfahren, dann werden’s auch mit der Zeit 200 und jedenfalls eher, als die Meisten jetzt zu hoffen wagen.

Jeder, der etwas Geld und Geist hat, kann sein Scherflein dazu beitragen und auf mehr Erfolg rechnen, als die Thaler, Groschen und Pfennige, die für die deutsche Flotte gesammelt wurden. Denn die beabsichtigte Seefischereiflotte bringt uns wohlfeile, frische Seefische, Geld und das Zeug und die Kraft zu einer Vertheidigungsflotte.

Um aber das willige Geld und den dafür erweckten Geist wirklich zu sammeln und zur Kraft der Ausführung zu vereinigen, muß zunächst Einer oder ein kleiner Verein von sachverständigen, begeisterten Männern, womöglich gleich mit einigen guten Bankier-, Kaufmanns- und Rhedernamen und einem bestimmten Plane und Programme auftreten und darlegen, wo und wie entsprechende Schiffe gebaut, bemannt und in Thätigkeit versetzt werden sollen, was sie nach den bisherigen Erfahrungen in England u. s. w. kosten und was sie durch ihre Ernten einbringen mögen.

Die nördlichen Häfen Deutschlands haben allein über 3000 Segelschiffe und beinahe 100 Dampfer mit mehr als einer Million Tonnengehalt und über 30,000 Mann und Matrosen, wozu noch über 10,000 Mann Deutsche, jetzt auf englischen, französischen, amerikanischen Schiffen, kommen würden, wenn man ihnen nur erst lohnende Arbeit auf deutschen Fahrzeugen böte. Aus diesem geübten und unzähligen Lehrlings-Material, das jetzt auf trockene, miserable Anstellungen auf trockenem Lande hungert, ließen sich die neuen Seefischerei-Boote leicht und gut bemannen.

Die Fahrzeuge müßten theils für Fang an den Küsten, theils für Rockall eingerichtet werden. Mit letzteren wäre wohl anzufangen. Die Actien-Gesellschaft oder Compagnie mit etwa 300,000 Thaler Capital, das natürlich nur nach und nach eingezahlt zu werden brauchte, Hauptsitz vielleicht in Hamburg, würde zunächst drei Schiffe à 40–50 Tonnen à fünf Mann und fünf Jungen am geeignetsten Platze bauen lassen und dazu drei größere Schiffe à 20–30 Mann zunächst pachten oder mit Theilzahlungen kaufen.

Damit wäre der Stamm, die Grundlage erworben. Die großen Fahrzeuge haben den planmäßigen Betrieb mit Arbeitstheilung zu übernehmen, die kleineren müßten als Proviantschiffe für Wasser, Salz, Lebensmittel, als Beförderer der frischen und gesalzenen Waare und der Abfälle dienen, damit die großen immer bei der Arbeit selbst bleiben können. Hauptsache wäre für den unmittelbarsten Gewinn die Landung und der Transport frischer Seefische. Auf dem Meere selbst lassen sie sich sehr gut erhalten, und von Hamburg aus könnten sie in geeigneter Verpackung höchstens binnen zwölf Stunden im tiefsten Innern Deutschlands abgeliefert werden. Daß dazu Abkommen mit den Eisenbahnen getroffen werden müssen, versteht sich ebenso von selbst, wie daß in den Hauptverzehrorten, namentlich in Berlin, wo der frische, nahrhafte, wohlschmeckende Seefisch noch einen theuern, seltenen Luxusartikel bildet, geeignete Verkaufs- und Conservirungshallen erbaut werden. Dafür giebt es in Billingsgate und bei den Fischhändlern in London, wie in der Halle „aux poissons“ zu Paris vorzügliche Muster. In der Halle selbst, wie bei den Einzelverkäufern, liegen die köstlichen Ungeheuer des Meeres frisch und appetitlich auf schrägen Marmorplatten, wo sie mit wohlfeilem Eiswasser und Eis (das auch bei uns durch Fabrikation im Großen spottbillig werden wird) so lange frisch, appetitlich und rein gehalten werden, bis sie in die verschiedenen Küchen wandern. Daneben häufen sich Hummern, Austern, Krebse, Shrimps und andere Delicatessen des Meeres, auch den beschränktesten Mitteln zugänglich.

Um den Einzelvertrieb rasch und leicht zu machen, schlägt Sturz sehr praktisch vor, die gleich nach Ankunft in großen Partien verauctionirten Fische für den Ort selbst in einspännige Wagen mit Draht-Etagen so zu packen, daß jede Fischart von außen sichtbar wäre. Die Wagen müßten dann mit besonderem Geklingel oder Ausruf sich in die verschiedenen Straßen vertheilen und so jedem Kauflustigen die Waare vor die Thüre fahren. Angehängte Preise könnten noch den Aufenthalt durch Handeln und Feilschen beseitigen. Für die Fälle großer Häufung der Zufuhr müßten Einrichtungen zum Backen und heißen Verkauf der Fische auf der Straße getroffen werden. Jeder könnte sich dann oft, wie in London, für 1 Sgr. ziemlich gut und schmackhaft satt essen, und Berlin würde manchmal in einem Tag mehr Seefische verschmausen, als jetzt das ganze Jahr hindurch.

Von dem Verkaufs-Mittelpunkte in Berlin müssen die weiter südlich und im Innern gelegenen Orte versorgt werden. Das geht in eisernen Kasten mit Eis sehr gut. Mit dem Telegraphen erfährt man die Ankunft und die Masse der Fische vorher. Mit dem Telegraphen kann man vorher in Leipzig, Dresden etc. anfragen, ob und wie viel dortige Händler abhaben wollen. Die Bestellung geht dann mit der Eisenbahn gleich weiter. Um durch zu große Ernten den frischen Fisch nicht zu entwerten, ist für Salzungs- und Räucherungsanstalten zu sorgen.

Doch wir wollen uns noch nicht vor dem Zuviel fürchten. Vorläufig haben wir in unsern Soldaten- und Commißbrod-Düften noch nicht einmal Fischgeruch.

Vorerst gilt’s an die Hauptsache zu gehen. Diese ist ein provisorischer Verein von sachverständigen und tüchtigen Männern, die sich’s etwas Zeit und Geld kosten lassen mögen, genau zu ermitteln, wie viel die Herstellung und der Betrieb der Seefischerei, besonders mit Bezug auf Rockall, kosten mag, wie die Ernten aus diesem Meere ausfallen, was sie an frischen Fischen, Oel, Thran etc. für Gewinn versprechen, und zu welcher Procenthöhe das angelegte Capital, mit einer Berechnung von wahrscheinlichen Verlusten, der Versicherung der Schiffe etc., sich verzinsen wird. Nach englischen Erfahrungen aus Rockall kann diese Berechnung nur sehr glänzend ausfallen und eine bessere Prämie durch sich selbst in Aussicht stellen, als die Unternehmung je durch Beraubung der Tabaksfabrikanten und Cigarrenmacher erhalten würde.

Ist aus allen vorhandenen Thatsachen ein guter Gewinn in Aussicht gestellt, so werden Egoismus und Patriotismus sich gern vereinigen, um einer zu diesem Zweck begründeten Gesellschaft (vielleicht mit Actien von 5 Thaler an, damit sich auch der Aermere betheiligen kann) das nötige Geld und die Thatkraft zum Handeln anzuvertrauen.

H. B.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_392.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)